Süddeutsche Zeitung

Olympische Spiele und Politik:Wie Olympia die Athleten instrumentalisiert

Lesezeit: 3 min

Der Fall der Uigurin Dinigeer Yilamujiang zeigt wieder, wie olympische Sportler für andere Zwecke eingespannt werden. Jeder Fall liegt anders. Aber jeder Fall sagt: Die Spiele sind politisch.

Von Holger Gertz

Dinigeer Yilamujiang, Skilangläuferin aus der Region Xinjiang, die das olympische Feuer entzündet hat: Sie ist ein Gesicht dieser Spiele, sie wird es bleiben. Als Beispiel für Instrumentalisierung von Sportlern bei diesem Großereignis, das von dessen Zeremonienmeistern immer als unpolitisch bezeichnet wird. Ein Hohn, natürlich. Wenn nun ausgerechnet eine Uigurin in Peking das olympische Friedenslicht entfacht, während Uiguren in Xinjiang eingesperrt und drangsaliert werden - dann ist das eine politisch zu lesende Aktion. Dinigeer Yilamujiang soll über das hinwegtäuschen, was passiert. Feigenblatt hat man das früher genannt, abgeleitet vom biblischen Symbol. Mit einem Feigenblatt bedeckt sich jemand, der merkt, dass er nackt ist. Aus Scham. In der Sportpolitik geschieht nichts aus Scham, vieles geschieht aus Kalkül, die olympische Geschichte ist eine Geschichte der Instrumentalisierungen. Jeder Fall liegt anders. Aber jeder Fall sagt: Die Spiele sind politisch.

"Ich bin für mich gelaufen, und für mein geschundenes Volk", so hat es der Koreaner Sohn Kee-chung geschrieben. Aber offiziell lief er für Japan, der Marathon-Sieger 1936 in Berlin, Athlet aus Korea, damals japanische Kolonie. Die Behörden zwangen die Koreaner, japanische Namen anzunehmen, und so trug Sohn Kee-chung die Sonnenwappenflagge auf der Brust, wurde geführt als Son Kitei, sein japanisierter Name. Er lief für ein Land, das nicht seins war, unter einem Namen, der nicht seiner war. Ein Foto hat man oft gesehen: Die Sieger bekamen einen kleinen Eichenbaum, Flower-Zeremonie heißt das heute. Sohn Kee-chung presste sich das Bäumchen vor den Bauch, verdeckte die japanische Flagge, schaute so traurig, wie seitdem keiner mehr geschaut hat bei einer Siegerehrung. Das war seine Möglichkeit, sich mitzuteilen.

Welche Möglichkeit hätte Dinigeer Yilamujiang gehabt, wenn sie sich hätte mitteilen wollen?

2022 ist selbstverständlich nicht 1936, die Peking-Spiele sind nicht die Berlin-Spiele, aber es geht auch nicht um Vergleiche, es geht ums Erinnern, ums Erinnertwerden. Die Journalisten von USA Today erkundigten sich nach der Eröffnungsfeier bei Rayhan Asat, in Xinjiang geborene Menschenrechtsanwältin und Yale-Fellow, auch sie sagte: "China ist nicht Nazideutschland", aber die Auswahl einer uigurischen Athletin erinnere sie an den Fall von Helene Mayer, der einzigen deutschen Athletin jüdischer Herkunft, die bei den Spielen 1936 antreten durfte. Ein Feigenblatt. Bei der Siegerehrung hob sie die Hand zum Hitlergruß. Rayhan Asat setzt sich seit Jahren für die Freilassung ihres Bruders Ekpar ein, der von den Chinesen inhaftiert worden ist, "ohne Prozess", schreibt Amnesty International.

Das IOC sollte alarmiert sein, wenn eine Eröffnungsfeier derartige Assoziationen auslöst.

Auch als Cathy Freeman die Flamme entzündete, war das Symbolik

Die Instrumentalisierung der Athletin Dinigeer Yilamujiang (und die internationale Reaktion) weist allerdings auch darauf hin, dass bei diesen Spielen genauer hingeschaut wird. 2018 in Pyeongchang hatte das IOC Nordkoreanerinnen mit Südkoreanerinnen zu einem Eishockey-Team zusammengespannt, im Sinn der Friedensstiftung auf der Koreanischen Halbinsel natürlich. Auch das war Instrumentalisierung, Frau Choe und Frau Choe und Frau Hwang und Frau Hwang und Frau Jin und Frau Jong und Frau Kim und Frau Kim und Frau Kim und Frau Ri und Frau Ryo und Frau Ryu: Zwölf olympische Eishockeyspielerinnen aus Nordkorea sagten nichts, oder sagten Parolen.

Was im aktuellen Fall denn nun anders sei als bei Cathy Freeman 2000, fragen welche bei Twitter, die sei doch auch instrumentalisiert worden. Als Symbolfigur der früher versklavten, missbrauchten, ihrer Kultur entfremdeten Aborigines. Und dann durfte Cathy Freeman, Stolz der Aborigines, Australiens Gegenwart mit Australiens Vergangenheit versöhnen und die Flamme entzünden, damals in Sydney. Und ja, auch das war Symbolik, die die Realitäten romantisierte. Und nein: Die Ureinwohner in Australien wurden im Jahr 2000 nicht mehr verfolgt und hatten längst Rechte, die Verfolgung der Uiguren dagegen findet im Schatten der Spiele weiter statt. Es stimmt schon: Vor den Spielen waren obdachlose Aborigines aus den Straßen Sydneys vertrieben worden. Aber wer wollte, konnte 2000 in den Stadtteil Redfern fahren, drei U-Bahn-Stationen vom Olympic Park entfernt, gegenüber der U-Bahn-Station, da waren Aborigines, einige lebten in einer Art Zelt auf einer Wiese.

Jeder, der wollte, konnte sich ein Bild davon machen, was von der Instrumentalisierung zu halten ist, wie echt Freemans Zauber war. Bei Olympia wurde schon damals viel verklärt, aber es wurde im freien Teil der Welt nicht gelogen wie heute in China, die Erzählung wurde nicht umgedeutet, die Bilder waren nicht so unkontrollierbar, das alles ist ein Unterschied.

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