Süddeutsche Zeitung

Formel 1 in Miami:Verstappen gewinnt die Weltpremiere

Lesezeit: 5 min

41 Runden passiert beim ersten Grand Prix in der Metropole Floridas relativ wenig - dann aber sorgt ein Unfall für Spannung. Leclercs WM-Vorsprung schmilzt und zwei Deutsche erleben ein spätes Drama.

Von Philipp Schneider, Miami

Das Herrliche an so einem ersten Rennen auf einer Strecke ist ja, dass jedes einzelne Ereignis sogleich eine Weltpremiere bedeutet: Wer holt die Pole Position? Weltpremiere! Wer schnappt sich die schnellste Runde? Weltpremiere! Wer gewinnt das Rennen? Weltpremiere! Und doch wäre dieses erste Rennen auf der nagelneuen Strecke in Miami um ein Haar vergleichsweise ereignisarm zu Ende gegangen. Beinahe jedenfalls hätten alle Piloten ihre Rennwagen so sorgsam über die Strecke auf dem Parkplatz des Hard Rock Stadiums gelenkt, dass es zu einer Weltpremiere gar nicht gekommen wäre: Viel hat nicht gefehlt, und das Safety Car wäre auf der Strecke in Florida gar nicht auf die ausgerückt.

41 von 57 Runden mussten die Amerikaner warten, die ja von ihren geliebten Nascar-Rennen einiges an Action gewöhnt sind. Dann aber touchierte Pierre Gasly mit dem linken Vorderrad seines Alpha Tauri das rechte Hinterrad des McLaren von Lando Norris. Dessen Rennwagen drehte sich wie ein Kreisel auf der Strecke, dann blieb er liegen. In Schräglage, weil hinten rechts kein Gummi mehr war, um ihn zu stützen, ragte er links vorne in die Luft.

Endlich, ein Safety Car!

Vorne an der Spitze nutzte der Red-Bull-Pilot Sergio Perez die Gunst der Stunde, um sich einen neuen Satz Reifen reichen zu lassen. Er fuhr an Position vier. Das Feld führte sein Teamkollege Max Verstappen an, dazwischen rollten die beiden Ferraris von Charles Leclerc und Carlos Sainz. Elf Runden vor Schluss gab Bernd Mayländer das Rennen wieder frei, das bislang wenige Höhepunkte zu bieten hatte. Perez griff an auf frischen Pneus, vorbei an Sainz schaffte er es nicht. Aber er blieb dran, Runde für Runde. Genau wie Leclerc, der sich am Heck von Verstappen festbiss. Die jeweils Hinterherfahrenden, die an drei Positionen der Strecke das Recht besitzen, ihre Heckflügel flach zu stellen, wenn sie dicht genug am Vordermann sind, sie versuchten zu überholen. Ganz kurz schaffte es Perez vorbei - dann setzte Sainz den Konter.

Am Ende gibt's in Miami doch noch Formel-1-Spektakel

Und so ging der erste Grand Prix in Miami doch noch mit einigem Spektakel und einer Weltpremieren-Reihenfolge zu Ende: Verstappen siegte vor seinem WM-Rivalen Leclerc und verkürzte so mit seinem dritten Sieg im fünften Rennen seinen Rückstand auf 19 Punkte. Dahinter folgten ihre Helferlein Sainz und Perez vor den zwei Silberpfeilen von George Russell und Lewis Hamilton. "Ich glaube, ich brauche einen Drink", sagte der Weltmeister noch am Funk.

Aus deutscher Sicht hatte sich kurz vor Schluss noch ein Drama abgespielt. Im Kampf um Platz zehn kollidierten Sebastian Vettel und Mick Schumacher. In einer Rechtskurve zog Vettel mit seinem Aston Martin nach rechts und prallte gegen den Haas. Schumacher kam als Letzter ins Ziel, Vettel schied aus. "Das ist doof und bitter für uns beide", sagte Vettel später: "Es tut mir leid, dass wir beide raus sind. Ich dachte, ich hätte die Kurve. Als ich ihn gesehen habe, war es zu spät." Schumacher wiederum hätte mit diesem Resultat die ersten WM-Punkte in seiner Karriere holen können. Strafen gab es nicht: Die Sportkommissare entschieden auf "keine Untersuchung" und werteten die Szene zwischen den beiden Piloten als einen Rennunfall.

Das Drama von Vettel nahm schon vor dem Rennen seinen Anfang. In jenem Moment, als der offenbar sehr emotional angefasste Barde Luis Fonsi (dem einen oder anderen vielleicht bekannt wegen des Liedes "Despacito") seine sehr persönliche Version von The Star-Spangled Banner in der Startaufstellung trällerte, der amerikanischen Nationalhymne. Fonsi sang, und bei Aston Martin ging in diesem Moment die Meldung raus, es gebe Probleme mit dem Benzin. Dieses sei weiter heruntergekühlt gewesen, als es die Regularien erlauben. Jedenfalls war es zu kühl. Beide Autos, also auch sein Teamkollege Lance Stroll, mussten aus der Boxengasse starten.

