Dänemark bei der EM 2021:Sympathiewellen bis ins Rigshospitalet

Fußball EM - Dänemark - Belgien

Trainer Kasper Hjulmand umarmt Belgiens Romelu Lukaku (r): Es ging sehr emotional zu in Kopenhagen.

(Foto: Dirk Waem/dpa)

Beim 1:2 der Dänen gegen Belgien brechen im Stadion wegen Christian Eriksen noch einmal die Gefühle durch - Dänemark beweist Widerstandskraft, der Tagessieger große Klasse.

Von Jonas Beckenkamp

Von all den gefühligen Szenen dieses Spiels blieb dann vor allem eine hängen. Als das 1:2 der Dänen im zweiten EM-Gruppenspiel gegen Belgien in den Büchern stand, krallte sich Romelu Lukaku Dänemarks Trainer Kasper Hjulmand für eine De-luxe-Umarmung. Es war keine dieser flüchtigen Annäherungen, wie es sie sonst nach Schlusspfiff öfter gibt, sondern ein echter, inniger Moment der Zugewandtheit. Der Däne und der Belgier verweilten sekundenlang gemeinsam, es gab einiges zu verarbeiten.

Dass sie Teil des emotionalsten Spiels dieses Turniers geworden waren, lag natürlich an der Vorgeschichte um Christian Eriksen. Seine Nahtod-Erfahrung im ersten Auftritt der Dänen begleitete beide Teams an diesem aufgeheizten Sommerabend in Kopenhagen. Sie verwandelte das ganze Stadion in eine Art Therapiezentrum für Traumabewältigung. Und Lukaku, 28, sonst ein Gladiator des Fußballgeschäfts, packte sich voller Ergriffenheit noch weitere Dänen wie zum Beispiel Torwart Kasper Schmeichel oder Kapitän und Ersthelfer Simon Kjær.

Ein ziemlich hochklassiges, aufregendes Spiel gerät in den Hintergrund

Er bedankte sich bei ihnen, dass sie Eriksen, mit dem er gemeinsam bei Inter Mailand spielt, das Leben gerettet hatten. Hjulmand rang die Feinfühligkeit des Belgiers hinterher Respekt ab: "Lukaku ist eine große Persönlichkeit. Er und Christian sind gute Freunde." Dänemarks Coach verspürte deswegen ein geradezu transzendentales Gefühl, es sei klar geworden "dass wir alle eine Fußballfamilie sind und der Fußball so viele Menschen verbindet".

Dass nebenbei auch noch ein Spiel stattfand, ein ziemlich hochklassiges, aufregendes übrigens, geriet in den Hintergrund. Die Belgier jubelten bei ihren Kontertoren durch den Dortmunder Thorgan Hazard (55. Minute) und Kevin De Bruyne (70.) nur verhalten. Dabei hatten sie nach dem Rückstand durch den Leipziger Yussuf Poulsen (2.) erneut bewiesen, dass sie bei dieser EM zu den Eins-A-Teams gehören. Besonders De Bruyne schien sich direkt nach seiner Einwechslung zur Halbzeit in Zungenschnalzerform zu befinden: Er bereitete den ersten Treffer vor und wuchtete den zweiten per Direktabnahme flach ins Tor.

Vorausgegangen war in der zehnten Spielminute ein kurzer Stopp der Partie, als die ganze Arena mit tosendem Applaus innehielt. Eine Hommage an Eriksen, der die Nummer 10 auf seinem Trikot trägt und sich nur unweit vom Kopenhagener "Parken" im Krankenhaus von seinem Herzstillstand erholt.

Es war - trotz Abwesenheit - Eriksens Spiel und die dänischen Fans klatschten so laut, dass die Schallwellen vielleicht sogar hinüber ins Rigshospitalet schwappten. Es sind nur knapp 1,5 Kilometer, vielleicht hatte Eriksen ja das Fenster geöffnet. "Christian hat uns eine Nachricht in unsere Whatsapp-Gruppe geschrieben", verriet Barcelona-Stürmer Martin Braithwaite, "er schrieb, dass wir genial waren."

Das stimmte im Grunde, denn in der Tat bewiesen die Dänen angesichts der Lage eine beeindruckende Resilienz. Gerade zu Beginn schienen sie Kraft zu schöpfen aus all der Aufgewühltheit der vergangenen Tage. "Ich kann nicht sagen, wie viel Stolz ich empfinde", lobte Trainer Hjulmand, seine Elf habe "so viel Qualität gezeigt, so ein unglaubliches Spiel gespielt. Sie haben das beste Team der Welt total dominiert. So viel Respekt."

"Die beste Mannschaft der Welt spielte heute Abend im Parken", sagt Braithwaite

Dass dies gelang, lag auch an der offenbar gelungenen psychologischen Betreuung der Profis im Vorfeld. Man sei auf "die emotionale Seite des Spiels gut vorbereitet" gewesen, folgerte der 49-Jährige. Die Dänen rannten und kombinierten, sie hatten auch kurz vor dem Ende noch Chancen auf den Ausgleich. "Wir haben uns gegenseitig gepusht und haben alle Energie genutzt, die im Stadion präsent war", erzählte der frühere Coach des FSV Mainz.

Ähnlich hatte es offenbar auch Angreifer Braithwaite erlebt, der die Verbrüderung aller Anwesenden, auch der Belgier, hervorhob. "Wir haben das Stadion schon beim Warmmachen gespürt", fand er, "es war etwas sehr Spezielles." Und überhaupt, er sei zwar beim FC Barcelona im Klubfußball beheimatet, aber "die beste Mannschaft der Welt spielte heute Abend im Parken".

Er meinte anders als Hjulmand das eigene Nationalteam, das trotz der beiden Auftaktniederlagen noch nicht raus ist aus dem Turnier. Zusammenhalt und Können haben die Dänen bewiesen, jetzt braucht es noch einen deutlichen Sieg gegen Russland, um eine Chance aufs Achtelfinale zu haben. Und wäre das nach allem, was passierte, nicht DIE Geschichte des Wettbewerbs?

"Für diese Mannschaft gibt es kein Limit", versprach Braithwaite voller Trotz und Zuversicht, "wir werden das beenden und die Gruppenphase schaffen." So empfindet es auch Hjulmand: "Wir sind noch nicht fertig mit diesem Wettbewerb."

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