Süddeutsche Zeitung

Energiewende:Wo noch Raum für die Windkraft bleibt

Lesezeit: 3 min

Von Christian Endt und Benedict Witzenberger, München

Das Ziel der Bundesregierung ist eindeutig: 65 Prozent des deutschen Stroms soll bis 2030 aus erneuerbaren Energien stammen. Das haben Union und SPD im Koalitionsvertrag vereinbart. Doch dieser Anspruch ist in Gefahr. Das zeigen neue Berechnungen von Umweltbundesamt (UBA) und Wirtschaftsministerium. Sollte die Bundesregierung einen pauschalen Abstand von 1000 Metern um Siedlungen herum vorschreiben, könnten sich die Flächen, auf denen Windkraft in Deutschland sinnvoll betrieben werden kann, im extremsten Fall halbieren. Die Akzeptanz bei den Anwohnern würde sich dadurch aber nicht erhöhen.

Die 1000-Meter-Regel stammt aus einem aktuellen Referentenentwurf des Wirtschaftsministeriums, der zum Klimapaket der Bundesregierung gehört. Schon jetzt ist der Ausbau der Windkraft in Deutschland fast zum Erliegen gekommen: Allein im Jahr 2017 sind 1 800 Windräder gebaut worden. In den ersten neun Monaten des Jahres 2019 gingen dagegen nur 150 neue Anlagen ans Netz. Dafür gibt es mehrere Gründe.

Durch eine Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes wurde ab 2017 die Verteilung der Fördergelder umgestellt, seither gibt es eine jährliche Deckelung. Die Energiewende wurde dadurch billiger, der Ausbau aber auch langsamer. Eine Rolle spielt auch die Politik auf Landes- und regionaler Ebene: In der Studie des Umweltbundesamts ist zusammengetragen, wie groß die Flächen sind, die dort jeweils für weitere Windparks in Frage kommen. Dazu zählen sowohl Flächen, die explizit für die Windkraft vorgesehen sind, also auch freie Gebiete, in denen sie nicht generell ausgeschlossen ist.

Das UBA fand große Unterschiede: Während Hessen, Schleswig-Holstein und das Saarland jeweils mindestens zwei Prozent der Landesfläche zur Windkraftnutzung freigegeben, sind es in Bayern nur 0,1 Prozent. Das liegt vor allem an der bayerischen 10-H-Regel, wonach Windkraftanlagen mindestens das Zehnfache ihrer Höhe von der nächsten Siedlung entfernt stehen müssen. Durch diese Regelung kommen kaum noch Flächen in Frage. In absoluten Zahlen sind es 46 Quadratkilometer; deutlich weniger als im Saarland, das allerdings nur vier Prozent der bayerischen Landesfläche hat.

Die UBA-Studie zeigt außerdem, dass etwa ein Viertel der zur Verfügung stehenden Flächen nicht bebaut werden. Mehrere Befragungen sowohl bei Windparkbetreibern als auch bei Genehmigungsbehörden ergaben, das Naturschutzbedenken der häufigste Hinderungsgrund sind.

Trotzdem: Bei der derzeitigen Rechtslage reichen die zur Verfügung stehenden Flächen generell aus, um die Energieziele der Bundesregierung zu erreichen. Die Einführung einer 1000-Meter-Abstandsregel würde das jedoch ändern. Gilt diese nur gegenüber geschlossenen Siedlungen, sinkt das Flächenangebot um 21 Prozent; gilt sie auch zu Wohnhäusern auf freier Flur, wie es das Wirtschaftsministerium ab fünf Gebäuden vorschlägt, könnten bis zu 46 Prozent der Flächen verloren gehen. Das Potenzial für neue Windkraftanlagen in Deutschland würde sich beinahe halbieren. "Pauschale Abstandsregeln schränken die Flächenkulisse massiv ein und führen nicht zwingend zu einer Erhöhung der Akzeptanz", folgert das Umweltbundesamt.

Denn größere Abstände tragen dem Forschungsstand zufolge nicht dazu bei, lokale Konflikte um Windkraftwerke beizulegen. Das hat der Umweltpsychologe Johannes Pohl von der Uni Halle-Wittenberg in einigen Untersuchungen gezeigt, zuletzt dieses Jahr in einer Vergleichsstudie, für die er mit US-amerikanischen Kollegen umfangreiche internationale Daten ausgewertet hat. "Wir konnten keinen Zusammenhang zwischen dem Abstand der Anwohner zur Windkraftanlage und deren Akzeptanz finden", sagt Pohl. Wichtig sei vielmehr, dass das Planungsverfahren fair und transparent ablaufe; auch eine finanzielle Beteiligung der Anlieger an den Erlösen der Anlage wirke sich positiv auf die Einstellung aus. Generell sei es stets nur eine kleine Minderheit der Anwohner, die den Windenergieprojekten kritisch gegenüberstehe.

Die Studien von Umweltbundesamt und Wirtschaftsministerium wurden beide von der Beratungsfirma Navigant und dem Fraunhofer-Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik geschrieben. Sie arbeiten mit Planungsdaten aus dem Jahr 2017. Die Autoren erwarten, dass im weiteren Verfahren Flächen für die Windkraft eher gestrichen und nicht erweitert wurden. Die Schätzung der verbleibenden Flächen für Windkraft ist somit in der Studie eher noch zu hoch als zu niedrig.

Von 2021 an könnte die Zahl der Windräder in Deutschland sogar sinken. Ab dann läuft in vielen Kraftwerken die zwanzigjährige Mindestvergütung aus, die das Erneuerbare-Energien-Gesetz vorsieht. Vor allem alte Anlagen werden dann unrentabel, die dann schon am Ende ihres Lebenszyklus sind. Bis zu 4000 Anlagen könnte das schon 2021 betreffen, schätzt die Fachagentur Windenergie. Bis 2025 könnten es weitere 8000 sein, fast ein Viertel der Windenergie an Land.

In der Regel sind die Anbieter verpflichtet, die Windräder nach Ende ihrer Laufzeit zurückzubauen - also komplett zu entfernen. Eine Alternative wäre, auf den bestehenden Flächen neue, viel leistungsfähigere Windräder zu bauen, das sogenannte Repowering. Aber wenn auf den Flächen plötzlich neue Abstandsregeln gelten, gerät diese Möglichkeit in Gefahr. Die Bundesregierung will dagegen verstärkt auf den Ausbau der Windenergie im Meer setzen, also dort, wo keine Menschen durch die hohen Windräder gestört werden können.

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Quelle:
SZ vom 22.11.2019
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