Süddeutsche Zeitung

Atomkraft:Strahlender Polit-Sprengstoff

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Mit der Abwahl von Schwarz-Rot kippt voraussichtlich der Atomausstieg. Die Energiekonzerne jubeln, Grüne und Atomkraftgegner bringen sich in Stellung und Unionspolitiker wollen Geld sehen.

Die Bundestagswahl hat zweifellos Sieger hervorgebracht. Das sind die wiedergewählte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), der erfolgreiche FDP-Chef Guido Westerwelle - und voraussichtlich auch die Atomkraft.

Denn Union und FDP wollen den Atomausstieg in seiner bislang beschlossenen Form aushebeln und die Laufzeiten der deutschen Meiler verlängern. Die Atombranche hingegen will der neuen Regierung die Entscheidung erleichtern und bietet nun an, Zusatzgewinne in erneuerbare Energien zu stecken.

Gegen längere Laufzeiten formiert sich aber bereits Widerstand innerhalb und außerhalb des Parlaments.

"Die Zukunft der Atomenergie wird der bestimmende Konflikt der kommenden Legislaturperiode sein", erwartet Jochen Stay von der bundesweiten Anti-Atom-Organisation ausgestrahlt. "Es gibt ganz viele Leute, die jetzt sagen, wir müssen gegen die Atompolitik von Union und FDP auf die Straße gehen."

Rückfall in neunziger Jahre befürchtet

Auch Grünen-Spitzenkandidatin Renate Künast kündigte bereits an, dass ihre Partei im Kampf gegen längere Laufzeiten die Zusammenarbeit mit außerparlamentarischen Bewegungen "dringend weiter ausbauen" wolle.

Die Atomkraftgegner befürchten einen Rückfall in die neunziger Jahre, bevor die rot-grüne Regierung den Ausstieg aus der Atomenergie bis 2021 beschloss.

Diese Angst ist nicht grundlos: Die Union will die Laufzeiten der Atommeiler verlängern und die Kernkraft in einem Energiemix als "Brückentechnologie" nutzen, bis sie durch erneuerbare Energien ersetzt werden kann. Auch die Liberalen sprechen sich dafür aus, die Atommeiler über die bislang festgelegten Daten hinaus am Netz zu lassen.

Die Atombranche will der neuen Regierung die Entscheidung nun offenbar erleichtern und zeigt sich offen für die Forderung der Union, Zusatzgewinne der Betreiber aus der Laufzeitverlängerung in die Forschung für erneuerbare Energien zu stecken.

"Vergiftetes Angebot"

"Wir haben von vorneherein gesagt, wenn dadurch Mehrwert generiert wird, wird der auch geteilt", sagte RWE-Vorstandschef Jürgen Großmann am Dienstag in der ARD. Möglich seien etwa Investitionen in Leitungen für Strom aus Windkraft. Auch Eon-Chef Wulf Bernotat zeigte sich im Handelsblatt zu solchen Vereinbarungen bereit.

Stay sieht in der Ankündigung der Atombranche ein "vergiftetes Angebot". Das Geschäftsmodell der Energiekonzerne basiere weiterhin auf dem Grundsatz: "Riesige Gewinne für wenige - unverantwortbare Risiken für alle."

Daran werde sich auch nichts ändern, wenn die Branche einen Teil der Gewinne abgebe, kritisiert Stay. Auch Greenpeace-Atomexperte Mathias Edler warnt vor verlängerten Laufzeiten: "Der Regierungsauftrag für Schwarz-Gelb ist nicht gleichzeitig als Votum für die Atomkraft zu sehen."

Umfragen zeigten, dass eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung längere Laufzeiten ablehne. Gingen Union und FDP dennoch in diese Richtung, "werden sie die gesellschaftlichen Gräben in der Atomfrage neu aufreißen", sagt Edler.

Politische Quittung

Mit welchen Beschlüssen Schwarz-Gelb dies tun könnte, wird im Koalitionsvertrag stehen. Doch die Atomkraftgegner wollen nicht das Ende der Gespräche abwarten, bis sie sich gegen die neue Regierung in Stellung bringen.

"Mit Beginn der Koalitionsverhandlungen in Berlin werden wir unsere Proteste starten. Wir werden jedes Treffen belagern und vor der Tür demonstrieren", kündigt Stay an. "Und wenn die Verhandlungen einen Monat dauern, werden wir auch das durchhalten."

