Süddeutsche Zeitung

Brexit:EU greift nach Milliardengeschäft der Briten

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Von Björn Finke und Alexander Mühlauer, Brüssel/London

Die Brexit-Verhandlungen haben noch nicht einmal begonnen, und schon greift die EU nach einem Milliardengeschäft in Großbritannien. Geht es nach der Europäischen Kommission, soll es alleine im Ermessen der EU liegen, ob der Handel mit Euro-Wertpapieren nach dem EU-Austritt des Vereinigten Königreichs 2019 weiter in London abgewickelt werden darf - oder nicht. Die Brüsseler Behörde legte am Dienstag einen entsprechenden Gesetzesentwurf vor. Wandert das Geschäft aus London ab, bedroht dies Zehntausende Jobs an der Themse.

Bisher ist London der wichtigste Handelsplatz für das sogenannte Euro-Clearing. Dabei geht es um die Abwicklung des Handels mit Euro-Derivaten. Das sind Finanzverträge, die Banken oder Firmen abschließen, um sich gegen Währungs- und Zinsschwankungen beim Euro abzusichern. Die Abwicklung übernehmen in Europa zum Beispiel die Clearinghäuser der Deutschen Börse, Eurex, oder der London Stock Exchange, LCH. Doch die Gewichte sind höchst ungleich verteilt: Drei Viertel des gesamten Geschäfts laufen derzeit über London. Täglich wechseln dort Derivate im Wert von 850 Milliarden Euro den Besitzer.

Großbritannien ist nach dem Brexit nicht mehr im Hoheitsgebiet der EU-Finanzaufsicht. Darum will die Kommission die EU-Marktaufsichtsbehörde Esma in Paris mit mehr Befugnissen ausstatten. In einem ersten Schritt soll die Esma als "erweiterte Aufsicht" auch außerhalb der EU tätig sein können. Vorbild sind die Befugnisse von US-Behörden, die das Recht haben, Dollar-Geschäfte in London zu überprüfen und sensible Daten einzusehen. In einem zweiten Schritt soll die Esma entscheiden können, ob ein Clearinghaus außerhalb der EU "systemrelevant" ist. Ob es also mit derartig hohen Volumen von Euro-Wertpapieren handelt, dass Probleme bei dem Clearinghaus die Stabilität der EU-Finanzmärkte bedrohen könnten. In London ist dies der Fall. Daher könnte die Behörde in einem letzten Schritt anordnen, das Geschäft von dort in die Europäische Union und damit ins Hoheitsgebiet der EU-Finanzaufsicht zu verlagern.

Eine Alternative wäre, dass der Handel in London bleibt, doch EU-Aufseher das Clearing dort überwachen dürfen. Die Handelshäuser wären an EU-Regeln gebunden. So eine Lösung zu akzeptieren, würde aber den Brexit-Anhängern in der Konservativen Partei und der Regierung in London schwerfallen. Schließlich soll der Austritt das Land von der Einmischung Brüssels befreien. Dem Vorschlag der Kommission müssen die europäischen Regierungen und das EU-Parlament erst noch zustimmen. Bei den Verhandlungen zwischen Brüssel und London über die künftigen Beziehungen wird das Thema sicher ebenfalls eine Rolle spielen. Der vorliegende Entwurf weist darauf hin, dass die EU offenbar eine harte Linie verfolgen wird.

Entsprechend alarmiert ist die Bankenlobby in London. Das Euro-Clearing aufs Festland zu verlagern, sei "im Interesse von niemanden", sagt Miles Celic, der Chef des Branchenverbandes The City UK. Der Markt in London verfüge über die nötige Größe, Infrastruktur und Expertise, um diese Geschäfte so billig wie möglich abzuwickeln. Den Markt zu zersplittern, würde nur die Kosten für Unternehmen und Investoren erhöhen, die sich mit Derivaten vor Risiken schützen wollen. Diese Kunden müssen für ihre Derivate-Geschäfte Sicherheiten hinterlegen. Können sie möglichst viele ihrer Käufe und Verkäufe an einem Ort abwickeln, müssen sie weniger Sicherheiten aufwenden, weil Orders gegeneinander verrechnet werden können.

Xavier Rolet, der Chef der Börse London Stock Exchange, warnt, eine Verlagerung des Clearing würde auf dem Kontinent nur "einen illiquiden und systematisch gefährlicheren Rumpf-Markt" schaffen. Rolets Unternehmen betreibt auch in Paris ein Clearinghaus. Das würde von einer Verlagerung profitieren, während das Londoner Schwesterhaus LCH leiden würde.

Frankfurt und Paris könnten die Profiteure sein

Clearinghäuser selbst beschäftigen nicht viele Mitarbeiter. Ein Abzug des Euro-Clearing könnte trotzdem bis 2024 indirekt 83 000 Jobs im Königreich kosten - bei Banken, Brokern, Fondsfirmen, spezialisierten Anwälten und Wirtschaftsprüfern. Dies ist das Ergebnis einer Studie, welche die Berater von Ernst & Young im Auftrag der Londoner Börse erstellt haben. Politiker in Frankfurt und Paris hoffen, dass viele der Stellen in ihre Städte abwandern.

Der Brexit bedroht aber nicht nur das Euro-Clearing an der Themse. Auch andere Finanzdienstleistungen können wohl in Zukunft nicht mehr von London aus für Kunden auf dem Festland erbracht werden. Bisher können die Konzerne an Europas wichtigstem Finanzplatz problemlos auf dem ganzen Kontinent Geschäfte tätigen. Sie benötigen dafür keine Genehmigungen der einzelnen Staaten, die britische reicht. Da Großbritannien nach dem Brexit nicht am Binnenmarkt teilnehmen will, fällt dieses Privileg weg. Die Banken müssen dann Abteilungen und Tausende Jobs in EU-Staaten verschieben, wollen sie dort weiter Produkte anbieten.

Am Dienstag war immer noch unklar, wann die Austrittsverhandlungen zwischen London und Brüssel starten. Eigentlich sollte es am kommenden Montag so weit sein. Doch der Termin wackelt wegen der schwierigen Regierungsbildung in London. Schwierig werden auch die Brexit-Gespräche - wie der EU-Vorschlag zum Euro-Clearing zeigt.

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SZ vom 14.06.2017
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