Süddeutsche Zeitung

Deutsche Post und die Gewerkschaften:Ende einer Freundschaft

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Der Tarifstreit bei der Post ist beigelegt - damit wurde ein Streik zur Weihnachtszeit in letzter Sekunde abgewendet. Viele Beschäftigte fürchten jetzt, dass dies nur eine Gnadenfrist ist.

Caspar Dohmen

Vor wenigen Wochen hat Gisela Müller ihren Chef zum ersten Mal live erlebt. Anfang September besuchte Frank Appel die Briefsortieranlage der Post im rheinischen Langenfeld und warb bei den Beschäftigten für seinen Kurs. Die Briefzusteller und die Mitarbeiter in Postämtern und Sortierzentren müssten mit längeren Arbeitszeiten einverstanden sein, "sonst drohen künftig Entlassungen", machte der Vorstandschef unmissverständlich klar. Statt 38,5 Stunden in der Woche sollten die Postbeschäftigten in Deutschland 40 Stunden arbeiten - ohne Lohnausgleich. Und zusätzlich sei es nötig, die für Dezember vereinbarte Lohnerhöhung um ein Jahr zu verschieben.

Gisela Müller, die in Wirklichkeit nicht so heißt, ihren richtigen Namen aber nicht in der Zeitung lesen möchte, haben Appels Ankündigungen damals richtig wütend gemacht. "Ein Chef muss Verträge einhalten", sagt sie.

Sorge um den Job

Mehr als ein Vierteljahrhundert arbeitet sie schon bei der Post, erst als Briefträgerin, heute an der Sortiermaschine. In der Zeit hat sie viel erlebt: die Umwandlung von der Behörde zu einer Aktiengesellschaft und dann den Börsengang im Jahr 2000; woran sie an jedem Arbeitstag der gelbe Stier mit der Aufschrift "Aktie Gelb" an der Einfahrt des Briefzentrums erinnert. Doch noch nie hat sich die alleinerziehende Mutter so sehr um ihren Job gesorgt wie jetzt.

Verärgert ist auch Andrea Kocsis. Die stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft Verdi hat von Appels Ideen im Frühjahr aus der Bild-Zeitung erfahren und fühlte sich düpiert. Denn schließlich hatten sich beide Seiten erst wenige Monate zuvor auf einen Tarifvertrag geeinigt. Und so schlug sie hart zurück. "Es gibt keinen Millimeter Spielraum für einen Lohnverzicht und eine Arbeitszeitverlängerung", ließ sie den Postvorstand wissen. Angesichts gültiger Tarifverträge gebe es keinen Gesprächsbedarf.

Scharfer Ton

Der scharfe Ton ist neu. Lange pflegte das Management der Post ein sehr partnerschaftliches Verhältnis zu den Gewerkschaften, denn ohne die Arbeitnehmervertreter geht im Unternehmen wenig: Mehr als 80 Prozent der Beschäftigten sind gewerkschaftlich organisiert.

Mit der Freundschaft aber ist es nun vorbei. Unverdrossen hat die Post in den vergangenen Monaten über die Medien den Druck erhöht. Hochrangige Manager drohten unverhohlen damit, man könne Jobs auslagern - ähnlich wie es die Telekom getan hat, die schon vor einiger Zeit 50.000 Beschäftigte in eine Servicegesellschaft schob. Sie arbeiten nun länger für weniger Geld, der Widerstand von Gewerkschaften und Betriebsräten und die Protestmärsche der Beschäftigten waren vergeblich. Für Verdi war dies eine bittere Pille. Vielleicht hat sich Andrea Kocsis auch deswegen nun auf Gespräche mit Appel eingelassen.

Am 6. und am 14. Oktober trafen sich die Unterhändler von Gewerkschaften und Post erstmals zu Gesprächen, ohne ein Ergebnis. Schnell war klar, dass alles auf einen Streik zusteuerte. "Da rasen zwei Züge aufeinander zu", sagte ein hochrangiger Manager. Auch bei Gisela Müller und ihren Kolleginnen in der Briefsortieranlage war Streik das Thema. Viele in der Sortieranlage arbeiten nur 12, 14 oder 20 Stunden. Meist sind es Frauen, häufig sind sie älter als 50 Jahre und erziehen alleine Kinder. Für sie ging es vor allem darum, ihren Job zu behalten. Denn einen neuen, sagt etwa Gisela Müller, werde sie kaum mehr finden.

