Süddeutsche Zeitung

Australian Open:Alle Dämonen abgeschüttelt

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Ashleigh Barty erreicht in Melbourne mit ungebrochener Leichtigkeit das Endspiel und schickt sich an, erste einheimische Siegerin seit 1978 zu werden. Im Finale wartet allerdings die formstarke Danielle Collins.

Von Milan Pavlovic, Melbourne/München

Der Australia Day ist ein Lieblingsfeiertag der meisten Menschen auf dem fünften Kontinent. Der Tag, an dem die Briten 1788 in Sydney landeten, wird stets am 26. Januar begangen, aber vielleicht wird er demnächst verlegt oder zumindest auf zwei Tage ausgedehnt. Denn am Donnerstag, dem 27. Januar, erlebte das sportvernarrte Land einige Stunden der Ekstase.

Das Tennisfeuerwerk begann am Nachmittag mit dem einheimischen Duo Thanasi Kokkinakis und Nick Kyrgios. Ihre Darbietung mutete bisweilen an wie eine perfekt einstudierte Zirkusnummer, zu der es passte, dass Kyrgios manchmal den Einsatz verpasste und von seinem Kumpel aufgefangen werden musste. Sie erreichten das Endspiel, und zur Krönung dieser Doppel-Konkurrenz gehört, dass die beiden dort am Samstag auf ihre Landsleute Matthew Ebden/Max Purcell treffen werden, zum ersten rein australischen Doppelfinale seit 1980.

Das war aber bloß der erste Teil dieses Tennisfeiertags. Zwischendurch konnten die Australier ihrem Ruf gerecht werden, dass sie nicht nur Sieger beklatschen, denn selbst die Tatsache, dass anschließend der in Melbourne geborene Dylan Alcott, 31, das letzte Spiel vor seinem Rücktritt verlor, machte nichts aus - die lebende Legende des Rollstuhltennis wurde zum Abschied auf rührende Art gefeiert.

Viele Australierinnen scheiterten an der Last der Erwartungen. Auch Barty wirkte lange eingeschüchtert

Und erst dann begann das Hauptprogramm: Ashleigh Barty betrat den Platz. Die 25-Jährige wird seit Jahren hoch gehandelt, die schwarze Serie ihres Landes zu beenden. 1980 hatte sich Wendy Turnbull als bislang letzte Australierin ins Endspiel down under vorgearbeitet; die letzte einheimische Siegerin hieß 1978 Chris O'Neil, zu einer Zeit, als etliche große Namen auf die beschwerliche Reise verzichteten. Je mehr Jahre vergingen, desto schwerer hatten die Nachkommen zu tragen. Unter anderem scheiterte Samantha Stosur an der Last der Erwartungen: Siegerin der US Open 2011, kam sie in der Heimat nie über das Achtelfinale hinaus. Einige Jahre lang beschlich einen das Gefühl, dass Barty zu sehr in ihre Fußstapfen treten würde. Triumphen in Paris (2019) und Wimbledon (2021) folgten regelmäßig Enttäuschungen daheim.

Doch in diesem Januar scheint das plötzlich viele Jahre her zu sein. Diesmal pflügt die Nummer eins der Weltrangliste auf eine beeindruckende Art durch das Feld. In sechs Spielen musste sie nicht einmal ans Limit, ein einziges Mal gewann eine Kontrahentin vier Spiele in einem Satz, und bei allen Auftritten - ob nun auf dem Platz oder vor irgendwelchen Mikrofonen - wirkt sie so locker, als habe sie alle Dämonen abgeschüttelt.

Da mochte ihre Halbfinal-Gegnerin Madison Keys noch so oft von ihrer eigenen Wandlung zur entspannten Spielerin reden - auf dem Platz schwang nur Barty mit klinischer Präzision und einer frappierenden spielerischen Variabilität nach den Bällen. Beim 6:1, 6:3 gegen die Amerikanerin geriet sie nie in Gefahr. "Man geht mit einem Plan ins Match, aber Ashleigh trifft den Ball so gut", sagte Keys voller Anerkennung, "dass man absolut nichts geschenkt bekommt".

Sie habe die Australierin "mit mehr Drall auf der Rückhand festnageln" wollen, aber "ihr Slice ist so tief und schnell, dass man den Ball genauestens treffen muss; es wird schwierig, nicht zu viel zu riskieren. Im zweiten Satz bekam ich ein besseres Gefühl, aber da war es zu spät". Keys' Fazit: "Wir haben schon häufiger gegeneinander gespielt, aber so gut wie heute habe ich sie noch nie erlebt." Barty nahm die Vorlage, ob sie bereit fürs Finale sei, gerne auf und kündigte an: "Let's Do It."

Finalistin Danielle Collins nutzt die Vorlagen ihrer Gegnerin

Bleibt diese letzte Hürde, und es gehört zu einer vortrefflichen Dramaturgie, dass es im Finale gegen die andere herausragende Spielerin des Turniers geht: Danielle Collins entledigte sich der Polin Iga Swiatek wie eines Staubpartikels auf dem Tenniskleid. Die 28-Jährige machte beim 6:4, 6:1 fast alles richtig. Dass sie nach dem Matchball nachgerade unterkühlt wirkte - im Gegensatz zu ihrer lautstarken Fangruppe, die aus einem halben Dutzend frenetischer Anhänger besteht -, mag zwei Gründe haben: Die Amerikanerin ist mit dem Erreichten noch längst nicht zufrieden; und Swiatek war nicht der Prüfstein, den viele erwartet hatten.

Ihr gesamter Matchplan war komplett daneben, aber sie zog ihn mit einer irritierenden Sturheit durch. Swiatek attackierte Collins auch dann noch auf deren deutlich stärkeren Rückhand, als der Polin der zwanzigste Rückhand-Treibschlag um die Ohren geflogen war. Unter vielen haarsträubenden Statistiken die herausragende: Swiatek gewann nur drei der 21 Punkte bei eigenem zweiten Aufschlag. Es war ein taktisches Debakel, wie man es auf diesem Niveau selten sieht. "Ich lerne noch dazu", sagte Swiatek. "Sie hat heute ein perfektes Match hingelegt."

Als wäre ihr das Lob unangenehm, sagte Collins fast entschuldigend über ihr eigenes Spiel: "Das war mein Plan A, und so lange er so aufgeht wie heute, muss ich nichts daran ändern." Und, vielleicht schon mit Blick auf das Finale am Samstag (Eurosport, ab 9.30 Uhr MEZ), fügte sie hinzu: "Ich habe meinem Spiel mehrere Varianten hinzugefügt", die sie noch gar nicht hätte zeigen müssen. Collins wird sich doch nicht erdreisten, etwas zu tun, was verhindern könnte, dass der 29. Januar eines Tages offizieller australischer Tennis Day wird?

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