Süddeutsche Zeitung

Angriff mit einer Eisenstange:Das gleiche Szenario wie bei Nancy Kerrigan

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Hat Aminata Diallo wirklich den gewaltsamen Überfall auf ihre Klubkollegin Kheira Hamraoui in Auftrag gegeben? Während die Verdächtige in Polizeigewahrsam ist und weiter ermittelt wird, herrscht nicht nur bei Paris Saint-Germain große Fassungslosigkeit.

Von Anna Dreher, Paris/München

Wenn sich diese Geschichte tatsächlich so zugetragen hat, erinnert sie an einen der spektakulärsten Skandale des Sports. Ein Eklat, der weltweit Aufsehen erregt, sind die Vorkommnisse schon jetzt. Es geht in dieser Geschichte um Konkurrenz, Neid und Körperverletzung in Form von organisierter Gewalt - wenn das alles nicht doch ab irgendeiner Stelle ein fatales Missverständnis sein sollte. Aber danach sieht es nicht aus nach allem, was bisher bekannt ist.

Am Donnerstag vergangener Woche waren die Fußballerinnen des französischen Spitzenklubs Paris Saint-Germain mit dem gesamten Team in einem Restaurant gemeinsam essen. Danach soll die Spielerin Kheira Hamraoui laut der Sportzeitung L'Équipe in einen Hinterhalt gelockt worden sein - offenbar von ihrer Teamkollegin Aminata Diallo. Auf der gemeinsamen Heimfahrt, so zitiert das Blatt einen Verwandten Hamraouis, habe die 31-Jährige in der Nähe ihres Zuhauses zwei mit Sturmhauben maskierte Personen auf das Auto zukommen sehen. Diallo soll am Steuer gesessen haben.

Einer der Männer habe Hamraoui dann aus dem Wagen gezogen und mehrmals mit einer Eisenstange auf sie eingeschlagen, vor allem auf die Beine. Danach seien die Angreifer geflohen. Wertsachen wurden bisherigen Angaben zufolge keine gestohlen, Diallo soll während des Angriffs vom zweiten Mann festgehalten worden sein - und blieb unverletzt. Hamraoui hingegen musste laut L'Équipe im Krankenhaus an Händen und Beinen genäht werden. Sie erstattete Anzeige.

PSG hat Vorkehrungen getroffen, "um die Gesundheit, das Wohlbefinden und die Sicherheit" des Frauenteams zu garantieren

Das alles ist bekannt geworden, nachdem Aminata Diallo am Mittwochmorgen in Untersuchungshaft genommen wurde. Paris Saint-Germain bestätigte in einem Statement, dass die 26 Jahre alte Französin "von der regionalen Polizei von Versailles im Rahmen des Verfahrens in Gewahrsam genommen wurde, das nach einem Angriff auf eine Spielerin des Klubs am vergangenen Donnerstagabend eröffnet wurde". Seit der Tat seien vom Verein Vorkehrungen getroffen worden, "um die Gesundheit, das Wohlbefinden und die Sicherheit" des gesamten Frauenteams zu garantieren. Der Klub verurteile die verübte Gewalt aufs Schärfste und arbeite zusammen mit der Polizei an der Aufklärung. Dass es sich bei dem Opfer um Hamraoui handelt, bestätigte PSG bisher nicht.

Beim 4:0 im Champions-League-Spiel gegen Real Madrid am Dienstagabend im heimischen Parc des Princes fehlte die 31-Jährige, offiziell aus persönlichen Gründen. Es wäre ihre 100. Partie für PSG gewesen, wo sie bereits von 2012 bis 2016 spielte und seit diesem Sommer wieder unter Vertrag steht. Auch im Liga-Topspiel gegen Olympique Lyon am Wochenende dürfte sie dem französischen Meister fehlen, das Rückspiel gegen Real findet kommenden Donnerstag statt. Im Hinspiel stand statt Hamraoui im Mittelfeld Diallo bis zu ihrer Auswechslung in der 88. Minute auf dem Platz - neben Sara Däbritz. Die deutsche Nationalspielerin, die im Sommer 2019 vom FC Bayern nach Paris gewechselt war, reagierte auf eine SZ-Anfrage zu den Vorkommnissen nicht. Auch andere Spielerinnen und der Klub halten sich zurück.

"Diese Nachricht hat mich schockiert, ich bin immer noch ein wenig fassungslos", sagte Lyons Trainerin Sonia Bompastor nach dem Champions-League-Spiel ihres Teams gegen den FC Bayern (2:1) am Mittwochabend. Noël Le Graët, der Präsident des Französischen Fußballverbands (FFF), sagte, er kenne beide Spielerinnen und halte den vermuteten Vorgang für unwahrscheinlich: "Ich bin entsetzt, wenn das Gesagte wahr ist. Es erscheint unvorstellbar. Ich warte die Ergebnisse der Untersuchung ab."

