Süddeutsche Zeitung

Brasiliens neuer Nationaltrainer:Feuerwehrmann für die Seleção

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Wenige Tage nach der Absage von Real Madrids Coach Carlo Ancelotti vertraut Brasiliens Verband seine Auswahl Dorival Junior an - ein 61-jähriger Coach, der mit Problem-Mannschaften vertraut ist und erst jüngst große Erfolge feiern konnte.

Von Javier Cáceres

Eine 21-jährige Trainerkarriere mit mehr als zwanzig Stationen bietet reichlich Gelegenheiten für skurrile Anekdoten, im brasilianischen Fußball erst recht. Das gilt auch im Fall von Dorival Júnior, 61. Am Sonntag wurde er als neuer brasilianischer Nationaltrainer bestätigt, und das warf in Brasilien umgehend die Frage auf, wie nachtragend Dorival und Neymar Jr., der talentierteste brasilianische Fußballer der Gegenwart, wohl so sind.

Im Jahr 2010 hatten Dorival und Neymar beim FC Santos zusammengearbeitet, und es begab sich, dass der damals gerade volljährige Neymar in einem Anflug (nie überwundener) Infantilität seinen Trainer vor den Augen einer verdutzten Öffentlichkeit zum Teufel jagte. In unschicklichen Worten. Wegen eines Elfmeters, den Neymar ausführen wollte, obwohl Dorival einen anderen Schützen auserkoren hatte. Ob sie sich nun also vertragen werden, da sie in der Seleção zusammenarbeiten sollen? Immerhin: Neymar ist längerfristig verletzt, und so wird er nicht dabei sein, wenn Dorival sein Debüt feiert. Im März bei einem Testspiel der Brasilianer gegen England im Londoner Wembley-Stadion.

Auf derartigen Bühnen kennt sich Dorival eher nicht aus, zumindest hat er sie als Spieler nicht kennengelernt. Er wurde in den 1980er-Jahren Profi bei Ferroviária und spielte dann bei insgesamt einem Dutzend brasilianischer Vereine als Mittelfeldspieler, unter anderem bei Klubs wie Palmeiras São Paulo, Grêmio Porto Alegre oder Botafogo (in Rio de Janeiro). Danach begann er, wieder bei Ferroviária, seine Trainerkarriere, und erwarb sich mit den Jahren einen Ruf als "bombeiro", als Feuerwehrmann. Erst in jüngerer Vergangenheit erschallte sein Name mit hellerem Klang. Sein jüngster Erfolg war der erste Pokalsieg der Geschichte des FC São Paulo. Zuvor hatte er 2022 Flamengo zur Copa Libertadores geführt.

Es heißt, er habe schon länger mit dem Posten als Nationaltrainer geliebäugelt; dass er es nun wurde, hat auch mit dem Chaos zu tun, in dem Brasiliens Verband CBF versunken ist. Das zeigte sich auch bei der Suche nach einem Nachfolger für den im Dezember 2022 demissionierten Nationaltrainer Tite. Brasiliens Verband träumte von Pep Guardiola, prüfte drei portugiesische Optionen - Jorge Jesús, Abel Ferreira und José Mourinho - und hielt neulich für ausgemacht, dass Carlo Ancelotti die Mannschaft im Sommer zur Copa América führen werde.

Ancelotti aber verlängerte soeben seinen Vertrag bei Real Madrid. Als das geschah, war Verbandschef Ednaldo Rodrigues gerade von einem ordentlichen Gericht abgesetzt worden; als er am Donnerstag von der Justiz vorläufig wieder eingesetzt wurde, machte er Nägel mit Köpfen. Er setzte Tites glücklosen Interims-Nachfolger Diniz ab und nahm Kontakt zu São Paulo und Dorival auf. Dorival sagte erst zu, nachdem ihm die Unterstützung des mutmaßlichen Nachfolgers von Rodrigues zugesichert wurde, denn ob Rodrigues bleibt, ist nicht gewiss. Lerne: Auch brasilianische Feuerwehrmänner lassen sich ungern freiwillig verbrennen.

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