Süddeutsche Zeitung

Tarifstreit:Gericht lehnt Antrag der Bahn ab - Lokführer-Streik geht weiter

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Die Bahn kündigt an, Berufung einlegen zu wollen. Der Konzern vermutet hinter dem fünftägigen Streik der Lokomotivführer politische Ziele, die nicht in einem Tarifvertrag regelbar seien.

Von Markus Balser, Berlin, und Juri Auel, Berlin

Die Lokführergewerkschaft GDL darf ihren massiven Bahnstreik fortsetzen. Das entschied das Frankfurter Arbeitsgericht am Donnerstagabend im Eilverfahren. Der größte deutsche Staatskonzern hatte der GDL und ihrem Chef Claus Weselsky vorgeworfen, mit dem bislang längsten Arbeitskampf gegen geltendes Recht zu verstoßen. Die Deutsche Bahn war am Donnerstagmorgen in Frankfurt, dem Sitz der GDL, deshalb vor Gericht gezogen. Noch am gleichen Abend aber lehnten die Richter den Antrag der Bahn ab und entschieden, dass die Streikziele der GDL nicht offensichtlich rechtswidrig seien.

Für den Staatskonzern ist der Beschluss eine schwere Niederlage. Eine Sprecherin der Bahn sagte, man gehe im Interesse der Kunden gegen den Streik vor und kündigte an, dass der Konzern Berufung gegen die Entscheidung einlegen werde. Über diese wird voraussichtlich bereits an diesem Freitag vor dem Landesarbeitsgericht in Frankfurt verhandelt.

"Die Kammer hat uns ganz klar bestätigt: Die Arbeitskampfmaßnahme ist rechtmäßig, sie ist zulässig und sie ist auch verhältnismäßig", sagte Weselsky nach der Verhandlung. "Dieses große Kino ist die exakte Wiederholung der Geschichte aus 2014 und 2015." Schon in der damaligen Tarifrunde hatte die Bahn gegen den Arbeitskampf der GDL geklagt und ebenfalls verloren. Weselsky sagte zudem, der Streik gehe weiter, bis die Bahn ein "materiell vernünftiges Angebot" mache. "Wer Kompromisse sucht, wird sie mit uns finden." Seine Gewerkschaft sei "immer zu Verhandlungen bereit".

Der Streik sei "völlig unnötig", die GDL habe jeden Schritt, den die Bahn auf sie zugegangen sei, "mit Blockade quittiert", sagte die Sprecherin der Bahn. Man sei sich bewusst gewesen, dass die Hürden in einem Eilverfahren sehr hoch seien und dass das Streikrecht in Deutschland "aus gutem Grund" sehr geschützt sei. Dennoch sehe die Bahn die Verantwortung im Interesse ihrer Kunden "nichts unversucht zu lassen", um diesen Streik zu beenden. Die Sprecherin merkte zudem an, dass sich das Gericht trotz des Urteils gegen die Bahn mit der Frage beschäftigt habe, ob die Gewerkschaft in Wirklichkeit gegen das Tarifeinheitsgesetz - "ein Tarifvertrag je Betrieb" - unzulässig streike. Die Bahn arbeite daran, den Kunden auch in den kommenden Tagen ein "stabiles Grundangebot" zu bieten. So sollen ab Samstag die Kapazitäten im Fernverkehr auf etwa 30 Prozent des normalen Fahrplans erhöht werden. Bislang seien es 25 Prozent. Im Regionalverkehr werden 40 Prozent angestrebt.

Auch für Bahnreisende verpufft nun zunächst die Hoffnung, dass sich der Zugverkehr schon deutlich vor dem geplanten Streikende am Dienstag normalisiert. Der heftigste Arbeitskampf bei der Bahn war seit Mittwochabend dramatisch eskaliert. Die Bahn hatte die GDL wenige Stunden vor Beginn der Streiks am Donnerstag früh mit einem neuen Angebot überrascht. Die Bahn hatte in dieser Offerte zwar Forderungen wie 3,2 Prozent mehr Gehalt und eine Corona-Prämie von 600 Euro erfüllt, war jedoch beim Ziel einer Nullrunde für dieses Jahr geblieben. Auch die Forderung nach mehr Einfluss der GDL in weiteren Unternehmensteilen lehnt der Konzern weiterhin strikt ab. Das Angebot sei "nicht annehmbar" und "vergiftet", sagte GDL-Chef Claus Weselsky am Donnerstag. Der Bahn gehe es darum, die Existenz der GDL anzugreifen. Die GDL fürchtet, durch das Tarifeinheitsgesetz an Einfluss zu verlieren, das nur noch die Tarifverträge der größeren Gewerkschaft zum Zug kommen lässt.

Europäische Liefer- und Versorgungsketten betroffen

Nach der Auseinandersetzung vor Gericht könnte sich die Tonlage zwischen Unternehmen und Gewerkschaft in den kommenden Wochen noch weiter verschärfen. Immer entschiedener warnen Verbände bereits vor den Langfristfolgen eines noch heftigeren Arbeitskampfes. Werde die Bahn für ihre Kunden unberechenbar, kehrten die dem Verkehrsmittel den Rücken, warnte Gerhard Curth, Präsident des Bahnkundenverbandes. In einem Brief an GDL-Chef Weselsky forderte Curth rasche Verhandlungen mit der Bahn: "Denken Sie an die Menschen, die in ländliche Räume umgezogen sind und in Vertrauen auf die Bahn ihr Auto abgeschafft haben."

Im Güterverkehr streiken die Lokführer schon seit Mittwoch. Dort kommt es inzwischen zu einem Rückstau von mehr als 200 Zügen. "Das bedeutet auch, dass an den Grenzen zu Deutschland nicht mehr alle Güterzüge angenommen werden können", erklärte die Bahn. Der GDL-Streik wirke sich auch auf europäische Liefer- und Versorgungsketten aus.

Für Reisende gelten während der Streiktage kulante Regeln. Fällt ein Zug wegen des Streiks aus oder verpassen Passagiere einen Anschluss, können sie ohne Aufpreis auf einen beliebigen anderen Zug ausweichen oder das Ticket zurückgeben. An den Streiktagen gekaufte Tickets bleiben zudem bis zum 17. September gültig und können flexibel genutzt werden. Bei Sparpreisen und Super-Sparpreisen ist die Zugbindung aufgehoben. Die Bahn appellierte aber erneut an ihre Kunden, Reisen in den kommenden Tagen möglichst zu verschieben.

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