Süddeutsche Zeitung

EZB-Entscheidung:Zu viel billiges Geld ist gefährlich

Lesezeit: 3 min

Klar, die Inflation ist historisch niedrig. Aber sollte EZB-Chef Mario Draghi deshalb an diesem Donnerstag drastische Maßnahmen beschließen?

Kommentar von Markus Zydra, Frankfurt

Der 8. Oktober 2008 war ein historischer Tag. Damals beschlossen die wichtigsten Zentralbanken der Welt, gemeinsam den drohenden Finanzmarktkollaps abzuwenden. Die US-Investmentbank Lehman Brothers war drei Wochen zuvor pleitegegangen. Also senkten die Währungshüter die Leitzinsen, später pumpten sie massiv Geld in den Markt.

Die Zentralbanker errichteten unter Einsatz der Notenpresse eine Mauer aus Geld. Diese diente als Schutzwall, damit sich Unternehmen, Regierungen und Verbraucher auf die extrem gefährliche Situation einstellen konnten. Den meisten Beteiligten war bewusst, dass die Zentralbanken das Problem der Überschuldung im Banken- und Staatssektor nicht lösen konnten. Es ging darum, für die Handelnden Zeit zu gewinnen.

Politiker, Banker und Unternehmer haben nun knapp sechs Jahre Zeit gehabt. Die wirtschaftliche Lage ist mittlerweile so stabil, dass die massive Unterstützung der Notenbank bald überflüssig werden könnte. Immerhin haben die amerikanische Notenbank Federal Reserve und Bank of England begonnen, ihre Geldmauer behutsam wieder abzutragen.

Nur bei der Europäischen Zentralbank (EZB) ist man weiter der Überzeugung, dass die Wirtschaft der Euro-Zone ohne Hilfe der Währungshüter nicht auf die Beine kommt. Wenn sich die 24 Mitglieder des EZB-Rats an diesem Donnerstag zu ihrer regelmäßigen Sitzung treffen, dann geht es um die Frage, ob die Mauer aus Geld nicht noch höher werden sollte. Dabei hat die EZB erst im Juni ein milliardenschweres Kreditprogramm beschlossen und den Leitzins auf 0,15 Prozent gesenkt. Zudem erhebt die Notenbank seit Juni erstmals von Banken einen Strafzins für Geld, das bei der EZB über Nacht geparkt wird.

"Alle verfügbaren Mittel"

Eigentlich wollte EZB-Präsident Mario Draghi erst abwarten, wie diese Maßnahmen wirken. Nun hat Draghi, zuletzt beim Notenbankertreffen in Jackson Hole, versprochen, die EZB werde "alle verfügbaren Mittel" einsetzen, um die Preisstabilität in der Euro-Zone zu sichern.

Das hat neue Erwartungen geweckt an den Finanzmärkten, die sich nichts sehnlicher wünschen, als dass der Italiener endlich eine Billion Euro oder mehr lockermacht, um Staatsanleihen der Euro-Zone zu kaufen. Draghi und einige seiner Kollegen wollen im Ernstfall mit diesen Käufen eine Deflation verhindern.

Die Teuerungsrate in der Euro-Zone ist historisch niedrig. Im August betrug die Inflation nur 0,3 Prozent. Die mittelfristige Zielmarke der EZB liegt bei zwei Prozent. Ein großer Abstand von der Nulllinie ist wichtig, weil man einen Puffer braucht, um ein Abgleiten in die Deflation rechtzeitig zu kontern. Die Glaubwürdigkeit der EZB hängt also davon ab, ob sie mit ihrer Geldpolitik bald wieder die Marke von zwei Prozent erreicht. Je länger die Inflation niedrig bleibt, desto mehr nagt das an der Reputation der Notenbank.

Nun haben Verbraucher nichts gegen fallende Preise - warum auch? Zudem müssen viele Betriebe, vor allem in den krisengeplagten Euro-Staaten, günstiger produzieren, um wettbewerbsfähig zu werden. Auch so entsteht Druck auf die Preise. Überhaupt stellt sich die Frage, was eine Zentralbank tun kann, wenn die niedrige Teuerung vor allem aus niedrigen Rohstoffpreisen und der geringen Auslastung der Fabriken resultiert.

Europas Regierungen haben einiges erreicht in den vergangenen Jahren. Der Aufbau der Bankenunion und der Beschluss zum Fiskalpakt stabilisieren die Währungsunion. Spanien, Portugal, Irland und auch Griechenland haben ihre Volkswirtschaften reformiert, der Aufschwung ist spürbar. Italien und Frankreich hinken hinterher - das ist die schlechte Nachricht. Gleichzeitig verliert der Euro gegenüber dem US-Dollar an Wert. Eine solche Entwicklung haben sich viele gewünscht in Europa.

Es gibt somit recht unterschiedliche Signale aus der Euro-Zone, die sich je nach Gemütszustand mal positiv, mal negativ interpretieren lassen. Aber die Lage ist nicht so eindeutig prekär, als dass die EZB nun in großem Stil die Notenpresse anwerfen müsste. Vielmehr sollte Mario Draghi der Euro-Zone Zeit geben, die vielen bereits beschlossenen Maßnahmen wirken zu lassen. So lehrt die Erfahrung, dass eine Leitzinssenkung erst nach einem Jahr in der Wirtschaft spürbar wird.

Es war richtig, dass die EZB im Jahr 2008 und auch zum Höhepunkt der Euro-Schuldenkrise 2012 einen Schutzwall für Europas Wirtschaft aufgebaut hat. Doch das darf kein Dauerzustand werden. Zu viel billiges Geld verleitet zu riskanten Investitionen von Unternehmen und Anlegern. Die EZB müsste wissen: Ihre Mauer aus Geld ist bereits hoch genug.

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Quelle:
SZ vom 03.09.2014
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