Süddeutsche Zeitung

Fußball-Bundesliga:Besser als erlaubt

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Mainz, Freiburg und Kaiserslautern verblüffen das Establishment der Bundesliga - auch dank pfiffiger und phantasievoller Personalpolitik. Doch wer die Branche kennt, der ahnt, wie das Establishment sich wehren wird.

Christof Kneer

Noch bevor am 11.11. der Karneval beginnt, könnte in Mainz schon groß gefeiert werden. Am Wochenende zuvor wird der 11. Spieltag stattgefunden haben, und wenn das so weitergeht, werden die Mainzer nach diesem 11. Spieltag eine rauschende Klassenerhalts-Sause ausrichten. Vorausgesetzt natürlich, sie werden bis dahin alle Spiele gewonnen haben (woran natürlich keiner mehr zweifelt), was dann 33 Punkte ergeben würde. 33 Punkte haben zuletzt fast immer gereicht.

Der FSV Mainz 05 ist zurzeit besser als erlaubt, und er steht nicht allein mit diesem Verstoß gegen die Branchengesetze. Auch der SC Freiburg und der 1. FC Kaiserslautern haben es sich auf Tabellenplätzen bequem gemacht, auf die sie laut Marktanalyse nicht gehören. Dem Establishment zum Trost sei angemerkt, dass die drei Aufmüpfigen auf diesen Tabellenplätzen eher nicht bleiben werden; dennoch sollte sich das Establishment gut überlegen, warum sein kann, was nicht sein darf.

Die Wahrheit klingt nicht schmeichelhaft für die großkapitalistischen Fußball-Unternehmen, die den Mainzern reihenweise unterliegen. Die Wahrheit lautet, dass Mainz einfach schlauer ist. Sie reizen ihre Nische aus wie der SC Freiburg in den neunziger Jahren. Die Freiburger hatten sich unter dem Diktat des Großmeisters Volker Finke einen taktischen Systemvorteil verschafft, sie etablierten im treudeutschen Fußball-Land einen undeutschen Kollektivstil, mit dem sie den Markt eine Weile überlisten konnten. Heute pflegt jeder Erstligist, der etwas auf sich hält, einen undeutschen Kollektivstil, weshalb sich die Mainzer unter Führung des ebenfalls im Großmeister-Verdacht stehenden Thomas Tuchel auf einen Transfervorteil spezialisiert haben.

Unter dem Deckmantel des närrischen Karnevalsklubs pflegen die Mainzer eine sehr ernsthafte, sehr phantasievolle Personalpolitik, wie die jüngste Transaktion beispielhaft zeigt. Das selbst gezüchtete Großtalent Schürrle wird im nächsten Sommer für etwa zehn Millionen nach Leverkusen verkauft, aber der Nachfolger steht schon fest: das Leverkusen gehörende, bereits nach Mainz verliehene Großtalent Risse, das mit Schürrle verrechnet wird. So gilt der Mainzer Weg bereits jetzt als stilbildend für Klubs wie Freiburg und Kaiserslautern, die es ebenfalls mit ambitionierten Jungtrainern (hier Dutt, da Kurz) und pfiffigen Transfers (hier Cissé, da Hoffer) versuchen.

Wer die Branche kennt, der ahnt, wie das Establishment sich wehren wird. Es wäre ein Wunder, wenn nicht bald Angebote für Cissé, Hoffer und Thomas Tuchel eingingen.

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Quelle:
SZ vom 20.09.2010
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