Süddeutsche Zeitung

FC Bayern in der Champions League:Diesmal bitte nicht Kamikaze

Lesezeit: 4 min

Von Christof Kneer, München

Man stellt sich das vor wie damals bei Boris Becker, im Sommer 1991, bei der berühmten Niederlage gegen Michael Stich. In einer der Wechselpausen verschwand Boris Becker unter seinem Handtuch, man sah nur noch einen Arm und eine Banane heraushängen, und unter dem Handtuch hörte man es hervor wimmern: "Im Wimbledon-Endspiel . . ., mein schlechtestes Tennis! Mist!"

So ähnlich muss das mit Pep Guardiola auch gewesen sein, nur möglicherweise ohne Banane.

Es ist jetzt ein knappes Jahr her, dass Pep Guardiola sein Michael-Stich-Erlebnis hatte, es war am 29. April 2014, als der FC Bayern gegen Real Madrid mit 0:4 . . . "Verlor" wäre nicht das richtige Wort. Der FC Bayern wurde von Real gedemütigt, geduckt und schwer geschlagen, der Titelverteidiger aus München wurde aus der Champions League regelrecht hinausgejagt, und nachts, in seinem Trainerbüro, soll Pep Guardiola dann diese borisbeckerhaften Sätze gesagt haben: "Die ganze Saison habe ich mich geweigert, 4-2-4 zu spielen. Habe mich immer dagegen gewehrt. Und dann, am wichtigsten Tag des Jahres, mache ich genau das . . . Verdammte Scheiße . . .!"

Die Emotionen aus dieser Nacht verdankt man dem Buch "Herr Guardiola" des spanischen Journalisten Martí Perarnau, der Peps kombinierten Jammer- und Wutausbruch für den deutschen Markt natürlich übersetzen ließ. Bis zu dieser dunklen Nacht hatte Guardiola eine grandiose erste Saison in München hinter sich, er hatte es verblüffend schnell geschafft, dass kein Profi mehr den Abschied des verehrten Traineronkels Jupp Heynckes beweinte. Die Spieler waren fasziniert von dem neuen Mann, der ihnen das Spiel so akkurat wie niemand zuvor erklärte. Aber dann, wie gesagt, kam der 29. April 2014.

Ausgangsposition ähnlich wie 2014 im Halbfinale

An diesem Dienstag kommt nun der FC Porto in die Münchner Arena, eine Runde früher als Real Madrid damals. Guardiola und seine Elf haben sich den bösen Abend von damals inzwischen von der Seele gespielt, aber pünktlich zu diesem Rückspiel im Viertelfinale spuken die Geister von damals wieder durch die Stadt. Vieles ist im April 2015 anders als im April 2014, zum Beispiel tragen einige Spieler inzwischen den vertrauenerweckenden Titel "Fußball-Weltmeister" am Revers, aber eines erinnert doch fatal an die Situation vor dem Rückspiel gegen Real. Es ist die Ausgangsposition, die das Spiel des FC Bayern wieder zu einer Gratwanderung macht.

Vor einem Jahr hat schon ein 0:1 im Hinspiel gereicht, um die Bayern und ihren Trainer zum Verlust jeglicher Souveränität zu zwingen. Aktuell müssen die Bayern nun sogar ein 1:3 aufholen, sie brauchen mindestens zwei Tore, um weiterzukommen. Sie müssen also aufmachen, wie das in der Fachsprache heißt, aber sie dürfen dabei das Zumachen nicht vergessen. Sie müssen Risiko gehen, aber es darf auf gar keinen Fall zu viel Risiko sein. Ein gegnerischer Konter könnte unter Umständen schon ein gegnerischer Konter zu viel sein - sobald dem FC Porto ein Tor gelingt, werden die Fernsehreporter rufen: Jetzt müssen die Bayern schon vier schießen! Oder zumindest drei, bis zur Verlängerung.

