Süddeutsche Zeitung

Joachim Löw:Genussvoll abgetaucht

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Joachim Löw hat sich zuletzt mal wieder unsichtbar gemacht und Oliver Bierhoff für sich sprechen lassen - mit diesem Vorgehen schadet sich der Bundestrainer auch selbst.

Kommentar von Christof Kneer

Wenn Oliver Bierhoff über Joachim Löw spricht, tut er das offiziell als "Direktor Nationalmannschaften und Akademie". Das ist ein ausgezeichneter Titel, der möglicherweise zu lang ist, um auf eine Visitenkarte zu passen, sich im Vergleich aber immer noch recht knackig liest. Unpraktischer wäre jedenfalls, wenn hinter Bierhoffs Namen nur Titel mit Fragezeichen stünden. Anwalt? Verteidiger? Kläger? Richter?

Was Bierhoff gerade für Löw ist, weiß man nicht genau. Er ist einerseits sein Vorgesetzter, der die Arbeit des Trainers kritisch zu bewerten hat, Bierhoff ist der, der kraft Amtes von oben aufs große Ganze schaut; andererseits steckt er mittendrin im großen Ganzen und wirkt wie der Interessenvertreter des Bundestrainers. Es gebe "im Moment beim DFB zu viel Oliver Bierhoff und zu wenig Joachim Löw", hat Karl-Heinz Rummenigge am Wochenende gesagt; selten dürften dem eher untertemperierten Vorstandschef des FC Bayern so viele warme Herzen zugeflogen sein wie mit diesem Satz, den vox populi nicht besser hätte formulieren können. Womöglich dürfte es den klassisch veranlagten Münchnern ein kleines Kollateralvergnügen bereiten, dass in diesem Satz auch der Powerpointfreund Bierhoff ein bisschen mit getadelt wird, aber die Zielrichtung des Angriffs dürfte jener Mann sein, dessen Existenz man schon wieder vergessen hat. Am Dienstag wird es drei Wochen her sein, dass man Löw nach dem 0:6-Untergang in Spanien letztmals beim Sprechen erwischte - so eine lange Quarantäne verlangt nicht mal Karl Lauterbach.

An diesem Montag möchte sich Löw erstmals erklären, tatsächlich hat er sich dann viel zu lange auf jene Art von Immunität berufen, die sonst nur hochrangigen Politikern zuteilwird. Wenn man nicht irgendwas nicht mitbekommen hat, gilt diese Immunität für Fußball-Bundestrainer nicht; dennoch hat es Löw in den vergangenen drei Wochen geschafft, aus dem Vorgesetzten Bierhoff eine Mischung aus Steffen Seibert (Regierungssprecher) und Helge Braun (Chef des Kanzleramts) zu machen. Bierhoff hat für ihn gesprochen und der Öffentlichkeit jene Positionen mitgeteilt, die der Bundestrainer sich offenbar herabgelassen hat zu haben. Politik besteht auch aus Gesten und Bildern, und es wäre durchaus eine Geste und ein Bild gewesen, hätte sich Löw am Samstag in München ins Stadion gesetzt, um jene kämpferische Attitüde, die ihm Bierhoff freundlicherweise unterstellt, auch öffentlich zu machen. Löws notorisches Unsichtbarmachen grenzte zuletzt an unterlassene Hilfeleistung - der Nationalelf, dem Verband und übrigens auch sich selbst gegenüber.

Tatsächlich ist Löw aber auch ein Gewinner jener DFB-Krise, zu der sein Fußball höchstens einen Teil beigetragen hat. Die Verbandsspitze ist ausreichend mit sich selbst beschäftigt, dem Präsidenten Keller werden intern Alleingänge und sprunghaftes Verhalten unterstellt; Bierhoffs Rolle ist unklar; Bayern-Boss Rummenigge profiliert sich als Staatsoberhaupt des deutschen Fußballs, indem er manche Vereine zu Gipfelgesprächen einlädt und andere nicht. Jogi Löw, der Fußball in den Zwischenräumen liebt, hat bei so vielen Partikular-Interessen und -Eitelkeiten genügend Zwischenräume gefunden, um genussvoll abzutauchen.

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