Süddeutsche Zeitung

Pokal-Aus des FC Liverpool:Klopps Problem sind Konter und Standards

Lesezeit: 3 min

Der FC Liverpool scheitert erneut früh im FA-Cup. Das Team von Jürgen Klopp kommt mit destruktiv auftretenden Gegnern kaum zurecht - der Trainer versucht zu beschwichtigen.

Von Sven Haist, London

Die Spieler des FC Liverpool konnten einem leidtun. Sobald sie sich im Pokalspiel bei Manchester United am Sonntag mit dem Ball am Fuß dem Strafraum näherten, sahen sie sich umgeben von lauter Gegenspielern, die dicht gestaffelt standen wie meterhohe Halme in einem Maislabyrinth. Mit elf Mann verteidigte United in der eigenen Hälfte das Tor - anfangs mit einer Formation aus zwei Viererreihen, später mit bisweilen sogar acht Leuten in der hintersten Abwehrlinie. Davor lauerten zwei Angreifer auf Konter, um sich von der Defensivarbeit mal die Beine vertreten zu können.

In diesem Abwehr-Irrgarten suchte sich Liverpool fast dusselig nach einer Lücke für den Torerfolg. Das Team von Trainer Jürgen Klopp schien dabei oftmals auf der Stelle zu treten und den Mut zu verlieren. Der Abpfiff bewahrte Liverpool letztlich davor, sich beim Aus in der vierten Runde des FA-Cups in Manchester noch weiter im Kreis zu drehen.

Seit dem Gewinn der Champions League und der Premier League in den beiden Vorsaisons trifft Liverpool nahezu ausschließlich Gegner an, deren Strategie es ist, sich auf dem Platz weit zurückzuziehen und über Gelegenheitsangriffe zum Erfolg zu kommen. Dieses Vorhaben verfolgen neben qualitativ unterlegenen Teams mittlerweile auch Vereine, die sich wie United mit dem Meister auf Augenhöhe wähnen.

Im dichten Kalender der vom Coronavirus geprägten Spielzeit verzweifelt Liverpool zunehmend an der destruktiven Haltung der Konkurrenz. Nach der Nullnummer gegen United in der Liga vor einer Woche klagte Klopp, dass die reaktionäre Spielart seines Trainerkollegen Ole Gunnar Solskjaer "das Schlimmste" sei, was einem im Fußball widerfahren könne - denn das mit Ausnahmespielern gespickte United an deren Strafraum auszuspielen, ist eine denkbar schwere Aufgabe. Liverpool gelang das sogar zwei Mal, jeweils traf Mohamed Salah (18./58.), aber der Preis war mit drei Gegentreffern viel zu hoch.

Klopp mahnt den Bedarf an Verstärkungen öffentlich an

Durch das 2:3 gegen United hat Liverpool das Achtelfinale im FA-Cup gegen West Ham verpasst - und lediglich eines der vergangenen sieben Pflichtspiele gewonnen. Der einzige Erfolg gelang kürzlich im Duell mit einer Nachwuchself von Aston Villa in der dritten Pokalrunde. In sechs Versuchen hat es Klopp bisher nie ins Viertelfinale des Wettbewerbs geschafft, seine Bilanz gleicht der eines vom Lospech heimgesuchten Zweitligisten: vierte Runde (West Ham), vierte Runde (Wolverhampton), vierte Runde (West Brom), dritte Runde (Wolverhampton), fünfte Runde (Chelsea), vierte Runde (United). Das vorzeitige Scheitern hat Klopp in keinem der Jahre sonderlich berührt, oft schonte er wichtige Spieler für die Aufgaben in Liga und Champions League.

Die jüngsten drei Gegentore im Old Trafford wiesen allerdings genau jene Symptome auf, unter denen sein Team momentan leidet. Die Konter durch Mason Greenwood (26.) und Marcus Rashford (48.) legten Liverpools personellen Engpass in der Innenverteidigung offen, den der verletzungsanfällige Joel Matip sowie die Langzeitausfälle Virgil van Dijk und Joe Gomez verursachen. Das Liverpool Echo, lokales Sprachrohr des Vereins, fordert seit geraumer Zeit die Klubeigentümer auf, finanzielle Mittel für Wintertransfers bereitzustellen. Den Bedarf an Verstärkungen hat Klopp sogar öffentlich angemahnt.

Nicht zu übersehen ist gleichermaßen die fehlende Konsequenz in der Defensive. Beim ersten Gegentor ließ Salah den Vorlagengeber Rashford gewähren, den nächsten Treffer verschuldete der 19-jährige Nachwuchsmann Rhys Williams, indem er am Ball vorbeischlug - und beim entscheidenden Freistoßtor von Bruno Fernandes (78.) verschätzte sich Torwart Alisson Becker. Wenn man gegen United gewinnen möchte, bilanzierte Klopp, müsse man "absolut top" sein - und das sei man nicht gewesen.

Klopp hält vehement an seiner Idee fest

Zehn der letzten elf Gegentore, die bis in den November zurückreichen, hat Liverpool nach Standards und Kontern gefangen. Das weitgehend risikolose Vorgehen, das Spitzenreiter United wieder zu einem der Meisterschaftsanwärter macht, setzt vielmehr auf eine ökonomische Spielweise in dieser Saison, die den Aufwand in Relation zum Ertrag misst. Dieses Modell hat in der Spitzengruppe seine Unterstützer gefunden: mit dem superschnellen Jamie Vardy verfügt das spielstarke Leicester City über ein rasantes Konterspiel und eine solide Defensive; genauso verhält es sich mit Tottenham Hotspur und dem FC Everton, deren Trainer José Mourinho und Carlo Ancelotti die Ansehnlichkeit der Darbietungen ihrer Teams wenig tangiert, solange sie erfolgreich sind. Sogar der von Ballbesitz so überzeugte Pep Guardiola hat bei Manchester City den Wert einer standhaften Abwehr für sich neu erkannt. Mit nur 13 Gegentoren stellt City die mit Abstand beste Defensive der Liga.

Einzig Klopp weicht bisher nicht von seiner offensiven Spielanlage ab - und das nutzt die Konkurrenz aus, indem sie Liverpool jeweils die Partien bestimmen lässt, um aus der Deckung zuzuschlagen. Bereits bei Borussia Dortmund reagierte Klopp auf die Krise in der missglückten Saison vor seinem Abschied 2015, indem er nicht seine Idee anpasste, sondern sie mit noch mehr Vehemenz durchzudrücken versuchte. Damals stand der BVB zeitweise auf einem Abstiegsplatz, bevor Klopp in der Winterpause die Trendwende gelang. Vergleichbar mies ist die Lage in Liverpool selbstverständlich nicht, wenngleich der Rückfall auf Platz vier die Titelverteidigung in Zweifel zieht. "Um uns muss sich keiner Sorgen machen", sagte Klopp nach dem United-Spiel und ergänzte: "Das war eine gute Übung fürs Tottenham-Spiel."

Die spitze Bemerkung war eine Provokation in Richtung von José Mourinho, dem Klopp unterstellte, er werde sein Team gegen Liverpool am Donnerstag besonders destruktiv auftreten lassen. Umso interessanter wäre das Verfolgerduell in diesem Fall, würde Klopp für dieses Spiel plötzlich auch auf Konter setzen.

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