Süddeutsche Zeitung

Kolumne "Eigener Herd":Kleiner Kuchen, große Wirkung

Lesezeit: 3 min

Wer Trost sucht, sollte Madeleines essen, sagen die Franzosen. Das beste Rezept stammt aber aus Luxemburg - von Léa Linster.

Von Marten Rolff

Mehr als ein Jahr nach Beginn der Pandemie ist die Lage in der Küche unübersichtlich geworden. Die neue Lust am eigenen Herd, eigentlich eine der wenigen erfreulichen Nebenwirkungen von Corona, scheint immer mehr dem Überdruss zu weichen, sich jeden Tag ums Essen kümmern zu müssen. Gastronomen rätseln, ob Armin Laschets "Brücken-Lockdown" eine Brücke in die Normalität sein soll oder eine in die endgültige Pleite. Und obwohl die Fastenzeit gerade erst zu Ende ist, sind wir dem Ziel, den Gummibund der Jogginghose endlich vollständig auszufüllen, schon wieder ein Stück näher gekommen.

Weiterwurschteln heißt das öde Programm. Und weil es zu offensichtlich unschön wäre, in dieser Phase dreimal am Tag von den österlichen Schokoresten zu zehren, brauchen wir halbwegs zivilisierte Rezepte, die uns daran erinnern, dass das Belohnungszentrum im Hirn noch am Leben ist. Es geht jetzt darum, mit den Serotonin-Vorräten zu haushalten, bis der April-Hagel aufhört, die Pfingstferien beginnen, Herdenimmunität in Sicht ist oder die verschollen geglaubte Erbtante uns einlädt, den Sommer bitte in ihrem Haus mit Seegrundstück und Koch zu verbringen.

Madeleines sind natürlich die besseren Muffins

Doch bevor das alles nicht eintritt, gibt es realistischere (und schnellere) Belohnungen. Madeleines zum Beispiel, an die gerade auch die neue und empfehlenswerte "Gourmet-Bibel Frankreich" ("Absolut alles über die französische Küche", Christian-Verlag) in einem Kapitel erinnert. Wer einmal gute Madeleines probiert, fragt sich, welcher Marketinggott es geschafft hat, dass ausgerechnet die trockenen Muffins es zum beliebtesten Kleingebäck der Welt bringen konnten. Schließlich sind Madeleines nicht nur edler und einfacher zu machen, sondern schmecken einfach besser.

Nicht umsonst widmet Marcel Proust den "kleinen prallen Küchlein" eine ganze Passage in "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit". Die Beschreibung, wie schon wenige golden karamellisierte Krümel eine Welle wohliger Kindheitserinnerungen auszulösen vermögen, so wie "die Liebe mich mit einer kostbaren Essenz erfüllt", gehört zu den bekanntesten kulinarischen Zitaten der Literaturgeschichte. Dass Geruch oder Geschmack Erinnerungen triggern, wird seitdem auch als "Madeleine-Effekt" bezeichnet. Der kleine Kuchen gilt damit als großer Trostspender, als Mutter aller Auslöser für unser Belohnungszentrum.

Erste Rezepte für Madeleines sollen schon vor mehr als 300 Jahren aufgetaucht sein, sicher ist aber wohl nur zweierlei: Das Feingebäck stammt aus Commercy in Lothringen. Und jede der zahlreichen Legenden um ihre Entstehung hat natürlich mit einer Köchin namens Madeleine zu tun, ob das Gebäck nun ursprünglich für den Kardinal von Retz bestimmt gewesen sein soll oder für den polnischen Ex-König und Herzog von Lothringen, Stanislaus Leszczynski.

Zudem haben Madeleines die angenehme Eigenschaft, praktisch zu sein (ist gerade sehr wichtig!). Sie schmecken zum Frühstück, zum Nachmittagstee oder als Nachspeise, also immer. Und der Teig ist kaum aufwendiger als der für Pfannkuchen. Er muss nach dem Anrühren zwar ein paar Stunden ruhen, aber abgedeckt hält er im Kühlschrank mehrere Tage, danach lassen sich damit binnen zehn Minuten jeweils so viele Madeleines aufbacken, wie man gerade mag. Der Gastroführer des Figaro kürte 2014 die Küchlein des Pariser Bäckers Fabrice le Bourdat zu den besten. Aber wir sind hier so vermessen, das Jahrzehnte alte Rezept der früheren Luxemburger Sterneköchin Léa Linster für besser zu halten. Denn Linster setzt auf geniale Schlichtheit, verzichtet auf Backpulver und verwendet dafür Mandelmehl zu besonders aromatischer Nussbutter, der Crunch wird dadurch unglaublich, ein Zuckerguss überflüssig.

Mit Nussbutter und Röstmandeln am besten

Für etwa 40 Stück (wem das zu viel ist, halbiert die Mengen) 250 g Butter erhitzen und unter Beobachtung köcheln lassen (etwa 5 Minuten), bis sie goldbraun ist und duftet. Butter durch ein feines Sieb gießen und lauwarm abkühlen lassen. Dann 8 bis 9 Eier (je nach Größe) trennen, das Eiweiß mit 250 g gesiebtem Puderzucker kurz glattrühren (Eigelb anderweitig verwenden), 100 g feines Mandelmehl (am besten wird es, wenn man die Mandeln vor dem Mahlen kurz im Ofen röstet) mit 75 g gesiebtem Mehl mischen und unter die Eiweiß-Zucker-Mischung rühren. Teig über Nacht abgedeckt in den Kühlschrank stellen. Zum Backen die Vertiefungen eines Madeleine-Blechs (im Internet ab 8 Euro) einfetten, jede etwa zu 3/4 mit Teig füllen. Madeleines im vorgeheizten Ofen bei 200 Grad backen, das kann 8 bis 15 oder sogar 20 Minuten dauern, die Formgrößen sind sehr unterschiedlich. Anschließend sofort aus der Form auf ein Rost klopfen. Lauwarm schmecken sie am besten. Und auch etwas Abrieb einer Bio-Zitrone macht sich gut im Rezept.

Léa Linster lässt übrigens bis heute keine Gelegenheit aus zu betonen, ihre Madeleines seien die besten. Das mag ein bisschen penetrant klingen, aber erstens hat sie recht, und zweitens hatte sie keine Wahl. Im stockkonservativen Luxemburg der 80er-Jahre übernahm sie zum Befremden der Stammgäste das Kegel-Lokal ihres überraschend verstorbenen Vaters und machte daraus einen Gourmettempel. Als einzige Frau der Welt gewann sie den berühmten Kochwettbewerb Bocuse d'Or. Ohne ein bisschen neurolinguistisches Tamtam, ohne mantrahaftes Eigenlob hätte sie in der Männerwelt der Spitzenküche damals kaum eine Chance gehabt.

An Linster darf man sich also ein Beispiel nehmen. Seien wir jetzt besonders nett zu uns. Loben wir uns selbst! Macht ja sonst gerade keiner. Wir schaffen das? Na klar. Aber sicher nicht, ohne uns diese Tortur ordentlich zu versüßen.

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