Süddeutsche Zeitung

Sportförderung in Japan:Kraulen für die Firma

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Japan hat einen kreativen Weg der Sportförderung gefunden: Unternehmen verpflichten Athleten. Das Modell scheint zu funktionieren - auch bei der Schwimm-WM in Fukuoka starten Angestellte im Dienste ihres Arbeitgebers.

Von Thomas Hahn, Tokio

Rikako Ikee arbeitet gerade an einer großen Geschichte, an einem Heldenepos, könnte man sagen. Viereinhalb Jahre ist es mittlerweile her, dass eine Leukämie-Diagnose sie aus ihrer Schwimm-Karriere riss, die mit Junioren-WM-Titeln, nationalen Rekorden und sechs Mal Gold bei den Asien-Spielen 2018 verheißungsvoll begonnen hatte. Sie hat den Krebs überwunden, war bei Olympia 2021 in Tokio, und jetzt ist jeder Wettkampf eine weitere Etappe auf ihrem Weg, der nächstes Jahr bei den Spielen in Paris mit einem Medaillengewinn enden soll. Auch Rikako Ikees Teilnahme an der Heim-WM in Fukuoka, die am vergangenen Wochenende begann, ist aufgeladen mit der Bedeutung ihres dramatischen Werdegangs.

Aber nüchtern betrachtet ist die WM für die 23-Jährige vor allem eine Schicht für ihren neuen Arbeitgeber Yokohama Rubber. Der Reifenhersteller hat Ikee im Frühjahr als Mitarbeiterin seiner PR-Abteilung angestellt. Natürlich mit Sonderauftrag: Rikako Ikee soll vorerst nicht im Büro Werbe-Strategien entwerfen, sondern mit körperlicher Arbeit die Bekanntheit der Firma fördern - als Schwimmerin vom Dienst sozusagen.

Die Frage, wie man Leistungssport und berufliche Perspektive vereinbart, ist ein Kernthema für Sport-Schaffende auf der ganzen Welt. Aber in Japan weiß man, wie man duale Karrieren auch dann ermöglicht, wenn sich ein Talent nicht als Sportsoldatin oder Sportsoldat verpflichten lassen will. Rikako Ikee ist eine Ausnahmeathletin mit ungewöhnlicher Krankengeschichte. Aber ihre Laufbahn ist auch ein Beispiel dafür, wie man im Inselstaat Sporttalente findet, fördert und absichert. Sie ist die Protagonistin eines Systems, in dem Sport nicht nur von Verbandsarbeit, Schulen und staatlichen Institutionen profitiert, sondern auch vom Arbeitsmarkt, auf dem Japans Firmen jedes Jahr nach den besten Uni-Absolventen fahnden. Es scheint zu funktionieren - sonst hätte Japan bei den Tokio-Spielen 2021 nicht Platz drei im Medaillenspiegel hinter den USA und China belegt.

Es gibt in Japan kein Vereinssystem mit ehrenamtlichen Trainern wie in Deutschland

"Japans Sport hat eine gute Unterstützung durch die Unternehmen", sagt der Sportwissenschaftler Shuhei Yamashita, Manager der Abteilung für Leistungssport-Strategie in Japans Hochleistungssportzentrum HPSC, das die staatliche Sportförder-Agentur Japan Sport Council betreibt. Yamashita sitzt im Konferenzraum eines mächtigen Kastenbaus, der zum weitläufigen Areal des HPSC im Tokioter Bezirk Kita gehört. Er ist viel herumgekommen, er kennt die Sportförderung anderer Länder und kann bestätigen: Japans System vereint auf besondere Weise die kommerzielle Tradition des Inselstaats mit regionaler Begabtenförderung und den Modellen erfolgreicher Sportnationen wie Großbritannien oder Australien.

"Japans staatliche Sportförderung hat erst nach 2000 ernsthaft angefangen, sehr spät", sagt Yamashita. Anlass war die Einführung der Sportlotterie. Davor verhielten sich Olympia-Anwärter im Grunde so wie alle junge Menschen. Nach dem Studium bewarben sie sich bei Firmen. Diese stellten sie dann aber zunächst nicht für Schreibtisch-Dienste an, sondern eben als Sportler für die Außendarstellung. So ist es geblieben. Viele Nationalathleten haben dadurch ein Einkommen und Job-Aussichten für später - wie Rikako Ikee nach ihrem Sportstudium an der Nihon-University bei Yokohama Rubber. Oder wie Lagen-Olympiasiegerin Yui Ohashi, die zwar im Sportteam der Toyo-Universität in Tokio trainiert, aber ihr Gehalt von der Schwimmschule Itoman Toshin des großen Bildungsdienstleisters Nagase Brothers bezieht.

Es gibt in Japan kein Vereinssystem mit ehrenamtlichen Trainern wie in Deutschland. Die Talentsuche beginnt deshalb oft mit den Eltern. Wie bei Rikako Ikee. Deren Mutter brachte sie in der eigenen Badewanne in Tokio-Edogawa bei einer Unterwassergeburt zur Welt. Schickte sie in die private Kleinkindschule und so früh zum Schwimmen, dass schon die fünfjährige Rikako 50 Meter in allen Techniken zurücklegen konnte. Als Grundschülerin nahm Rikako Ikee an den nationalen Schulwettkämpfen teil, gewann, geriet in die Förderstrukturen der Präfektur Tokio und kam schließlich ins Nationalteam.

In den Auswahlmannschaften wiederum wirken die Pläne, die Verbände mit dem Olympischen und dem Paralympischen Komitee Japans sowie mit den Fachleuten des Japan Sport Council entwickelt haben. Vor Olympia in Tokio nahmen sich Japans Sportfunktionäre an den Briten ein Beispiel, die mit ihrem langfristigen Ansatz nicht nur ein schlagkräftiges Team für die Heim-Spiele 2012 in London entwickelt hatten, sondern auch darüber hinaus. "Das Medaillenziel ist nur ein Punkt", sagt Yamashita, "es geht um Pläne mit Perspektive." Mindestens auf acht Jahre müsse jeder Plan angelegt sein. Ob die Sportler auch außerhalb von Verbandstrainingslagern die Angebote des Leistungszentrums nutzen wollen, bleibt diesen überlassen. Kein Schwimmer aus Hokkaido müsse in die Hauptstadt ziehen, wenn er einen Trainer und ein Becken bei sich hat, sagt Yamashita. Nur wenn es sein muss, gelten die Regeln eines zentralisierten Sportalltags. "Zum Skispringen braucht man eine Schanze. Deshalb gibt es in der Südpräfektur Okinawa keine Skispringer." Yamashita lächelt.

36 Milliarden Yen gibt Japans Staat jedes Jahr für den Sport aus, umgerechnet 230 Millionen Euro, davon gehen zehn Milliarden Yen, 64 Millionen Euro, an den Spitzensport. Das wirkt nicht sehr üppig. Aber mit den Gehältern, die Japans Firmen Nationalteam-Mitgliedern zahlen, ist es vielleicht doch nicht so wenig. Die Schwimm-WM in Fukuoka ist jedenfalls ein weiterer Test für das Sportsystem der Japan AG. Auch Rikako Ikee wird dabei nicht nur Zeichen für ihren Traum von der Olympia-Medaille 2024 setzen wollen. Ihr neuer Arbeitgeber soll sehen, dass sie im Dienstbereich Beckenschwimmen eine kompetente Mitarbeiterin ist.

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