In der Qualifikation am Samstag hatten die beiden Ferrari-Piloten von einem Fahrfehler Verstappens im letzten Versuch profitiert, und so formierten sich Leclerc und Sainz in der ersten rein roten Startreihe seit dem Rennen in Mexiko 2019. Der Niederländer hatte wegen technischer Probleme das zweite Training am Freitag verpasst. Aus seiner Sicht fehlte ihm deshalb wichtige Lernzeit zum Studium der neuen Strecke. Und deshalb, so Verstappens Logik, die er vor dem Start öffentlich kundtat, habe er die Pole Position verfehlt.

Die Ampeln gingen aus in Miami (Weltpremiere!) und Sainz ließ sich sogleich von Verstappen vernaschen. Er startete nicht mal schlecht, aber der Niederländer zog auf der Innenseite in der ersten Kurve unwiderstehlich vorbei. Und schon hatten die Ferraris ihren taktischen Vorteil verspielt. Noch schlechter kamen die zwei Mercedes aus den Startblöcken, Hamilton, von Rang sechs gestartet, fiel um zwei Plätze zurück. George Russell, der als Elfter das Rennen aufnahm, fiel um vier Positionen zurück auf 15. Wobei im Fall von Hamilton zu sagen ist, dass er von Fernando Alonso am linken Hinterrad touchiert wurde, der sich im Anschluss klammheimlich an ihm vorbeischob. "Ich bin getroffen worden!", funkte Hamilton. "Ja, aber es gibt keinen Schaden", antwortete sein Renningenieur.

In der siebten Runde gelang Schumacher ein Manöver, das sogar einer Rennen-übergreifenden Weltpremiere gleichkam. Er zeigte eine blitzsauberes und hartnäckiges Überholmanöver bei Yuki Tsunoda und schob sich so erstmals vor auf Rang zehn.

An der Spitze dauerte es zwei Umdrehungen länger, da bewies auch Verstappen, dass es auf dieser Strecke, auf der so viel Rollsplit neben der Ideallinie liegt, durchaus möglich ist, zu überholen. Auf der langen Gegengerade, die am Rande eines Kanals verläuft, in dem mannsgroße Reptilien hausen sollen, weswegen die Streckenposten an dieser Stelle mit Fangkeschern ausgerüstet sind, saugte er sich in den Windschatten von Leclerc. Es paar schnelle Kurven blieb er dran, dann setzte er punktgenau am Ende der Start- und Zielgeraden zum Überholmanöver an. Die Amerikaner auf den umliegenden Tribünen sprangen begeistert von ihren Sitzschalen in die Höhe, schließlich erlebten sie gerade eine Weltpremiere: Erstmals hatte ein WM-Zweiter einen WM-Führenden auf der Strecke in Miami überholt.

Letztlich hatte es Verstappen dank eines couragierten Starts und der Überlegenheit seines Motors ziemlich schnell an beiden Ferraris vorbeigeschafft. Und dessen Kraft hielt ihn auch an der Spitze, als ihm kurz darauf sogar ein kleiner Fehler unterlief.

Und Vettel? Seite an Seite mit seinem Teamkollegen pflügte er durchs Feld und zeigte dabei ein paar sehenswerte Darbietungen. Erst zog er innen an Nicholas Latifi vorbei, dann schnappte er sich auch Kevin Magnussen im Haas. Von ganz hinten gestartet, war Vettel nun schon 13.

"Wir switchen auf Plan D", funkte Ferrari. "Das Auto ist so unglaublich schwierig zu fahren", erwiderte Leclerc kurz darauf. Um Abhilfe zu schaffen, fuhr er nach 24 Runden als erster Pilot in der Spitzengruppe an die Box und ließ sich frische Reifen anschrauben. Nicht unmittelbar, sondern erst zwei Umdrehungen später rollte auch Verstappen an seine Garage. Als er auf die Strecke zurückkehrte, erfreute er sich weiterhin eines komfortablen Abstandes von sieben Sekunden auf Leclerc. Auch ihre beiden Adjutanten wurden in die Versorgungsgasse gerufen. Doch obwohl die Abfertigung von Sainz 5,4 Sekunden dauerte, also eine gefühlte Ewigkeit, blieb es im Duell der Helferlein bei der alten Sortierung. Der Spanier blieb weiterhin Dritter, Sergio Perez dahinter.

Das Rennen erreichte nun zumindest an der Spitze ein Spannungsniveau, an dem sich der eine oder andere Zuschauer ein Safety Car wünschte. Oder einen klitzekleinen Tropenschauer?

Am Kommandostand von Aston Martin wurden interessante Bewegungen auf dem Regenradar gemeldet. Auch Red Bulls Teamchef Christian Horner blickte gespannt in den Himmel. Ging da noch was? Er werde jedenfalls nicht halten für einen Satz frischer Reifen, erwiderte Russell, als er dazu aufgefordert wurde. "Lasst uns lieber auf ein Safety Car warten." Und wie sein Plan aufging! Letztlich war es diese Entscheidung, die ihm nach dem Crash von Lando Norris noch einen frischen Satz Reifen spendierte. Und auf diesen überholte er kurz vor Schluss seinen Teamkollegen Hamilton und wurde Fünfter. "Man sieht natürlich aus wie ein Genie, wenn man am Ende Recht hat", sagte Russell später. Und grinste.

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