Süddeutsche Zeitung

Hannover 96:"Wir brauchen die Ultras nicht"

Lesezeit: 2 min

Von Carsten Scheele, Hannover

Die beiden Aufsteiger zur neuen Bundesliga-Saison kommen aus Stuttgart und Hannover - und da hören die Gemeinsamkeiten bereits auf. Stuttgart liegt im Südwesten des Landes, Hannover zentral im Norden. Beim VfB herrscht Euphorie ob der Rückkehr in die Eliteklasse, man hat Spieler wie Holger Badstuber verpflichtet und dem großen FC Bayern sogar den Kaderplaner Michael Reschke abspenstig gemacht.

Und bei Hannover 96? Was herrscht da eigentlich?

Es wirkt jedenfalls, als stünde die Lust, endlich wieder Bundesliga zu spielen, nicht sonderlich im Vordergrund. Stattdessen schwelt ein großer Konflikt im Klub, und einige Anhänger sind dabei, den Verein mit öffentlichen Gewaltaktionen in ein möglichst schlechtes Licht zu rücken. Klubchef Martin Kind, kurz davor, endgültig die Mehrheit im Klub zu übernehmen, antwortet gewohnt scharfzüngig, und so wird anderthalb Wochen vor dem Ligastart über vieles diskutiert, nur nicht über die erste Partie am 19. August auswärts bei Mainz 05.

Der Protest gegen die Allmachtspläne des Klubchefs begleitet den Verein seit Jahren, doch diesmal ist es besonders schlimm. Seit Kind im Sommer verblüffend geräuschlos die Mehrheitsanteile der "96 Management GmbH" übernommen hat, zu einem ebenso verblüffend geringen Preis von 12 750 Euro, setzen die Ultras scheinbar endgültig auf Gewalt.

Schon am letzten Spieltag der Zweitligasaison hatten 96-Krawallmacher das Stadion in Sandhausen beschädigt, nun nutzten sie das Test-Auswärtsspiel im nordwestenglischen Burnley dazu, das Ansehen des Vereins (und damit auch von Martin Kind) nachhaltig zu schädigen. Sie versuchten, den Heim-Block zu stürmen, warfen Sitzschalen auf die britischen Anhänger, eine Ordnerin wurde verletzt, das Spiel schließlich abgebrochen. Schon bei anderen Testspielen war es zu Zwischenfällen gekommen, der Verein gab den Ultras die Schuld und erklärte öffentlich, diese hätten Hannover 96 "immensen Schaden zugefügt". In England müsse sich der Klub nicht mehr blicken lassen.

Geht das am 19. August in Mainz so weiter, wenn die Bundesliga-Spielzeit startet? Das steht zu befürchten, denn die Ultras unter den kritischen Fans fühlen sich machtlos, was die geplante Übernahme von Präsident und Unternehmer Martin Kind angeht. Er engagiert sich bald 20 Jahre im Verein, in diesem Fall greift eine Ausnahmeregelung im deutschen Fußball, sodass Hannover nicht mehr an die 50+1-Maßgabe gebunden sein wird, ähnlich wie Bayer Leverkusen, die TSG Hoffenheim oder der VfL Wolfsburg, die in der Hand von Großkonzernen oder Mäzen Dietmar Hopp sind. Für manche in Hannover eine Horrorvision und Gewalt das einzige Mittel, sich noch Gehör zu verschaffen.

Kind gibt einen Vorgeschmack, was sein Plan für die Fans bedeutet

Kind wird Ernst machen, daran besteht wenig Zweifel, und gibt dieser Tage einen Vorgeschmack, was dies für die Fanszene in Hannover bedeuten wird. Erst im Juli lehnte der Klub 119 Mitgliedsanträge mutmaßlich Kind-kritischer Fans nach langer Prüfung ab. "Im Sinne des Vereins", hieß es in der Begründung bloß, was bedeutete: Diese 119 Fans sollen bei der nächsten Mitgliederversammlung nicht gegen Kinds Vorhaben stimmen.

Der Bild-Zeitung gab Kind auch noch ein Interview, in dem abermals deutlich wird, wie er mit den Ultragruppen umzugehen gedenkt. "Wir werden versuchen, sie auszugrenzen", erklärte Kind: "Die wollen wir eigentlich gar nicht, wir brauchen sie nicht." Man werde sich lieber um die 49 000 Fans im Stadion kümmern, die die Vereinspolitik billigen, nicht um die kritischen 300 bis 500, so Kind: "Das wird unser Ziel sein, daran werden wir arbeiten."

Ein Antrag des Aufsichtsratsmitglied Ralf Nestler auf einstweilige Verfügung gegen Kinds Übernahmepläne wurde vom Landgericht in dieser Woche zurückgewiesen. Doch die Ultras haben in der Vergangenheit gezeigt, dass sie sich kaum geschlagen geben werden. Die Chance auf einen Friedensschluss zum Bundesligastart geht damit gen null.

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