Süddeutsche Zeitung

Fußball-Turnier während Corona:EM der Widersprüche

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Das Fußball-Turnier hat bereits einige bemerkenswerte Bilder produziert: leere Stadien, volle Stadien und dazwischen erhöhte Corona-Zahlen in Russland. Was von der ersten Woche der Europameisterschaft bleibt.

Kommentar von Sebastian Fischer

"Fuck Euro 2020" steht seit dem ersten Wochenende dieser EM mit schwarzem Filzstift geschmiert auf mehreren Hinweisschildern auf dem Nevsky Prospekt, der strahlenden Hauptstraße Sankt Petersburgs. Zu Beginn des Turniers konnte man das noch für das Werk eines Vandalen handeln, der wenig für Fußball übrig hat oder für Sportgroßveranstaltungen im Allgemeinen. Inzwischen ist aber genauso gut denkbar, dass sich jemand sehr ruppig ausgedrückt hat, der Bedenken trägt, was die virologischen Begleitumstände der Partien in Russland angeht.

Mehr als eine Woche "Euro 2020" im Pandemie-Sommer 2021 ist vorbei, die Vorrunde neigt sich ihrem Ende zu, das Turnier hat einige bemerkenswerte Bilder produziert. Eindrücklich war die Anteilnahme am Drama um Christian Eriksen in Dänemark, der Applaus im Spiel gegen Belgien von Zuschauern, Spielern und Schiedsrichtern in der zehnten Minute im Stadion in Kopenhagen, dem Mittelfeldspieler mit der Nummer zehn gewidmet, der nach seinem Herzstillstand im Spiel zuvor im nahen Krankenhaus lag, inzwischen ist er nach erfolgreicher OP entlassen. Auch sportlich ist einiges passiert, Italiener und Belgier ragen bislang heraus, seit Samstagabend ist auch die deutsche Nationalmannschaft im Turnier angekommen mit dem 4:2 gegen Portugal.

Ausgerechnet in Russland steigen die Infektionszahlen

Abseits davon ist die Stimmung bei diesem Turnier so schwer einzuschätzen, wie das vorher abzusehen war. Kommt Fußballfreude auf? Das ist natürlich abhängig von den Standorten. In London, am Rande des 0:0 der Engländer gegen die Schotten, war die Fußballfreude recht offensichtlich. Aber kann man sie, zum Beispiel, darin sehen, wenn in Budapest ein Stadion wieder voll ist? Oder verschwindet das gänzlich hinter der Tatsache, dass die Bilder eines angeblich nur mit Geimpften vollen Stadions vor allem Ungarns rechtspopulistischen Ministerpräsidenten Viktor Orban nutzen?

Und dann ist da eben Sankt Petersburg, Mittelpunkt der Vorrunde, nirgendwo sind mehr Gruppenspiele, vier sind vorbei, zwei kommen noch. Ausgerechnet in Russland, wo so viele verschiedene Gästefans wie nirgends sonst anreisen, wo die Impfkampagne stagniert, steigen seit Tagen wieder die Infektionszahlen. Gerade wurden die laxen Einschränkungen ein klein wenig verschärft, nach dem letzten Heimspiel der Russen, versteht sich. In Sankt Petersburgs Weißen Nächten schließen von zwei bis sechs Uhr die Restaurants. Auf die Maskenpflicht wird nun auch in der U-Bahn deutlicher hingewiesen - jedenfalls am Eingang. Und vor dem zweiten EM-Wochenende wurde in Moskau eine Fan-Zone geschlossen. Die in Sankt Petersburg ist weiterhin geöffnet.

"Fuck Euro 2020", das würden die Finnen trotzdem eher nicht sagen, die größte Zahl der Gästefans in Russland, sie mussten ja nur über eine Grenze reisen. Einige sind zu Hause geblieben, den Empfehlungen des hiesigen Instituts für Gesundheit folgend, manche haben offenbar gar ihre Tickets verfallen lassen. Jene, die trotzdem da sind, haben aber ganz offensichtlich eine gute Zeit. Vielleicht muss man manches irgendwie pragmatisch sehen bei dieser EM der Widersprüche. Sie gehen ins Stadion, sie gehen auch in die Bars davor. Aber auf das gemeinsame Saunieren mit Russinnen und Russen, so erzählte es einer der Fans, würden sie nun eben verzichten.

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