Die Proteste könnten ein Vorgeschmack auf die kommenden vier Jahre sein. "Wenn Deutschland die internationale Vorreiterrolle beim Atomausstieg aufgibt, wird die Regierung auch die politische Quittung dafür bekommen", sagt der Politologe Lutz Mez von der Forschungsstelle Umweltpolitik der FU Berlin.

Die werde dann durch schlechte Ergebnisse bei Landtagswahlen und durch ein Aufleben der Anti-Atom-Bewegung ausgestellt.

Lesen Sie auf der zweiten Seite, wie der Staat die höheren Zusatzgewinne bei längeren Laufzeiten teilweise abschöpfen will.

Entsprechend verhalten fallen die ersten Äußerungen zur Energiepolitik aus dem Lager der künftigen schwarz-gelben Bundesregierung aus. Auf jeden Fall werde die Abkehr vom Atomausstieg an Bedingungen geknüpft, hieß es.

"Es wird noch intensive Diskussionen geben", sagte die baden-württembergische Umweltministerin Tanja Gönner (CDU). Sie nannte als Knackpunkte das Thema Sicherheit und die Nutzung der zusätzlichen Milliardengewinne der Betreiber.

Derzeit sind noch zwölf wirtschaftlich genutzte Atomkraftwerke mit insgesamt 17 Reaktoren in Deutschland in Betrieb. Union und FDP sind sich einig, sie länger laufen zu lassen als nach dem Atomkonsens von 2000 geplant. Beide Parteien haben sich aber auch dafür ausgesprochen, einen Teil der zusätzlichen Gewinne der Energieversorger abzuschöpfen. Den Gewinn aus der Stromproduktion in einem abgeschriebenen Atomkraftwerk schätzen Experten auf eine Million Euro pro Tag.

"Noch so manche schwierige Frage zu klären"

CDU-Politikerin Gönner, die als künftige Bundesumweltministerin gehandelt wird, sagte der Financial Times Deutschland: "Wir werden mit den Konzernen noch so manche schwierige Frage zu klären haben." Vor allem müsse ihnen klar sein, dass das oberste Kriterium für längere Laufzeiten die Sicherheit der Anlagen sei.

Spannend würden die Fragen, wie die Zusatzgewinne definiert würden und in welcher Form der Staat sie teilweise abschöpfen sollte. Sie warnte zudem die Wirtschaft davor, sich von längeren Laufzeiten laxere Ziele beim Klimaschutz zu versprechen: Die Verlängerung dürfe nicht dazu führen, dass es in anderen Sektoren zu einem Mehrausstoß an Kohlendioxid komme. "Das wäre kontraproduktiv."

RWE-Chef Großmann sagte im ARD-"Morgenmagazin", ein Teil der möglichen Gewinne könne in erneuerbare Energie investiert werden. Wenn durch längere Laufzeiten Mehrwert generiert werde, werde dieser auch geteilt. "Damit kann man viele andere Dinge tun. Auch die Leitungen bauen, um die Windkraft von Norden nach Süden zu transportieren."

Auf eine genaue Aufteilung der Atomkraft-Gewinne wollte sich der Vorstandsvorsitzende des zweitgrößten deutschen Energiekonzerns aber nicht festlegen: "Ich glaube, dieses Gespräch sollte ich mit der Bundeskanzlerin (Angela Merkel) führen."

Enorme Zusatzgewinne bei längerer Laufzeit

Zunächst müsse man sich über den Energiemix der Zukunft unterhalten. "Immerhin ersparen uns die Kernkraftwerke im Jahr 150 Millionen Tonnen CO2", sagte Großmann.

Wie hoch die Zusatzgewinne sind, hängt entscheidend davon ab, wie viel länger die Reaktoren produzieren dürfen. Nach einer Studie der Landesbank Baden-Württemberg könnten sie sich bei einer Verlängerung der Laufzeit um 25 Jahre auf 200 Milliarden Euro summieren - eingerechnet die Steigerung des Börsenwerts der Energieversorger. Eine Verlängerung um zehn Jahre brächte diesen Berechnungen zufolge bis zu 38 Milliarden Euro.

Die 25 Jahre Laufzeitverlängerung hat Großmann selbst Anfang des Jahres ins Gespräch gebracht. In den Programmen von Union und FDP sind keine Daten genannt. Der bayerische Umweltminister Markus Söder hatte vor der Wahl acht zusätzliche Jahre vorgeschlagen.

Dass es zur Abkehr vom Atomausstieg kommt, halten die meisten Bundesbürger für ausgemacht. Gut die Hälfte von 1500 Befragten in einer Studie des Meinungsforschungsinstituts YouGov äußerten diese Erwartung.

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