Im Buch "Herr Guardiola" wird noch einmal der Konflikt nachgezeichnet, den Pep Guardiola damals vor dem Rückspiel gegen Real ausgerechnet mit jener Person auszutragen hatte, deren Meinung er am meisten schätzt: mit Pep Guardiola. Schon am Tag nach dem Spiel drangen ja erste Gerüchte nach außen, über eine Mannschaftsaufstellung, die der Trainer wider besseres Wissen angefertigt hatte.

Er hatte offenbar einen unglaublichen Verrat begangen, und man muss sich die Größe dieses Verrats ungefähr so vorstellen, als würde ein vier Jahrzehnte dienender Teamarzt fünf Tage vor einem großen Spiel plötzlich wegen eines ramponierten Vertrauensverhältnisses seinen Rücktritt einreichen (das ist natürlich nur ein fiktives Beispiel, so was kommt in der Wirklichkeit bestimmt nicht vor).

Allerdings hatte Guardiola damals nur sich selbst verraten. Sich selbst und all das, was ihm am Fußball heilig ist.

Guardiola kann saukomisch, herzergreifend oder eiskalt berechnend wirken, wenn er in seinem saukomischen Deutsch die Schuld auf sich nimmt, seine Mea-culpa-Attacken sind inzwischen berüchtigt. Aber selten war es ihm so ernst wie damals. Er hat sich damals - grob zusammengefasst - von den Spielern eine Taktik einsingen lassen, die er keinesfalls wollte. Die Kritiken waren nach dem 0:1 im Hinspiel nicht besonders, die Form einiger Spieler war mittel bis mäßig, und so hat sich Pep stichprobenartig durchs Team gefragt.

Er wollte wissen, mit welcher Taktik seine Profis sich am wohlsten fühlen, und Helden wie Ribéry oder Schweinsteiger haben offenkundig für weniger Kontrolle , sondern für hemmungslose Attacke plädiert. Also hat Guardiola seine Elf nackt gemacht, er hat Ribéry, Robben, Müller und Mandzukic stürmen lassen und sein Mittelfeld ohne was auf die Bühne geschickt. Martínez war angeschlagen, also mussten Schweinsteiger und Kroos im Zentrum alleine gegen Real Madrid spielen. Das konnte nicht gut gehen, und es ging nicht gut.

Diesmal "nicht Kamikaze"

Diese kleine Geschichtsstunde ist nötig, um einschätzen zu können, was in diesem Trainer vorgeht. Guardiola wird das Mittelfeld nicht mehr entblößen, er wird auch kein 2:0 nach zehn Minuten fordern, und anders als gegen Real darf man davon ausgehen, dass seine Spieler das auch so sehen. "Was uns nicht passieren darf, ist, dass wir überdreht ins Spiel gehen und zu viel wollen", sagte Thomas Müller am Montag, "wir müssen klug spielen, nicht Kamikaze. Wenn es zur Pause 0:0 steht, ist ja auch noch alles drin." Die Bayern wollen diesmal kein Spiel spielen, das nicht ihres ist: Sie wollen keine Hektik verbreiten und keine Bälle verlieren, die Porto zu jenen Kontern ermuntern, die reifere Semester wie Xabi Alonso überhaupt nicht lieben.

Was die Aufstellung angeht, so wird Guardiola diesmal keine empirischen Umfragen starten, er hat ja kaum eine Wahl. Der große Würzmeister kann sich schon deshalb nicht in der Würzmischung vergreifen, weil entscheidende Zutaten (Robben, Ribéry, Alaba) diesmal gar nicht greifbar sind. Nur Philipp Lahm wird im Team zurückerwartet, und er wird, anders als damals gegen Real, im Zentrum spielen.

Pep Guardiola weiß, dass die Champions League die Definitionsebene für einen Verein wie Bayern München ist. In so großen Klubs, sagte Guardiola am Montag, sei "nur das Triple genug". Um ihren Trainer aus allen Debatten herauszuhalten, werden die Spieler ihr bestes Tennis brauchen.

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Quelle:
SZ vom 21.04.2015
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