Süddeutsche Zeitung

Mode:Die Unfehlbare

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Inzwischen trägt sogar James Bond Rosa, aber niemand beherrschte das Spiel mit Geschlechtergrenzen so wie Marlene Dietrich. Ein neues Buch versammelt die besten Looks der Diva.

Von Anne Goebel

James Bond in Pink? Hätte vor ein paar Jahren noch niemand für möglich gehalten, aber als Daniel Craig Ende September für die "No Time To Die"-Weltpremiere in ein kirschblütenfarbenes Samtjäcklein schlüpfte, musste die Welt halt auch das hinnehmen: Der letzte Stammhalter kantiger Männlichkeit kapituliert vor dem Schwinden der Geschlechtergrenzen, die gerade schneller wegschmelzen als das arktische Packeis. Harry Styles in Gucci-Rüschen auf dem Vogue-Cover, Männer mit Colliers und rosa Schleppen auf dem roten Teppich - alles schön und total gut, aber etwas mehr Mut brauchte es 1933, um als Frau in Hosen durch Paris zu schlendern. Sie wurde dafür fast verhaftet: Marlene Dietrich, immer noch, um es neudeutsch auszudrücken, die schönste Cross-Gender-Kreatur. Die Männermätzchen von heute hätten ihr wahrscheinlich nicht mehr als eine leichte Regung der geschwungenen Brauen entlockt, wenn überhaupt.

La Dietrich ist 29 Jahre nach ihrem Tod Deutschlands einziger Weltstar im Fach Glamour, und bis auf Weiteres scheint das auch so zu bleiben. In Modemagazinen gilt sie als unfehlbare Stilinstanz, nicht nur, wenn es um das nach ihr benannte Hosenmodell mit weit schlackerndem Bein geht. Gerade hat zum Beispiel Harper's Bazaar den Leserinnen Pumps mit scharfer Spitze als Herbsttrend ans Herz gelegt, samt dem Hinweis, die habe schon Marlene getragen - was also könnte ernsthaft dagegen sprechen? Dass jetzt ein neues Buch ihre besten Looks versammelt, kommt aus Jubiläumssicht zwar ein Jahr zu früh - der 30. Todestag ist 2022 -, für Fans aber immer im richtigen Moment. Der Band "Marlene Dietrich. Die Kleider ihres Lebens" von Gabriele Katz (Langen Müller Verlag) legt mit reichlich Fotomaterial und Skizzen einen Schwerpunkt auf die Optik. Was ganz im Sinne der Protagonistin ist, die Generationen vor Social Media nach der Devise verfuhr: Vertraue keinem Abbild, das du nicht selbst manipuliert hast.

Der Dietrich-Look: Erotik und doch Stil haben

Die Verwandlung der pummeligen Studentin am Max-Reinhardt-Seminar mit rundlichem Gesicht und Vorliebe für großschleifige Sonntagskleider zur androgynen Schönheit ist ein langer Weg. Aber schon als junges Mädchen notiert Marie Magdalene Dietrich, Tochter eines Polizeileutnants, in ihr Tagebuch: "Ich geh sicher noch mal zur Bühne", den griffigen Vornamen Marlene hatte sie sich mit elf zugelegt. In den Zwanzigerjahren erarbeitet sie sich an Berliner Theatern und in ersten Filmen den Ruf einer Schauspielerin, der ein paar knappe Gesten genügen, um alle Aufmerksamkeit auf sich zu lenken - und sie fällt auf als aparte Erscheinung. Der Hamburger Anzeiger ist 1929 ganz hingerissen von ihrem "neuen Frauentyp, eine Mittelblondine mit etwas müdem Augenlid". Weiter heißt es: "Erotik und doch Stil haben, Madame sein und doch durchbrennen können, das ist der neue Typ."

In der Formulierung steckt schon ziemlich viel von dem, was Marlene Dietrich später berühmt gemacht hat: Die Mischung aus Laszivität und Kumpelhaftigkeit, für ihre wechselnden Geliebten offenbar eine letale Mixtur. Erich Maria Remarque, Jean Gabin, Yul Brunner, die Liste der gebrochenen Herzen ist lang, um nur die Männer zu nennen. Mit der Kabarettsängerin Claire Waldoff sagt man ihr im babylonischen Berlin der Zwischenkriegsjahre eine erste Skandalaffäre nach; die beiden, schreibt Gabriele Katz, halten schwarzbefrackt Hof in den Tanzlokalen des Scheunenviertels. Vier Jahre später versetzt sie mit ihrem ersten Hollywoodfilm "Marokko" (1930) das Kinopublikum in Aufregung als Blondine im Männeranzug.

