Süddeutsche Zeitung

Corona:Warum es Zoff um den Impfstoff gibt

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Ein Vakzin gegen das Coronavirus hat Curevac bis heute nicht auf dem Markt. Jetzt klagen die Tübinger gegen den erfolgreichen Konkurrenten Biontech. Was dahintersteckt.

Von Werner Bartens und Christina Kunkel

Die Klage kommt spät, aber sie hat es in sich: Das biopharmazeutische Unternehmen Curevac aus Tübingen verklagt den Impfstoffhersteller Biontech, dessen Impfstoff gegen das Coronavirus dem Mainzer Unternehmen in den vergangenen eineinhalb Jahren Milliardengewinne beschert hat. Curevac sieht "seine geistigen Eigentumsrechte aus mehr als zwei Jahrzehnten Pionierarbeit in der mRNA-Technologie" durch Biontech verletzt, teilt das Unternehmen mit.

In der Tat haben die Forscher von Curevac, allen voran Gründer Ingmar Hoerr, zusammen mit anderen die Grundprinzipien der mRNA-Technologie erfunden, auf der die Entwicklung der Vakzine von Biontech und Moderna basiert, die keine Vorarbeiten in diesem Ausmaß geleistet haben. Dennoch hat Curevac in kurzer Zeit den Anschluss verloren. Vergangenes Jahr machte Biontech mehr als zehn Milliarden Euro Gewinn - eine traumhafte Marge, wenn man den Umsatz von rund 19 Milliarden Euro betrachtet. Und das alles mit dem Corona-Impfstoff Comirnaty als Blockbuster.

Ganz anders sieht es bei Curevac aus. Noch immer leidet das Unternehmen unter seinem Fehlschlag, ebenfalls einen Covid-Impfstoff auf mRNA-Basis zu entwickeln. Im Herbst 2021 hatten die Tübinger ihren ersten Impfstoff-Kandidaten aufgegeben und den Zulassungsantrag zurückgezogen. Seitdem arbeitet Curevac mit dem britischen Pharmakonzern Glaxo Smith Kline (GSK) an einem neuen Covid-Vakzin. Auch für den Nachfolge-Impfstoff wird es nicht leicht. Schließlich wäre es für die notwendigen klinischen Tests optimal, wenn der Impfstoff an Probanden getestet werden könnte, die keinen Kontakt mit Virus oder Impfung hatten. Da mittlerweile fast alle Menschen in Europa und Nordamerika entweder mehrfach geimpft oder genesen sind, lässt sich das nur schwer umsetzen.

Curevac macht immer noch Millionenverluste

Und so schreibt Curevac weiterhin Verluste, wenn auch nicht mehr ganz so hohe. Im ersten Quartal waren es 15,2 Millionen Euro Verlust vor Steuern (2021: 112,2 Millionen). Immerhin stieg der Umsatz auf 24,4 Millionen Euro (Vorjahreszeitraum: zehn Millionen). Man konzentriere sich darauf, die Kosten weiter zu kontrollieren, sagte Finanzvorstand Pierre Kemula bei der Vorlage der Quartalszahlen - nach großer Aufbruchsstimmung hörte sich das nicht an.

In dieser Situation käme Geld, das Curevac etwa bei einer außergerichtlichen Einigung mit Biontech erhalten könnte, gerade recht. Zumindest stellten die Tübinger in ihrer ersten Mitteilung zur Klage klar, dass man keine einstweilige Verfügung anstrebe und auch nicht beabsichtige, "rechtliche Schritte einzuleiten, die die Produktion, den Verkauf oder den Vertrieb" des Biontech-Impfstoffs behindern könnten. Vor diesem Hintergrund ist auch der Zeitpunkt der Klage zu sehen. Curevac wollte auf dem Höhepunkt der Pandemie den Erfolg der Impfkampagne nicht gefährden. Vielmehr sehen die Tübinger Forscher die rasante Entwicklung der Vakzine "als enorme Leistung, die einen außerordentlich wichtigen Einfluss auf die globale öffentliche Gesundheit hatte", so die Firmenmitteilung. Offensichtlich hat es zu Beginn der Pandemie eine Art Nichtangriffspakt zwischen den Unternehmen gegeben. Möglichst schnell einen Impfstoff zu entwickeln, hatte oberste Priorität.

Curevac sieht das Patentrecht besonders in vier Fällen verletzt. Dabei handelt es sich um Details der technischen Herstellung von mRNA-Molekülen, beispielsweise um Modifikationen der mRNA-Sequenz, wodurch die Stabilität des Wirkstoffs und die Ausbeute der für das Vakzin notwendigen Proteine erhöht werden. Auch die Impfstoffformulierung, wie sie für die Vakzine gegen Sars-CoV-2 spezifisch ist, geht zu erheblichen Teilen auf die Vorarbeiten von Curevac zurück. Welche Summe sich das Unternehmen als "faire Entschädigung" für seine "Pionierarbeit" in der mRNA-Entwicklung vorstellt, sagte Curevac-Vorstandschef Franz-Werner Haas nicht.

Eine Einigung ist nicht in Sicht

Noch sieht es nicht nach einer Einigung aus. Die Arbeit des Unternehmens sei "originär, und wir werden sie entschieden gegen alle Anschuldigungen der Patentverletzung verteidigen", so Biontech. Es sei nicht ungewöhnlich, dass andere Pharmafirmen nach dem Erfolg des Biontech-Vakzins behaupteten, der Impfstoff verletze womöglich ihre geistigen Eigentumsrechte.

Das US-Pharmaunternehmen Alnylam klagt etwa auf Schadenersatz wegen der Verwendung der LNP-Technologie (Lipid-Nanopartikel), die in den Impfstoffen von Biontech/Pfizer, aber auch in dem von Moderna verwendet wird, um genetisches Material in den Körper zu transportieren und abzugeben. 2020 ging Allele Biotechnology and Pharmaceuticals aus San Diego mit dem Vorwurf der Patentverletzung gegen Biontech/Pfizer vor Gericht. Später einigten sich die Unternehmen "zufriedenstellend", wie sie mitteilten.

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