Süddeutsche Zeitung

Spannung in der Bundesliga:Auch für die Bayern gibt es Grenzen

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Sollte man sich freuen, dass der BVB Tabellenführer ist? Unbedingt - die Münchner Alleinherrschaft trägt ja diktatorische Züge. Dortmund hat sogar etwas zu bieten, was der FC Bayern nicht hat.

Kommentar von Philipp Selldorf

Von Kennern wird empfohlen, man solle seinen Lieben JETZT statt morgen oder übermorgen sagen, dass man sie liebt, weil es nämlich morgen oder übermorgen zu spät sein könnte, nachdem man vom Lastwagen überfahren wurde. Im Hier-und-Jetzt- Moment lebt man das richtige Leben, das sagen alle Lebenshelfer, und so sollte ihn jetzt jeder mit all seinen Sinnen genießen, diesen besonderen Moment, in dem der FC Bayern München nicht mehr Tabellenführer der Bundesliga ist.

Vermutlich sind nicht alle Fußballfreunde darüber erfreut, dass statt des FC Bayern nun Borussia Dortmund an der Spitze steht, doch womöglich gibt es sogar ein paar echte Schalker, die diesen Augenblick des Wechsels als Wohltat empfangen. Die Alleinherrschaft der Bayern trägt zu lang schon die Züge einer Diktatur, die niemals enden wird, bedrückend hat sich dieses Gefühl der Hoffnungslosigkeit aufs kollektive Gemüt der Fußball-Nation gelegt. Mancher Fan mag sich ja vormachen, dass ihn bloß das Schicksal seines eigenen Klubs schert, aber das Unterbewusstsein lässt sich nicht belügen. Die Münchner Übermacht ist ein Syndrom, das alle angeht.

Der BVB hat etwas zu bieten, was der FC Bayern nicht hat

Nun lehren aber auch die Lebenshelfer, man solle nicht den Moment verderben, indem man ihn in die Zukunft überträgt, schon gar nicht, indem man die Erfahrungen der Vergangenheit heranzieht. Vor genau einem Jahr, das werden viele vergessen haben, ist es schon mal passiert, dass nicht Bayern, sondern Dortmund an der Spitze stand. Der BVB 09 hatte sogar fünf Punkte Vorsprung, prompt veröffentlichte der Westfälische Anzeiger "09 Gründe, warum der BVB deutscher Meister wird". Ein Riesenfehler der Redaktion. Zwei Spieltage später gewannen die Münchner 3:1 in Dortmund, und drei weitere Spieltage später hatten sie den BVB um zehn Punkte distanziert.

Bis zum nächsten Treffen der beiden Klubs, am 10. November in Dortmund, sollte die DFL die Zeit nutzen und noch schnell ein paar Fernsehverträge mit dem asiatischen Markt abschließen, wer weiß, wie lang man noch mit der Spannung im Titelkampf werben kann. Oder ist vielleicht wirklich die Zeit gekommen für einen Wettbewerb unter Gleichen? Jedes Reich kommt einmal an den Punkt, an dem es schwächer wird, das war beim Römischen Imperium so und beim scheinbar unaufhaltsamen Mongolensturm, und nun stoßen vielleicht auch die ewigen Bayern an Grenzen.

Der BVB hat etwas zu bieten, was der FC Bayern nicht hat: einen neuen Trainer, eine neue Mannschaft und einen anderen Fußball. Der FC Bayern hat lediglich einen neuen Trainer. Er hat entschieden, dass das allemal reichen wird, aber da hat ihn womöglich der Hochmut gepackt. Vielleicht, eventuell. Ach, lieber nicht dran denken und den Augenblick genießen.

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Quelle:
SZ vom 01.10.2018
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