Süddeutsche Zeitung

Elektromobilität:Was der Milchpreis mit Elektroautos zu tun hat

Lesezeit: 2 min

Von Robert Roßmann, Berlin

Um Deutschlands Bauern steht es nicht zum Besten. Zumindest Landwirte, die Milchkühe halten, müssen sich mit deutlich sinkenden Preisen herumschlagen. Einige Molkereien wollen nicht einmal mehr 20 Cent pro Liter Milch bezahlen. Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) hat in der SZ jetzt "Steuererleichterungen und Liquiditätshilfen" für Bauern versprochen. Doch wer glaubt, dabei handelt es sich um eine ausschließliche Reaktion auf die Not mancher Landwirte, liegt falsch. Schmidts Versprechen ist eher ein Lehrstück dafür, wie Politik manchmal funktioniert. Denn die neue Freigiebigkeit der Regierung liegt nicht nur an sinkenden Milchpreisen, sondern mindestens genauso an etwas, was mit der Landwirtschaft eigentlich gar nicht zu tun hat: Der Kaufprämie für Elektroautos. Aber wie konnte es dazu kommen?

Die Geschichte beginnt weit weg von Berlin im Europapark Rust. Dort hatten sich am 20. und 21. April die geschäftsführenden Fraktionsvorstände von Union und SPD zur gemeinsamen Klausur getroffen. Und bereits dort wurde offenbar, dass es in der Unionsfraktion erhebliche Vorbehalte gegen eine Kaufprämie für Elektroautos gibt. Die Sozialdemokraten hätten die Prämie in Rust gerne in das gemeinsame Beschlusspapier geschrieben, wegen des Widerstands in der Union kam es dazu aber nicht.

Viele halten andere Branchen für bedürftiger als die Auto-Industrie

Am 26. April, in der vorletzten Sitzung der Unionsfraktion, brach sich der Unmut dann auch offen Bahn. Mehr als zehn Abgeordnete meldeten sich zu Wort und sprachen sich gegen die Kaufprämie aus - auch Fraktionschef Volker Kauder ging auf Distanz. Kauder hält nicht viel von derlei staatlichen Interventionen, er hatte bereits die Abwrackprämie abgelehnt. Auch die stellvertretenden Fraktionschefs Michael Fuchs und Gitta Connemann kritisierten die Kaufprämie für E-Autos. Es gab zwar keine Abstimmung, aber das Meinungsbild war klar. Eine überwältigende Mehrheit der Unionsfraktion ist gegen die Prämie. Viele Abgeordnete befürchten Mitnahmeeffekte, halten andere Branchen - wie etwa die Bauern - für bedürftiger als die Auto-Industrie, sind verärgert über die Abgasaffäre oder lehnen solche Prämien schon aus ordnungspolitischen Gründen ab.

Doch Angela Merkel schien die Ablehnung nicht sonderlich zu beeindrucken. Die Kanzlerin vereinbarte jedenfalls noch in der selben Nacht auf dem Auto-Gipfel die Einführung einer solchen Prämie. Entsprechend groß war der Unmut in der Unionsfraktion. Bei vielen Abgeordneten liegen wegen Merkels Flüchtlingspolitik und dem Aufstieg der AfD die Nerven ohnehin blank. Der Absturz der Union in den Umfragen wird so manchen Abgeordneten das Mandat kosten.

Das Friedensangebot der Kanzlerin

Der Ärger über die Brüskierung der Fraktion war auch vor der nächsten Fraktionssitzung noch nicht verraucht. Dem Kanzleramt war deshalb klar, dass Merkel etwas tun muss, um den Konflikt zu befrieden. Die Zeiten, in denen die Kanzlerin keine Rücksichten auf ihre Parteifreunde nehmen musste, sind vorbei. Merkel löste die Aufgabe dann auf ihre Weise. In der Sitzung sprach die Kanzlerin den Unmut über die Kaufprämie von sich aus an. Sie verwies darauf, dass sowohl der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel wie auch CSU-Chef Horst Seehofer die Prämie wollten. Sie selbst habe sie zumindest nicht für so schädlich gehalten, dass sie sich gegen die beiden Koalitionspartner hätte stellen wollen. Dann machte Merkel sowohl Michael Fuchs und seinen Wirtschaftspolitikern als auch Gitta Connemann und ihren Agrarpolitikern Friedensangebote. Den Wirtschaftspolitikern versprach die Kanzlerin, dass sie sich beim Erneuerbare-Energien-Gesetz zum Ausbau des Ökostroms eng mit der Fraktion abstimmen werde. Und die Agrarpolitiker erfreute sie mit dem Hinweis, man müsse jetzt auch etwas für die Bauern tun.

Das war am 10. Mai - seitdem weiß Landwirtschaftsminister Schmidt, dass jetzt auch für die Bauern etwas zu holen ist. Seine Ankündigung von gestern ist jedenfalls auch das Ergebnis der Merkelschen Do-ut-Des-Politik im Elektroauto-Streit.

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Quelle:
SZ vom 18.05.2016
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