"I dress for the image" ist ein vielzitierter Dietrich-Satz aus einem Interview mit dem Observer von 1960. Nein, die Diva sei sie nicht für sich allein zu Hause, sondern nur für das Publikum. Schon erstaunlich, dass die Aussage damals solche Verwunderung auslöste - offenbar wollten die Menschen unbedingt glauben, dass eine wie sie schon morgens mit leise klirrendem Diamantschmuck und Pelzstola aufwacht. Dass Marlene Dietrich Mode immer benutzt hat, um ihr Bild in der Öffentlichkeit zu perfektionieren, lässt sie heute als eine Art Visionärin des Instagram-Zeitalters erscheinen. Mit dem entscheidenden Unterschied: Als Perfektionistin hätte sie sich keinem noch so guten Bildbearbeitungsprogramm anvertraut und auch nicht dem besten Stylisten. Sie machte alles selber. Wenn schon Kunstgeschöpf, dann nach ihren Regeln.

Natürlich hat der Regisseur Josef von Sternberg, den die Nazis nach dem endgültigen Adieu der blonden Diva Richtung USA als amerikanischen "Film-Juden" verfemten, ihr Image als rätselhafte Verführerin geprägt. Mit dem "Blauen Engel" von 1930 und direkt danach mit Hollywoodproduktionen wie "Marokko", "Shanghai Express" oder "Blonde Venus". Aber wer nachliest, wie sie am Filmset schon bald die Ausleuchtung ihres Gesichts und ihres Körpers selbst überwachte, Kostüme, Schuhe, Make-up und den einen perfekten Schattenwurf einer Federboa auf ihrem Gesicht kontrollierte: Das war harte, unermüdliche Arbeit. Abgesehen von Cracker-und-Tomatensaft-Diäten, um die inzwischen schlanke Figur zu halten.

Jeder Zentimeter von Kopf bis Schuh ist Pose

Und mit derselben Disziplin sortierte sie den vermeintlich privaten Kleiderschrank. Ihre Tochter Maria Riva hat diese permanente Kostümschau, die endlosen Anproben bei Meisterschneidern und Schuhmachern in Paris oder Wien, die gestapelten Kartons voller Handschuhe, Hüte und Fuchsschwänze in ihrem Buch "Meine Mutter Marlene" mit einer Mischung aus Bewunderung und Befremden beschrieben. Während Eisenbahnfahrten dienten festgezurrte Vorhänge als Sichtschutz, um dahinter das eine Outfit in Seidenpapier zu verstauen und am Zielort in makellos sitzender Zweitgarderobe dem Waggon zu entsteigen. Lederhandschuhe gingen viele Male zurück ins Maßatelier, bis sie eng genug saßen und die Hände aussehen ließen wie "mit flüssigem Honig übergossen", schreibt Riva.

Kurz, es braucht eben ein wenig Aufwand für ein Bild wie dieses: 1933, irgendwo auf dem Atlantik, Marlene Dietrich, höchstbezahlter Star der Paramount Studios, rauscht in einem Deckchair an Bord der MS Europa gen Frankreich, im weißen Herrenanzug, das Barett knapp über den Augen, Zigarette, rot lackierte Fingernägel und sehr, sehr cool. Jeder Zentimeter vom Kopf bis zum schmalen Schuh ist Pose. Die französische Polizei drohte bei der Ankunft mit Arrest, Hosen für Frauen galten als anstößig. Das Foto gehört heute zu den ikonischen Dietrich-Aufnahmen, viele davon verwahrt die Deutsche Kinemathek Berlin in ihrem Archiv.

"Sie hat Sex, aber kein Geschlecht. Ihre Maskulinität spricht Frauen an, ihre Sexualität die Männer." Das hat der britische Großkritiker Kenneth Tynan über Marlene Dietrich geschrieben, ein Lieblingssatz von Maria Riva, und in Mode übersetzt bedeutet er: Eindimensionale Looks langweilten diese Frau entsetzlich. Der Trick bestand darin, gleichzeitig ultrafeminin und männlich auszusehen. Sie kombinierte fließend weiche Blusen bewusst mit kantigen Hosen, trug zu uniformhaft Hochgeschlossenem luxuriöse Schmuckstücke und tiefrote Lippen. In dem oft nachgeahmten Abendkleid aus "Eine auswärtige Affäre" kontrastiert die Halbtransparenz des weißen Spitzenmusters auf irritierende Weise mit einer harten Schulterpartie. Das ist ein modisch hochspannendes Ausbalancieren von Gegensätzen, manchmal nur von Nuancen, um den doppeldeutigen Miss-Dietrich-Glamour zu erzeugen, der bis heute ziemlich unübertroffen ist. Erst die späten Bühnenroben für ihre Shows in Las Vegas setzten unverblümt auf den Effekt nackter Haut.

Am berühmtesten ist Marlene Dietrichs Spiel mit den Geschlechterklischees aus dem Film "Marokko", wo sie als Nachtclubsängerin Amy Jolly in einer Szene eine Frau küsst und den legendären Smoking mit Zylinder trägt. Wobei der typische Schimmer im Blondhaar und die verhangenen Augen eben alles andere als maskulin aussehen. Verwirrung anzurichten wirkt offenbar viel reizvoller als jede klare Botschaft. Im Idealfall geschieht das mit größtmöglicher Eleganz. Die Influencer, Popstars und Geheimagenten müssen noch ein bisschen üben. Aber Rosa ist ein Anfang.

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