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Marathon bei Olympia:Überraschung: In Tokio ist es heiß

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Die Entscheidung, den Olympia-Marathon ins 900 Kilometer entfernte, kühlere Sapporo zu verlegen, ist richtig. Aber auch hinreißend inkonsequent und entlarvend.

Kommentar von Thomas Hahn, Tokio

Es gibt jetzt tatsächlich Leute, die sich darüber beschweren, dass die Organisatoren von Olympia 2020 in Tokio die Wettkämpfe im Marathon und Gehen aus der Schwüle der Hauptstadt in Japans kühleren Norden nach Sapporo verlegen. So werde das olympische Erlebnis gemindert, sagen sie. Im Sinne der Athletinnen und Athleten könne das doch nicht sein, die Rennen in eine 900 Kilometer entfernte Außenstelle zu verlegen.

Antwort: Doch, das ist im Sinne der Athletinnen und Athleten, weil Hokkaidos Sommer viel bessere Bedingungen bietet für Ausdauerleister, die nicht nur irgendwie dabei sein, sondern ihre Prüfung auch durchstehen wollen. Was das verminderte Olympia-Erlebnis angeht, so sollte man den Beschluss im größeren Zusammenhang sehen und das Internationale Olympische Komitee (IOC) fragen, ob es mit mehr Umsicht solchen Verlegungen nicht hätte vorbeugen können.

Die Entscheidung ist richtig, kein Zweifel. Sie ist allerdings auch hinreißend inkonsequent, denn Radfahrer, Triathleten, Beachvolleyballer und andere, die Schwierigkeiten haben könnten mit der ungewöhnlich hohen Luftfeuchtigkeit des japanischen Sommers, bleiben ja in Tokio. Und auch für die meisten Zuschauer bleibt das Problem das gleiche, solange die japanischen Olympia-Macher nicht noch eine bessere Idee haben als die kürzlich bei einem Kanurennen erprobte, Tribünen mit geschreddertem Eis zu beschießen.

Die Spiele als lästiges Massenentertainment

Außerdem entlarvt die Verlegung den modernen olympischen Geist. Nicht kluger Rat oder frühe Einsicht haben die Olympiaplaner schließlich zum Einlenken bewogen. Auch nicht das Beispiel früherer Sportfeste wie Olympia in Tokio 1964, das von vornherein im Herbst stattfand. Sie mussten erst sehen, wie das im Fernsehen rüberkommt, wenn die Hitze zu groß wird. Insofern muss man dem Leichtathletik-Weltverband IAAF nachträglich dankbar sein, dass er seine jüngste WM nach Doha in den dafür ungeeigneten Wüstenstaat Katar vergeben hatte. Sonst hätte es keine Marathons mit nächtlichen Startzeiten gegeben, bei denen die Hälfte des Feldes aufgab. Sonst wäre den Spiele-Schaffenden vielleicht nie aufgefallen, dass schlecht gewählte Wettkampforte Probleme schaffen.

Es klingt nach einer alten Leier, wenn man beklagt, dass die Funktionäre die Werte des Kulturguts Sport verhökern. Aber es ändert sich eben auch verdammt wenig. Die Welt wird immer komplizierter. Nationalisten bringen den globalen Gemeinsinn durcheinander. Der Klimawandel erfordert radikale gesellschaftliche Veränderungen. Aber eine Organisation wie das IOC verfolgt immer noch seine schale Wachstumspolitik, die das mitdenkende Publikum zu Tode langweilt.

Selbst in Tokio sehen viele Bürgerinnen und Bürger die Spiele als lästiges Massenentertainment, das auf Kosten des Wiederaufbaus von nationalen Naturkatastrophengebieten wie Fukushima gehe. Das IOC braucht endlich eine moralische Wende, damit es mal wieder als glaubwürdige Größe in einer aufgeklärten Gesellschaft ernst genommen wird. Aber von alleine bekommt es so eine Wende wohl nicht hin. Jetzt hat der Verein Athleten Deutschland das IOC nach einer internationalen Sportler-Initiative dazu aufgefordert, sich ausdrücklich zur Achtung der Menschenrechte zu verpflichten. So eine Aufforderung ist offensichtlich noch nötig. Bitter.

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Quelle:
SZ vom 18.10.2019
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