Süddeutsche Zeitung

Fußball:Löws subtiles Gegenpressing

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Von Jonas Beckenkamp, Amsterdam

Der Weg zu Joachim Löw führt vorbei an einer "Kouwgomballenfabriek" draußen im Südosten von Amsterdam. Es zieht sich ein wenig wie - nunja, Kaugummi - ehe einem plötzlich die Johan-Cruyff-Arena wie ein Ufo entgegen schwebt. Das Stadion, in dem die deutsche Nationalelf an diesem Samstagabend ( im SZ-Liveticker) auf ein paar neue Impulse hofft. Einen wie Cruyff könnte Löw derzeit gut gebrauchen in seiner Mannschaft, für die es gegen Holland im zweiten Gruppenspiel der Nations League nun schon um eine ganze Menge geht. Es geht ja zum Beispiel auch um Löws Zukunft.

Das Problem ist: König Johan steht dafür leider ebenso wenig zur Verfügung wie eine Reihe an Verletzten, deren Ausfälle dem Bundestrainer eine "hektische" Woche bescherten, wie er leicht angetrotzt erklärte. Leon Goretzka, Marco Reus und Antonio Rüdiger sind bekanntlich nicht mit an die Ijsselmündung gereist, trotzdem "haben wir in solchen Situationen nie lamentiert", erklärte Löw. Lamentieren, polemisieren, kritisieren, das tun nach dem kolossalen WM-K.o. andere, wenn es um die Nationalmannschaft geht, zum Beispiel Michael Ballack.

Der Ex-Capitano war unter der Woche die lauteste Stimme unter jenen Altvorderen, für die Löw nicht mehr unbedingt die Ideallösung als Bundestrainer ist. So weit ist es gekommen: Die DFB-Elf muss in Holland also auch ein wenig für ihren einstigen Weltmeister-Coach spielen. Und so entwickelte sich die Gesprächsrunde vor dem Duell in Amsterdam zum subtilen Gegenpressing Löws. "Jeder darf sagen, was er möchte, aber diese Woche beschäftige ich mich damit nicht und nächste Woche schon gar nicht." In Summe heißt das so viel wie: Löw pfeift geflissentlich auf Ballacks Einwürfe aus dem Off - eine gewisse Bekümmerung war ihm aber trotzdem anzumerken, zumindest die Schlagzeilen der letzten Tage waren ihm geläufig.

Dass den Bundestrainer so deutliche Kritik von einem ehemaligen Weggefährten erreicht, tritt nun schon das zweite Mal auf. Zuvor hatte bereits Philipp Lahm seinen Führungsstil in Frage gestellt und damit vorausgegriffen, was jetzt in der sogenannten Fußball-Öffentlichkeit doch recht innig diskutiert wird. Ist die Löwsche Trotzigkeit, das "weiter-so-mit-einigen-Anpassungen", der richtige Sound für diese schwankende Elf? Oder leiert die Platte inzwischen? Im Falle von weiteren Misserfolgen in den Spielen gegen Holland und am Dienstag gegen Frankreich könnte sich diese Debatte sogar so sehr zuspitzen, dass es sich irgendwann ausgetrotzt hat für Löw.

"Ich verspüre in der Nations League nicht mehr Druck als bei einer WM", sagte der Bundestrainer nun in Bemühung um jene Coolness aus den Weltmeisterjahren. Löw glaubt an seine Elf, auch wenn er wieder einmal basteln muss. Die Ochsenabwehr aus dem Frankreich-Spiel in München wird es aufgrund einiger fehlender (Rüdiger) und formschwacher (Boateng, Süle, Hummels) Ochsen in ihrer urtümlichen Form nicht mehr geben, dafür soll Matthias Ginter wieder rechts spielen und Jonas Hector links - zwei Halbochsen, sozusagen. Auch Joshua Kimmich und Thomas Müller bekamen vom Chef höchstpersönlich eine Einsatzgarantie.

Überhaupt, die Bayern-Profis: Wüsste man es nicht besser, hätte man aufgrund des aktuellen Durchhängers in München ja meinen können, dass sie beim DFB eine Selbsthilfegruppe für ramponierte Mia-san-Mia-Egos ins Leben rufen mussten. Dass dem nicht so ist, bestätigten sowohl Löw als auch Thomas Müller. "Die Bayern-Spieler haben die Woche über einen guten Eindruck gemacht, sie waren nicht down", hat der Bundestrainer beobachtet. "Jerome, Mats, Manuel oder Thomas sind schon so lange dabei, sie haben viel durchgemacht. Solche Spieler sind dann mal frustriert, wenn es nicht läuft, aber sie können schnell den Schalter umlegen."

Für die Bayern-Profis sind die Länderspiele eine Art Stresskur

Müller räumte ein, dass man sich schon Gedanken mache nach dem Absturz auf Tabellenplatz sechs (und einer nun schon viele Monate langen Torflaute beim DFB): "Das Thema Bayern begleitet einen natürlich, wir haben ja auch Tischgespräche hier mit den Jungs aus anderen Klubs", sagte er, "da unterhält man sich schon. Aber das begleitet einen nicht, wenn man auf dem Platz steht." So sehen sie im Nationalteam die anstehenden Länderspiele auch als Stress-Kur von den Strapazen in München, wo zuletzt sogar die 29-jährigen Müller und Hummels eher wie 35-Jährige wirkten.

Nur eines wollte Löw dann noch loswerden. Angesprochen auf etwaige Parallelen in der Stagnation der Nationalteams aus Deutschland und den Niederlanden konstatierte er: "Da sehe ich keinerlei Ähnlichkeiten: Wir haben uns ja bislang für jedes Turnier qualifiziert." Die Holländer nicht, sie schauten zuletzt bei WM und EM zu. Auch für die "Elftal" gilt an diesem Abend also: Weg mit dem zähen Kaugummi der Vergangenheit.

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