Süddeutsche Zeitung

Rafael Nadal bei den ATP Finals:Wie ein Sternekoch, der sein Gericht versalzt

Lesezeit: 4 min

Rafael Nadal legt eine Negativserie hin wie zuletzt vor 13 Jahren. Sein Spiel hat sichtbar das Nadal-hafte eingebüßt. Bisher kam er immer irgendwie zurück. Aber diesmal?

Von Gerald Kleffmann

Es läuft nicht, die Szene auf der Bank stand dafür exemplarisch. Der Deckel fiel Rafael Nadal aus der Hand, und gerade für ihn, der seine Wasserflaschen stets manisch penibel behandelt und sie millimetergenau bei jedem Match neben seiner Bank postiert, war das natürlich ein schlechtes Omen. Seine Rituale gäben ihm Sicherheit, sagte Nadal einmal, er brauche dieses Umfeld, in dem alles am rechten Fleck sei. Zwei Handtücher in den Ecken an der Grundlinie, das Haare-Zupfen vor jedem Aufschlag, nicht auf gewisse Linien treten beim Verlassen des Platzes. So muss es sein.

Hektisch also griff der irritierte Nadal nach dem Deckel, der auf dem Boden herumtanzte. Nach 1:57 Stunden hieß es dann 3:6, 4:6 gegen den talentierten jungen Kanadier Felix Auger-Aliassime, damit stand auch fest: Der Spanier, mit 22 Grand-Slam-Titeln aktuell der erfolgreichste Spieler bei den vier wichtigsten Turnieren, kann bei den ATP Finals in Turin in der Gruppenphase nicht mehr das Halbfinale erreichen, selbst wenn er an diesem Donnerstag seine dritte Partie gegen den Norweger Casper Ruud gewinnen sollte.

Sportlich betrachtet sind es gerade keine einfachen Tage für Nadal. Er gewinnt nicht mehr, und, wohl gravierender: Er spielt auch so, dass er zu Recht verliert. Er hat nun vier Partien in Serie als der Unterlegene beendet, das passierte ihm zuletzt vor 13 Jahren. Bei den US Open besiegte ihn im Achtelfinale der Amerikaner Frances Tiafoe, in Paris-Bercy dessen Landsmann Tommy Paul. In Italien nun reihte sich Taylor Fritz, noch ein US-Profi, in die Liste der Besieger ein, 28 leichte Fehler waren Nadal in seiner Auftaktpartie beim Saisonfinale der besten Acht der ATP Tour unterlaufen. Das war so, als würde ein Star-Koch sein Gericht völlig versalzen. Da ist nicht mehr viel zu retten, selbst mit anderen Zutaten nicht.

In gewisser Weise passen die jüngsten Entwicklungen aber auch zum Jahr des Rafael Nadal, er erlebt ein Jahr der Extreme. Zur Überraschung der Tenniswelt und seiner selbst triumphierte er Ende Januar bei den Australian Open, monatelang war er vorher unpässlich gewesen aufgrund einer chronischen Fußverletzung. Die French Open in Paris gewann er dann gar zum 14. Mal. In Wimbledon schuftete er sich noch ins Halbfinale, doch ein Riss im Bauchmuskel verhinderte das Duell mit dem Exzentriker Nick Kyrgios, das alle so gerne gesehen hätten.

Von diesem Moment an zerbrach die Saison von Nadal, körperliche Probleme setzten sich fort, er kam nie wirklich in einen flüssigen Turnierrhythmus. Auch emotional erfuhr er Neues, er wurde zum ersten Mal Vater, der Sohn heißt auch Rafael. Beim Laver Cup, als sich Roger Federer als aktiver Spieler verabschiedete, saß er mit dem Schweizer Händchen haltend auf der Bank und heulte herzzerreißende Kumpeltränen.

Der 36-Jährige spürt sein Alter: "Ich fühlte, dass alles so schnell ging", sagte er in Turin ehrlich

Eine erste Zäsur des Männertennis fand da in London im September statt, die großen Drei waren zu den großen Zwei geschrumpft. Und jetzt? Sieht es danach aus, dass sich Nadal mindestens in einer Übergangsphase befindet. Womöglich hat man noch nie das Alter von Nadal so sehr gespürt wie nun. 36 Jahre alt ist sein aufgeriebener Körper inzwischen. Und so nachdenklich und selbstkritisch analysierend, wie er in Turin sprach, ist ihm das natürlich auch sehr bewusst.

Nadal räumte von sich aus ein, dass er selbst zu langsam sei. Nach der Niederlage gegen Fritz meinte er: "Ich fühlte, dass alles so schnell ging." Er sei daraufhin unter Stress geraten, habe durch das hohe Tempo von Fritz weniger Zeit gehabt, um sich aus der defensiven Position zu befreien. Er hätte einfach "schneller in den Beinen, schneller im Kopf" sein müssen. Er sei nicht in der Lage gewesen, mit der "Power" von Fritz umzugehen. Er klang so, wie früher seine Gegner über sich selbst sprachen, und das war wahrlich ungewöhnlich. Ein Rollentausch hat da stattgefunden. Nadal, das wurde klar, muss nicht mehr nur um seine Fitness kämpfen. Es geht nun auch um sein Spiel, das sichtbar das Nadal-hafte eingebüßt hat. Er kam immer irgendwie zurück. Aber diesmal?

Nadal war immer von Zweifeln getrieben, sie sind auch sein Motor, seine Grundlage dafür, dass er über zwei Jahrzehnte Ausnahmeleistungen wiederholt. Er will sich auch jetzt wieder aufbäumen, das steckt noch in ihm drin, natürlich. Er wolle "dafür sterben", um alles zu versuchen, wieder sein altes Niveau zu erreichen. Ob er dies schaffe? Er wisse es nicht. Er wisse nur: Das Einzige, was er machen könne, sei arbeiten. Und er müsse nun eben noch mehr leiden bei dieser Arbeit. Es waren zweifellos offene, ehrliche Worte von Nadal, aber sie wirkten auch so schwer wie sein Tennis. Vor allem im Gegenschnitt zu seinem großen Widersacher Novak Djokovic, der wieder aufzublühen scheint. Der Serbe ist nun 35, doch agiert wie ein Mittzwanziger.

Nadal wurde selbstverständlich auch auf die Nachricht angesprochen, dass Djokovic nun doch nach Melbourne einreisen und somit bei den Australian Open im kommenden Januar spielen darf; da er ja Anfang des Jahres außer Landes verwiesen wurde, da er nicht wie damals vorgeschrieben gegen Corona geimpft war (er lehnt dies ab), hätte er für drei Jahre eigentlich nicht das Land betreten dürfen. Dieser Beschluss wurde nun laut Medienberichten vom neuen Einwanderungsminister Andrew Giles kassiert. "Das sind großartige Neuigkeiten", sagte Nadal dazu. Er hielte es ohnehin für unfair, wenn einer der Größten wie Djokovic nicht hätte teilnehmen dürfen. Zudem: "2023 sind vielleicht meine letzten Australian Open, ich hoffe, ich treffe noch mal auf ihn. Das wäre wunderbar, nicht?" Gut möglich, dass in absehbarer Zeit also wieder Abschiedstränen im Männertennis fließen.

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