Kocsis kennt die Sorgen der Frauen genau. Sie war selbst als Briefträgerin tätig und hat sich in der Gewerkschaft hochgearbeitet, sie spricht die Sprache der Postboten und Sortierer. Ganz anders Vorstandschef Frank Appel: Der promovierte Naturwissenschaftler hat seine Lehrjahre in den Labors von Universitäten und bei der Unternehmensberatung McKinsey durchlebt. Ungleicher geht es kaum. Am Ende aber haben sich beide nun doch zusammengerauft. Bis in die frühen Morgenstunden des Freitags wurde verhandelt.

Um 13 Uhr trat Kocsis im Berliner Hotel Melia vor die Kameras. Sie wirkte nervös, als sie das Ergebnis verkündete: Eine Verschiebung der Tariferhöhung ist ebenso vom Tisch wie eine längere Arbeitszeit. Und das Schreckensszenario der Beschäftigten ist abgewehrt: Die Post AG wird auch in den kommenden beiden Jahren keine Briefbezirke an Fremdfirmen vergeben.

Vorsichtiger Post-Chef

Um 14 Uhr diktierte Appel dann im Bonner Posttower seine Sichtweise in die Blöcke der Journalisten. Das Unternehmen spare durch diverse Maßnahmen wie die Verlängerung des Tarifvertrags 370 Millionen Euro in den kommenden beiden Jahren. Damit habe sich der "mutige" Vorstoß des Managements gelohnt, trotz laufender Tarifverträge erhebliche Zugeständnisse von den Beschäftigten zu verlangen.

Tatsächlich ist Appel aber weitgehend eingeknickt. Einen Streik zur Weihnachtszeit mit Bildern von sich häufenden Postbergen und wütenden Kunden habe er vermeiden wollen, sagen Insider. Nach dem Aufschrei im vergangenen Sommer, als die Post einen Teil der Briefe später zugestellt hatte, um Geld zu sparen, sei der Postchef vorsichtig geworden. Und es fehle ihm auch die Rückendeckung der Politik für einen rigorosen Kurs. Der Bund als Großaktionär interessiere sich weniger für die ökonomischen Zwänge bei dem Unternehmen, sondern achte mehr darauf, wie die Post öffentlich wahrgenommen werde, sagt ein hochrangiger Postmanager.

Niemand sollte sich täuschen lassen: Nach wie vor hält Appel längere Arbeitszeiten der Briefbeschäftigten für richtig, weil die Post nur so trotz des technologischen Wandels weiter Geld mit Briefen verdienen kann. Seit der Einführung der E-Mails ist das Briefaufkommen dramatisch gesunken.

Experimente mit dem elektronsichen Brief

Überraschend ist diese Entwicklung nicht. Schon Ende der 1990er Jahre erschien in den USA ein in der Fachwelt viel beachteter Report - seitdem streiten sich die Experten nur noch, ob der Briefmarkt zu großen Teilen oder eines Tages ganz verschwinden werde. Tatsache ist: In Frankreich sinkt das Briefaufkommen um fünf Prozent jährlich, in England und den Niederlanden um drei bis vier Prozent - in Deutschland sind es zwei bis drei Prozent.

Über Alternativen hat die Post erst spät nachgedacht. Seit wenigen Monaten experimentiert Briefchef Jürgen Gerdes mit einem sichereren elektronischen Brief, der wahlweise per Computer oder auf Papier von einem Briefträger zugestellt werden kann. Andere Postgesellschaften reagierten früher. So hat die dänische Post ein elektronisches Portal in Betrieb, welches bereits mehr als die Hälfte der Bürger nutzt. Niemand weiß aber, wie viel Geld die Post jemals mit elektronischen Briefen verdienen wird.

Stattdessen setzt der Bonner Konzern darauf, das Briefgeschäft wirtschaftlicher zu organisieren. Heute gehört er weltweit zu den rentabelsten Anbietern. Für die Beschäftigten hat sich der Arbeitsalltag dadurch gravierend geändert. Früher sortierte Gisela Müller die Briefe händisch in Spinde, so nannte man die Schränke mit verschiedenen Einlagen. Je Postleitzahlbezirk gab es einen Schrank. Damals bestimmte Müller noch selbst das Tempo. Dann baute die Post in den 90er Jahren quer durch die Republik Brieffabriken - in einer davon arbeitet Gisela Müller nun seit zwölf Jahren.

Außen blitzt die Alufassade des Flachbaus, innen ist es zugig und im Sommer heiß. Hier stehen Sortiermaschinen für normale Briefe, für Großbriefe oder ungewöhnliche Formate. Ein Stück weiter sortieren andere Maschinen die Post bereits weitgehend für die Briefträger vor. Über Müllers Kopf rattern Förderbänder, bringen Kästen mit Briefen heran. Müllers Job hat sich immer mehr zu einem Fließbandjob entwickelt. "Die Maschine gibt das Tempo vor", sagt sie. Und im nächsten Jahr soll eine neue Großmaschine aufgebaut werden, die noch mehr kann. Dann werden erneut Jobs wegfallen. Und manch einer bei der Post träumt schon von einer Maschine, in welche man die gesamte Post einspeist und die am Ende automatisch gepackte Taschen für die Briefträger ausspuckt.

