Süddeutsche Zeitung

Hilfsprogramme:EU-Finanzminister wollen keinen "Wumms" mehr

Lesezeit: 3 min

Die Energiekrise belastet Bürger und Betriebe. Doch anders als in der Pandemie soll es diesmal keine breit angelegten Hilfsprogramme geben. Sie könnten die Inflation weiter anheizen.

Von Björn Finke, Prag

Die Aussicht ist fantastisch, zumindest die vom Prager Kongresszentrum hinab auf die tschechische Hauptstadt. Für die wirtschaftlichen Aussichten Europas gilt das im Moment eher nicht: Energiekrise und Inflation machen Firmen und Bürgern zu schaffen. Die EU-Finanzminister diskutierten am Wochenende bei ihrem Treffen in dem Kongresszentrum, wie sie die Europäische Zentralbank (EZB) im Kampf gegen die hohen Preise unterstützen können. Daneben tauschten sie sich über Reformen des Stabilitätspakts aus, also der Regeln für solide Haushaltsführung.

Beide Vorhaben sind politisch äußerst heikel. So bedeutet eine anti-inflationäre Finanzpolitik, dass sich die Regierungen mit breit angelegten Hilfsprogrammen für die Wirtschaft zurückhalten müssen. Denn die Nachfrage mit höheren Staatsausgaben anzukurbeln verbietet sich, weil diese Nachfrage die Inflation weiter befeuern würde. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) sagte nach dem Treffen, er und seine Amtskolleginnen und -kollegen hätten sich "ganz klar bekannt zu einer mindestens neutralen Fiskalpolitik". Neutral heißt, dass die Staatsausgaben die Konjunktur nicht stützen sollen - und mit dem "mindestens" lässt Lindner durchblicken, dass wegen der Inflation vielleicht sogar Bremsen besser wäre. Ihm zufolge waren die 27 Finanzminister "unisono" der Auffassung, dass Inflationsbekämpfung nun Priorität habe gegenüber dem Anschieben der Wirtschaft.

Zugleich leiden aber Bürger und Betriebe unter hohen Energiepreisen, Volkswirte warnen vor einem harten Abschwung. Der deutsche Finanzminister sagte dazu, dass natürlich "Entlastungen für besonders betroffene Haushalte, für Menschen mit einem geringeren Einkommen, nötig" seien. Und dass die Energiekosten zu "Strukturbrüchen" in Branchen führen, müsse "so gut es geht verhindert werden".

Gezielte Hilfen sind also möglich, ein riesiges Unterstützungsprogramm, wie es Olaf Scholz (SPD) als Finanzminister zu Beginn der Pandemie entwarf, darf es nach dem Willen der EU-Finanzminister jedoch nicht geben. Der heutige Bundeskanzler sagte damals, man wolle "mit Wumms" aus der Krise kommen, und nannte sein Paket eine "Bazooka". Statt des Prinzips Panzerfaust sollen die Krisenhilfen nun dagegen eher dem Prinzip Präzisionsgewehr folgen.

Tatsächlich aber legten die Regierungen ihre Hilfen gegen die Energiekrise oft zu breit an, warnte EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni in Prag. "Die Maßnahmen könnten gezielter auf die am stärksten leidenden Haushalte und Firmen zugeschnitten sein", sagte der frühere italienische Ministerpräsident. Er sei sich allerdings bewusst, dass Regierungen "dieses Prinzip nicht immer einfach" umsetzen könnten in einer Situation, in der so viele Haushalte - auch aus der Mittelschicht - Probleme hätten.

Die Kosten der Unterstützungspakete in den EU-Staaten entsprechen nach Berechnungen der Kommission bereits fast einem Prozent der Wirtschaftsleistung. Und dieser Betrag werde sicher noch "deutlich steigen bis Jahresende", sagte Sozialdemokrat Gentiloni.

Der Stabilitätspakt wird reformiert

Die Hilfsprogramme werden damit die Staatsschulden weiter erhöhen. Dabei ließ schon die Covid-Krise die Verbindlichkeiten kräftig steigen. In der EU soll der Stabilitäts- und Wachstumspakt verhindern, dass die Schulden aus dem Ruder laufen und eine neue Staatsschuldenkrise droht, ähnlich wie vor gut zehn Jahren. Diese Regeln für solide Haushaltsführung hat die Kommission jedoch zu Beginn der Pandemie ausgesetzt, damit Regierungen die Wirtschaft besser stützen können. Frühestens 2024 soll der Pakt wieder in Kraft treten.

Bis dahin wollen die Regierungen das komplizierte Regelwerk reformieren. Dieses setzt Obergrenzen für das jährliche Haushaltsdefizit von drei Prozent der Wirtschaftsleistung sowie eine Zielmarke für die Gesamtverschuldung jedes Staates von 60 Prozent der Wirtschaftsleistung. Im vergangenen Jahr lag aber der Schuldenstand der Euro-Länder im Durchschnitt bei 97 Prozent, und nur acht der 19 Staaten blieben beim Defizit unter der Drei-Prozent-Marke.

Die EU-Kommission will Reformvorschläge in der zweiten Oktoberhälfte veröffentlichen. Einige Regierungen, darunter die deutsche, haben schon eigene Ideen präsentiert. Auch darüber tauschten sich die Finanzminister in Prag aus.

Lindner sagte, die "Vorstellungen über konkrete Reformen" gingen weiterhin auseinander: "Hier ist noch Arbeit vor uns." Der FDP-Politiker klagte, nicht alle Regierungen hätten den langen Aufschwung vor der Pandemie genutzt, um Schulden abzubauen. Die Schuldenquoten seien "sogar in guten Zeiten vielfach gestiegen - das muss anders sein".

Mehr Spielräume, dafür strengere Kontrolle

Das im August vorgestellte Konzept der Bundesregierung läuft darauf hinaus, mehr Nachsicht bei den Vorgaben zum Schuldenabbau und bei den Haushaltsdefiziten zu zeigen. Im Gegenzug sollen die neuen Regeln dann konsequenter eingehalten und durchgesetzt werden. Bisher erhebe der Stabilitätspakt "auf dem Papier doch oft sehr harte Forderungen", die sich allerdings langfristig nicht in besseren Ergebnissen widerspiegelten, sagte Lindner.

Die Überlegungen der Kommission gehen in eine ähnliche Richtung. Kommissions-Vizepräsident Valdis Dombrovskis sagte in Prag, der Pakt könnte Regierungen künftig "mehr Spielraum" lassen, aber "dieser Spielraum muss begleitet werden von einer strengeren Durchsetzung". Den europäischen Finanzministern stehen im Herbst also weitere schwierige Debatten bevor.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5654884
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.