Süddeutsche Zeitung

Staatsverschuldung:Warum die Lehren von Keynes in der Corona-Krise helfen

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Der britische Ökonom John Maynard Keynes starb vor genau 75 Jahren. Seine Theorie ist unverzichtbar. Die USA gehen sogar einen Schritt weiter.

Kommentar von Alexander Hagelüken

Zu John Maynard Keynes gibt es reichlich Bemerkenswertes. Der Ökonom verließ die britische Delegation nach dem Ersten Weltkrieg, weil er zu Recht glaubte, Deutschland könne die geforderten Reparationen nicht erwirtschaften. Er erspekulierte sich an der Börse mehrere Millionen. Und er sah voraus, dass die Maschinen dem Menschen immer mehr Arbeit abnehmen. Aus seiner Sicht keine Katastrophe, sondern die Chance auf ein Leben "der Freizeit und des Überflusses".

Am wichtigsten erscheint bis heute Keynes' Theorie, der Staat solle in Krisen eingreifen, um Massenarbeitslosigkeit zu verhindern. Das führt zum Kern der ökonomischen Debatte über die Pandemie. Verschuldet sich Deutschland zu sehr, um die Krise abzufedern? Schießt US-Präsident Joe Biden übers Ziel hinaus? Der politische Umgang mit den Ideen von Keynes, der an diesem Mittwoch vor 75 Jahren starb, ist hochinteressant.

Als der Brite in den 1930er-Jahren seine Theorie formulierte, war die Weltwirtschaft schwer in der Krise. Keynes' Kollegen in Cambridge wie Arthur Cecil Pigou glaubten an Vollbeschäftigung, wenn die Löhne nur genügend fielen. Das war nicht nur herzlos, sondern auch falsch - und politisch fatal. Millionen wurden arbeitslos, in Deutschland gelangte Hitler an die Macht. Keynes verwarf den Marktglauben. Der Kapitalismus tendiere nicht automatisch zur Vollbeschäftigung, so sein - damals revolutionäres - Postulat. Der Staat müsse in der Krise ausfallende Nachfrage durch eigene Investitionen ersetzen.

Keynes lieferte damit einen der wichtigsten Beiträge der Ökonomie. Nach 1945 bestimmte er jahrzehntelang die Wirtschaftspolitik. Er geriet in Misskredit, als Regierungen immer mehr Geld ausgaben, statt die Defizite in guten Zeiten zu reduzieren, wie es Keynes vorsah. Ab den 1980ern folgte die neoliberale Gegenbewegung, die den Markt wieder turmhoch über den Staat stellte. Doch das war genauso falsch wie übertriebener Keynesianismus - das zeigen gewachsene Ungleichheit genauso wie die Exzesse, die die Finanzkrise 2008 auslösten.

Nur indem der Bund viel Geld ausgibt, verhindert er die Massenarbeitslosigkeit

Mit der Finanzkrise kehrte Meister Keynes zurück, wie es sein Biograf Robert Skidelsky ausdrückt. Der Meister ist auch in der Corona-Krise unverzichtbar. Nur indem die Bundesregierung viel Geld ausgibt, verhindert sie die Massenarbeitslosigkeit, die in früheren Krisen entstand. All die Bedenkenträger, die wegen dieser Ausgaben Überschuldung und Hochinflation vorhersagen, liegen falsch. Die Finanzkrise 2008 hat die Regierung auch mit hohen Ausgaben bekämpft. Die Schulden stiegen auf 80 Prozent der Wirtschaftsleistung, sanken aber in der folgenden Dekade wieder auf 60 Prozent. In der Pandemie steigen die Schulden sogar weniger stark als in der Finanzkrise. Und die Zinsen, die der Staat zahlen muss, sind niedriger als damals. Es wird auch diesmal weder zu Überschuldung noch zu hoher Inflation kommen.

Europa reagiert in der Pandemie sogar besser als nach der Finanzkrise. Damals verweigerten Deutschland und andere Staaten Griechenland, Italien und Co. keynesianische Impulse, was Südeuropa ein verlorenes Jahrzehnt einbrockte. Diesmal gibt es den EU-Aufbauplan von 750 Milliarden Euro, der den Kontinent belebt - wenn das Geld endlich fließt.

Noch größer denken die USA. Joe Biden legt gleich zwei Programme auf, mit bis zu sechs Billionen Dollar. Das lässt den EU-Plan verdruckst aussehen. Aber tut Biden damit nicht zu viel des Guten, also etwas Schlechtes? Nur als Reaktion auf die Pandemie wäre das tatsächlich zu viel Geld. Bei Bidens zweitem, viel größerem Programm geht es aber um anderes als Krisenhilfe. Der Präsident will die Infrastruktur des Landes reparieren, in Bildung und Klimaschutz investieren.

Damit könnte er in einem tief gespaltenen Land Wunden heilen. Er folgt gleichzeitig einem weniger bekannten Postulat von John Maynard Keynes: Der Staat solle auch außerhalb von Krisen regelmäßig investieren. "Der Staat, der langfristig denken kann, sollte eine immer größere Verantwortung übernehmen, direkt Investitionen zu organisieren", schrieb Keynes 1936. Bidens Plan markiert eine grundsätzliche Abkehr von der neoliberalen Sparpolitik, mit der die Regierungen seit den 1980ern auch in Deutschland die Investitionen reduzierten - zum Schaden ihrer Bürger. Nun muss der US-Präsident nur noch zeigen, dass er seine Programme solide finanziert. Also nicht nur durch Schulden, sondern auch durch zusätzliche Einnahmen. Dafür wären etwa höhere Steuern für Amerikas Reiche, die seit den neoliberalen Irrjahren absurd beschenkt werden, genau das Richtige.

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