Auch die Tätigkeit der Boten hat sich durch die Technik verändert. Wie viel Zeit ein einzelner Briefträger für seine Route hat - dies berechnet ein Computer nach einer komplizierten Formel, zu der unter anderem Wegezeiten, Verkehrsmittel und Lage gehören. Vorbei sind die Zeiten, als noch es noch Platz für einen Plausch gab - heute hetzen die Briefträger mit ihren Handwagen durch die Innenstädte oder mit dem Fahrrad über das Land.

Gestiegener Arbeitsdruck

Viele Boten klagen über den gestiegenen Arbeitsdruck. Einige kommen schon eine Stunde vor dem offiziellen Arbeitsbeginn um sechs Uhr, um ihre Taschen zu packen. "Weil die vorgesehene Zeit nicht reicht, machen sie unbezahlte Überstunden", sagt Michaela Frank. Auch sie will ihren richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen, weil sie Druck durch die Vorgesetzten fürchtet.

Frank verteilt in einem ländlichen Bezirk die Post; früher war sie für 600 Haushalte zuständig, heute sind es 950. Morgens wuchtet sie Posttaschen mit einem Gewicht von mehr als 200 Kilogramm auf ihr Fahrrad - und sie braucht regelmäßig länger für ihre Tour, als vom Computer vorgesehen. "Wer häufig Überstunden macht, der muss sich bei den Vorgesetzten rechtfertigen", sagt Frank. Dabei räumen die Manager selbst ein, dass die Boten kaum schneller arbeiten können.

Viele Beschäftigte im Briefbereich sehen sich als Opfer einer fehlgeschlagenen Strategie der Post. Seit der Privatisierung verfolgen die Manager mit Rückendeckung des Bundes einen klaren Kurs. Die schrumpfenden nationalen Brieferlöse sollten durch Gewinne aus dem weltweiten Logistikgeschäft kompensiert werden. Und so kaufte der Konzern in atemberaubender Geschwindigkeit mehr als 200 Firmen ein, darunter namhafte Adressen wie die Schweizer Spedition Danzas oder die britische Expressfirma DHL.

Die Konkurrenz formiert sich erneut

Aber die Rechnung ist bislang nicht aufgegangen. Zwar spielt die Post nun in der Liga der Logistikkonzerne ganz oben mit und verantwortet fünf Prozent des weltweiten Warentransports. Viel hat sie damit aber noch nicht verdient. Eher das Gegenteil. Zuletzt verbrannte sie durch den missglückten Einstieg in das US-Expressgeschäft sieben Milliarden Euro. Und nun zeigt sich in der Wirtschaftsflaute auch die Konjunkturanfälligkeit des Logistikgeschäfts. So muss die Post Lagerhäuser schließen, die sie für den Versandhändler Quelle betrieben hat. Hier drohen weitere Abschreibungen in Millionenhöhe.

Geld verdienen wird die Post im Krisenjahr 2009 nur dank der Briefsparte. Das sagt Andrea Kocsis immer wieder. Doch auch sie weiß, dass die jahrelang üppigen Gewinnmargen schmaler werden. So könnte die neue Bundesregierung die Mehrwertsteuerbefreiung der Post zum Teil kippen. Zudem dürfte Geschäft wegbrechen, wenn die Behörden ihre Mitteilungen elektronisch verschicken, um Porto zu sparen - hier läuft ein Pilotversuch der Telekom. Und die zwischenzeitlich durch die Einführung des Mindestlohns für Briefträger geschwächte Konkurrenz formiert sich ebenfalls erneut: So kooperiert die niederländische TNT mit einigen Zeitungsverlagen.

Auf ihren Touren begegnet Michaela Frank immer wieder den Boten von Firstmail, der hauseigenen Konkurrenz. Vor sechs Jahren hat die Deutsche Post den lokalen Briefdienstleister gekauft. Wer hier arbeitet, verdient deutlicher weniger und hat weniger Urlaub. Für die Post ist First Mail ein Versuchslabor. Frank aber macht meist einen Bogen um den Kollegen. Bis heute schaffe sie es nicht, ihn zu grüßen, sagt sie. Denn da ist sie sich sicher: Auch wenn Postchef Appel nun weitere Verlagerungen für die nächsten zwei Jahre ausgeschlossen hat - es ist nur eine Gnadenfrist.

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Quelle:
SZ vom 31.10.2009
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