Hamraoui und Diallo gelten als langjährige Freundinnen - spielen seit dieser Saison jedoch erstmals beim gleichen Klub

Das Szenario erinnert an das Jahr 1994, als die Eiskunstläuferin Nancy Kerrigan während der US-Meisterschaft kurz vor den Olympischen Spielen von zwei Männern attackiert wurde. Bei dem Angriff mit einer Eisenstange erlitt sie Knieverletzungen. Der damalige Mann von Tonya Harding - Kerrigans größter US-Konkurrentin - hatte die Tat initiiert. Nach Lillehammer konnten schließlich beide Eiskunstläuferinnen reisen, Kerrigan holte Silber, Harding wurde Achte. Während die Männer schnell aufflogen, gestand Harding erst Jahre später ein, gewusst zu haben, dass ein derartiger Überfall geplant gewesen sei.

Nun stellt sich 27 Jahre später die große Frage, ob Diallo tatsächlich in direktem Zusammenhang mit dem brutalen Angriff auf ihre Mannschaftskonkurrentin steht, ob sie diesen gar beauftragt hat, um ihre Einsatzchancen durch den Ausfall von Hamraoui zu verbessern. Dass Hamraoui vor allem an den Beinen verletzt worden sein soll, legt zumindest nahe, dass der Angriff sie gezielt sportuntauglich machen sollte. Dies wirkt sich nicht nur auf den Klub PSG, sondern auch auf Frankreichs Nationalteam aus - wobei hier beide Spielerinnen von Stammplätzen in der Startelf entfernt sind. Als Hamraoui nach zweijähriger Pause im Oktober von Nationaltrainerin Corinne Diacre berufen wurde, musste sie wegen einer Wadenverletzung für die WM-Qualifikationsspiele gegen Estland und Kasachstan absagen. Nachnominiert wurde, drei Jahre nach ihrem bisher letzten Nationalelf-Einsatz: Diallo. Gespielt hat sie dann allerdings nicht.

Dass beide Spielerinnen von Diacre für die Heim-WM 2019 nicht berücksichtigt worden waren, soll sie in ihrer Beziehung zueinander eigentlich nähergebracht haben. Nach der Absage flogen sie damals zusammen in den Urlaub, wie in der Vergangenheit auch schon mit anderen Spielerinnen. Die beiden gelten als langjährige Freundinnen. Hamraoui gewann mit Lyon je zweimal die Champions League und die Meisterschaft, mit Barcelona holte sie 2021 das Triple, bevor sie zu PSG zurückkehrte. Diallo kam nach Paris, als Hamraoui ging, gewann den Pokal, wurde jedoch 2020 an Utah Royals und 2021 an Atlético Madrid verliehen. Seit dem Sommer spielen sie nun erstmals beim gleichen Klub.

Neben Diallo ist noch ein Mann in Gewahrsam genommen und verhört worden

In Polizeigewahrsam soll Diallo bisher ihre Beteiligung an der Tat bestritten haben. Die zuständige Staatsanwältin Maryvonne Caillibotte teilte mit, dass ihre Anhörung bis Freitagmorgen verlängert wurde. Diallos Wohnung und ihr Auto sollen von der Polizei unmittelbar nach ihrer Abholung untersucht worden sein. Zudem sei ein Mann in Gewahrsam genommen und verhört worden, der mit dem Angriff in Verbindung stehen könnte und laut Medienberichten ein Bekannter Diallos ist.

Es soll sich dabei um einen 34-Jährigen handeln, der laut L'Équipe unter anderem wegen Erpressung und Folter in Lyon inhaftiert ist. Er soll im Oktober angefangen haben, die PSG-Spielerinnen Marie-Antoinette Katoto, Grace Geyoro, Sakina Karchaoui und Diallo anonym anzurufen. Dabei habe er behauptet, mit Hamraoui während ihrer Zeit in Barcelona zusammen gewesen zu sein. Als die Beziehung auseinanderging, sei sein Leben "zerbrochen", er wolle Rache üben. In Polizeigewahrsam soll er die Drohanrufe bestritten haben. Karchaoui wurde laut französischen Medien inzwischen ebenfalls zu den Vorfällen befragt.

Hat Aminata Diallo also gemeinsam mit diesem Mann den Angriff auf Kheira Hamraoui geplant und in Auftrag gegeben? Hat die Fußballerin entscheidende Informationen weitergeleitet, um die Tat zu ermöglichen? Oder wird sie zu Unrecht verdächtigt? Für den gesamten Frauenfußball-Kosmos ist der Fall so oder so ein Schock. PSG hat die für Freitag angesetzte Pressekonferenz und ein öffentliches Training vor der Partie gegen Lyon abgesagt. Darauf kann sich wohl ohnehin gerade keine Spielerin konzentrieren.

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