Süddeutsche Zeitung

Fernsehen:Pro Sieben Sat 1 streicht 400 Jobs

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Das Fernsehunternehmen leidet unter der Werbeflaute und der Konkurrenz der großen Streamingdienste wie Netflix. Jetzt muss jeder zehnte Mitarbeitende in Deutschland gehen.

Von Caspar Busse

Lange wurde über das genaue Ausmaß spekuliert, jetzt liegen die Fakten auf dem Tisch: Pro Sieben Sat 1 will in Deutschland noch in diesem Jahr rund 400 Stellen abbauen. Die Zahl ist überraschend hoch, und es ist der größte Abbau seit Langem. Es entspreche rund jedem zehnten Arbeitsplatz im Unterhaltungskerngeschäft und in der Holding in Unterföhring bei München, sagte eine Sprecherin des Medienkonzerns. Der Stellenabbau soll durch ein Freiwilligenprogramm sozialverträglich erfolgen, wurde mitgeteilt. Betriebsbedingte Kündigungen wolle man "weitestgehend" vermeiden. Stellen, die frei werden, sollen nicht nachbesetzt werden.

Pro Sieben Sat 1 ist neben der RTL-Gruppe der größte Privatsender in Deutschland und auch in Österreich und der Schweiz aktiv. Schon länger leiden die frei empfangbaren werbefinanzierten Sender wie Sat 1, Pro Sieben, Kabel eins oder Sixx unter der Werbeflaute und der Konkurrenz der großen Streaming-Anbieter wie Netflix, Disney oder Amazon Prime. Insbesondere jüngere Zuschauer wenden sich vom linearen Fernsehen ab und bevorzugen Onlinedienste. Sie wollen selbst entscheiden, wo sie was und wann anschauen. Der neue Unternehmenschef Bert Habets hatte deshalb schon vor mehreren Wochen eine Neuausrichtung und einen Abbau von Jobs angekündigt, das genaue Ausmaß aber offengelassen.

"Der Stellenabbau ist eine schwierige, jedoch unternehmerisch notwendige Entscheidung, damit Pro Sieben Sat 1 seine Ertragskraft steigert und wieder nachhaltig und gesund wachsen kann", erklärte Vorstandschef Habets. Der ehemalige RTL-Manager war erst im vergangenen November überraschend an die Spitze gerückt und hatte seitdem den Vorstand grundlegend umgebildet. Zuletzt war der langjährige Fernsehmanager Wolfgang Link ausgeschieden, der vor allem für die Sender und die Inhalte zuständig war, Habets übernahm die Aufgaben selbst.

"Wir haben einen klaren Plan mit Fokus auf unser Entertainment-Angebot und vor allem auf Joyn", teilte Habets nun mit. So wolle Pro Sieben Sat 1 als Konzern die Nummer eins im deutschsprachigen Unterhaltungsmarkt werden. Erst im Herbst 2022 wurde die Streaming-Plattform Joyn vollständig übernommen, bis dahin war der US-Konzern Discovery beteiligt. Joyn mit etwa vier Millionen Kunden ist wie die Konzernsender vor allem werbefinanziert, zahlende Kunden gibt es nur wenige. Habets hatte gerade erst die öffentlich-rechtlichen Anstalten für eine Zusammenarbeit im Mediathek-Bereich umworben. Die Mediatheken von ARD und ZDF sollten auch bei Joyn verfügbar sein - bislang kann man dort lediglich das Liveprogramm von öffentlich-rechtlichen und das von privaten Sendern sehen.

Zudem hatte es Spekulationen gegeben, Pro Sieben Sat 1 sei an einer Übernahme des deutschen Bezahlsenders Sky interessiert. Auch der ist derzeit in der Krise und stellte zuletzt alle deutschsprachigen Produktionen ein. Offenbar ziehen sich die Gespräche aber hin. Für das Angebot von Sky, das unter der Marke Wow läuft, zahlen die Kunden Abogebühren, die Einnahmen sind aber offenbar rückläufig. Zusammen könnte aus Joyn und Wow eine größere Streaming-Plattform entstehen. Nach amerikanischem Vorbild wären dann werbe- und abofinanzierte Plattformen mit TV-Sendern unter einem Dach. Die Konkurrenz ist aber hart, RTL betreibt RTL plus, daneben gibt es Disney +, Netflix, Amazon Prime und im Sportbereich etwa Dazn. Gleichzeitig sind die Budgets der Zuschauer für solche Angebote beschränkt.

Das Unternehmen betreibt auch Vergleichsportale und Dating-Plattformen

Das Fernsehgeschäft ist alles andere als einfach, auch Konkurrent RTL, der zum Bertelsmann-Konzern gehört und gerade Gruner + Jahr übernommen hatte, hat zu kämpfen. Nun will Pro Sieben Sat 1 neu anfangen. Ziel sei "eine effizientere Struktur, eine wettbewerbsfähige Kostenbasis sowie klar auf die digitale Transformation ausgerichtete Prozesse", teilte das Unternehmen mit. Dies habe Priorität, um weiterhin "konsequent in die Zukunft" der Gruppe investieren zu können, insbesondere in Inhalte und digitale Angebote.

Pro Sieben Sat 1 ist aber nicht nur im Fernsehgeschäft tätig, sondern betreibt auch eine ganze Reihe von Internetaktivitäten. Dazu gehören etwa das Vergleichsportal Verivox, Billigermietwagen.de oder die Dating-Plattform Parship-Meet, für Letztere war ein Börsengang im Gespräch. Zuletzt gab es auch eine ganze Reihe von Chefwechseln im Konzern und Turbulenzen. So musste die Veröffentlichung der Bilanz verschoben werden. Die Strategie war unklar, auf der letzten Hauptversammlung gab es Kritik von den Aktionären. Die Aktie des ehemaligen Dax-Unternehmens ging am Dienstag leicht nach oben, der Börsenwert liegt aber bei nur noch knapp zwei Milliarden Euro.

An Pro Sieben Sat 1 hält das italienische Medienunternehmen Media for Europe (MFE, früher Mediaset) etwa ein gutes Viertel der Anteile. Der Konzern des verstorbenen italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi will einen paneuropäischen Fernsehanbieter schaffen. "Was unsere Präsenz in Deutschland angeht, sehen wir uns als langfristige Aktionäre", sagte vorvergangene Woche Pier Silvio Berlusconi, Sohn von Silvio und Chef von MFE. Der Tod seines Vaters werde daran nichts ändern. Zuletzt war auch ein tschechischer Investor bei Pro Sieben Sat 1 eingestiegen.

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