Süddeutsche Zeitung

Gamescom 2019:Für eine Welt voller Gamer

Lesezeit: 3 min

Von Caspar von Au, Köln

Die Computerspielbranche will mehr. Der Markt wächst und wächst - in Deutschland zuletzt auf rund 2,8 Milliarden Euro Umsatz im ersten Halbjahr und 34 Millionen Spielerinnen und Spieler, eine Trendwende ist nicht in Sicht. Den Spieleherstellern auf der Gamescom in Köln, der besucherstärksten Computerspielemesse der Welt, geht es vor allem darum, wie man das Wachstum weiter beschleunigen kann.

Das zeigt sich auch an den Ambitionen der Messe an sich selbst. Zum Ende der Gamescom am Samstag haben der Branchenverband Game und Organisator Koelnmesse abermals einen neuen Besucherrekord verkündet - das dritte Jahr in Folge. 373 000 Menschen besuchten die Messe seit Dienstag. Den Rekord bekamen sie am eigenen Leib zu spüren, wenn sie sich durch die überfüllten Messehallen drängten oder über die noch volleren Wege zwischen diesen schoben. Die Vergrößerung der Ausstellungsfläche auf 218 000 Quadratmeter macht sich da kaum bemerkbar.

Die Industrie hat sich zum Ziel gesetzt, die ganze Welt zu Gamern zu machen. "In den nächsten zehn Jahren können wir weltweit bis zu fünf Milliarden Spieler erwarten", sagt Alain Corre, der bei dem französischen Publisher und Entwickler Ubisoft als Geschäftsführer für Europa, den Nahen Osten und Asien zuständig ist. Das entspräche in etwa einer Verdopplung des heutigen Markts.

Google will mit Stadia ein Milliarden-Publikum erreichen

Die Technologie, die maßgeblich dazu beitragen soll, nennt sich Cloud Gaming. Dabei werden die Spiele - vereinfacht dargestellt - nicht mehr auf dem Endgerät des Nutzers, sondern auf den Servern des jeweiligen Anbieters berechnet. Der Spieler streamt Video und Ton über das Internet. Das stellt einen krassen Einschnitt dar, denn bislang waren Computerspiele stets darauf limitiert, was die Hardware des Kunden darstellen konnte. Mit Cloud Gaming sind nur noch die Größe des Bildschirms und die Internetverbindung entscheidend. Damit könnten zum Beispiel teure Spielekonsolen in Zukunft überflüssig werden.

Microsoft, eines der führenden Unternehmen auf dem Konsolenmarkt, steht daher vor einem schwierigen Spagat. Auf der einen Seite will der Konzern den Megatrend nicht verpassen und arbeitet seit längerem an seinem Spiele-Streaming-Dienst "Project Xcloud". Auf der anderen Seite soll Ende 2020 die nächste Xbox auf den Markt kommen. "Wir sehen weiterhin einen Sinn und den Bedarf an dedizierter Gaming-Hardware", erklärt Microsofts Marketing-Chef Aaron Greenberg auf der Gamescom. Cloud Gaming sei eher etwas für unterwegs, für schnelle Online-Mehrspielerpartien brauche es aber eine stabile Internetverbindung und einen großen Fernseher. In vorhersehbarer Zukunft wolle man daher an der Spielkonsole festhalten, so Greenberg.

Die neue Technologie öffnet den Markt auch für neue Mitbewerber. Google, dessen Dienst Stadia im November starten soll, präsentiert sich angriffslustig in Köln: Man visiere ein Milliarden-Publikum an, sagt Google-Manager Jack Buser. "Wenn wir nur 100 oder 200 Millionen Menschen erreichen, haben wir etwas falsch gemacht."

Aus Finnland kommt Hatch. Während die großen Anbieter wie Microsoft und Google vorrangig Blockbuster-Spiele über Cloud Gaming spielbar machen wollen, will sich das kleine Unternehmen mit rund 50 Mitarbeitern ausschließlich auf Mobile Games konzentrieren und vor allem Gelegenheitsspieler ansprechen. Im Vordergrund stehe der soziale Aspekt, sagt Mitgründer Vesa Jutila. Der Dienst solle es Gamern ermöglichen, über das Smartphone miteinander zu spielen. Einen großen Partner in Deutschland hat die Firma bereits gefunden: Mobilfunkanbieter Vodafone.

Jede Aktion eines Spielers soll Konsequenzen in der Spielwelt haben

Cloud-Gaming wird Computerspiele auch inhaltlich stark verändern, etwa durch die zusätzliche Rechenleistung, die in der Cloud zur Verfügung steht. Während man bei Google von Mehrspielerpartien von bis zu tausend Spielern träumt, zielt die Vision des Spieleentwicklers Ubisoft auf die Charaktere in Computerspielen, die der Spieler nicht steuern kann (im Jargon NPC genannt, abgeleitet von non-player character).

Mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) sollen sich Computerspiele künftig jede Aktion des Spielers merken können. Jeder NPC soll so seine eigene Beziehung zu den von echten Menschen gesteuerten Charakteren in der Spielwelt aufbauen, sofern sie sich virtuell über den Weg laufen. "So wie im echten Leben", sagt Ubisoft-Geschäftsführer Corre. Im Ansatz kann der Spieler das in "Watch Dogs Legion" erleben, ein Action-Spiel, das der Hersteller auf der Gamescom präsentiert. Überfährt der Spieler zum Beispiel einen der Tausenden Passanten im Spiel, beschädigt das das Verhältnis zu dessen digitalen Freunden und Verwandten - angeblich dauerhaft.

Egal, welche Perspektive die Unternehmen in Bezug auf Cloud Gaming einnehmen, in einem Punkt sind sich alle einig: Die Technologie macht Computerspiele zugänglich für noch mehr Menschen - und das, so lautet der Konsens in der Branche, ist schließlich das oberste Ziel.

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