DFB-Affäre:Der private E-Mail-Account des Herrn Niersbach
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Von Johannes Aumüller und Thomas Kistner, Frankfurt
Als die Untiefen der Sommermärchen-Affäre noch das sorgsam gehütete Geheimnis eines kleinen Funktionärszirkels waren, tauschten frühere Protagonisten des WM-Organisationskomitees (OK) hektisch E-Mails aus. Der Grund: Theo Zwanziger drängte bei seinen Ex-Kollegen auf ein Schreiben, das ihm bescheinigen sollte, schon im Jahr 2012 mögliche Probleme im Kontext der WM-Bewerbung thematisiert zu haben. Und so setzte sich Horst R. Schmidt Mitte September 2015 hin und mailte einen Vorschlag an Wolfgang Niersbach, damals noch Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB).
Interessant ist an dieser Nachricht nicht nur der Inhalt. Denn erstens ging sie nicht an Niersbachs offizielle E-Mail-Adresse beim DFB, sondern an einen privaten Account. Und zweitens löschte der Empfänger sie nach Aktenlage kurz darauf.
Es existiert damit ein weiterer Vorgang, der den ohnehin drängenden Verdacht nährt, die Beteiligten von damals wollten Spuren verwischen. Anfang Februar hatte die SZ berichtet, dass am 22. Oktober 2015 - kurz nach der Enthüllung der Affäre durch den Spiegel und direkt im Anschluss an Niersbachs denkwürdige Ich-weiß-von-nichts-Pressekonferenz - in der Verbandszentrale eine Löschaktion stattfand. Doch nach SZ-Recherchen haben die Behörden, die gegen die Ex-Funktionäre Niersbach, Zwanziger und Schmidt wegen des Verdachts auf schwere Steuerhinterziehung ermitteln, weil eine 2005 erfolgte Überweisung über 6,7 Millionen Euro an die Fifa zu Unrecht als Betriebsausgabe geltend gemacht worden sei, weitere verschwundene Daten festgestellt. Und zwar mit Blick auf Niersbachs privaten E-Mail-Account.
In einem Vermerk von Juni 2016 hielten die Steuerfahnder fest, dass bei einer Sichtung dieser privaten E-Mail-Adresse nur noch neun Nachrichten vorhanden gewesen seien. Und sie waren wohl überzeugt, dass auch E-Mails mit Bezug zur WM-Affäre gelöscht worden waren - denn dank des bei Schmidt sichergestellten Materials konnten sie ermitteln, dass es diesbezüglich einen Austausch zwischen den beiden gab.
Unklar bleibt, wer in der Zentrale des DFB Dokumente vernichtete
Da drängen sich neue Fragen auf. Warum verständigten sich die alten Weggefährten auf diesem Weg über das heikle Thema? Pflegte Niersbach in seiner Zeit als Verbandschef noch mehr diskrete Kommunikation zur WM-Affäre über seine private statt über seine DFB-E-Mail-Adresse? Und wann und warum löschte er die E-Mails?
Niersbachs Anwältin teilt mit, dass sich ihr Mandant nicht zu angeblichen Ermittlungsergebnissen in der Presse äußere, bevor er sich im Verfahren gegenüber den Staatsanwälten geäußert habe. Diese Position nehme er nicht ein, weil er etwas zu verbergen habe, sondern weil er ihrem anwaltlichen Rat folge. Schmidt sagt, es gebe keinen besonderen Grund, warum er an die Privatadresse geschrieben habe.
Der vor einem Jahr präsentierte Report der vom DFB mit Nachforschungen beauftragten Kanzlei Freshfields thematisiert auch diesen Vorgang nicht. Zwar hielt er allgemein fest, dass für manche beteiligten Personen oder relevanten Zeiträume kein Datenmaterial geliefert werden konnte. "Entsprechende offenkundige Lücken" ergäben sich insbesondere für den damaligen OK-Chef Franz Beckenbauer und dessen Berater Fedor Radmann sowie teils für Schmidt und Zwanziger. Mögliche Erklärungen: Löschaktionen sowie die Tatsache, dass teils keine DFB-eigene IT-Infrastruktur genutzt worden sei. Just Niersbachs Name fällt hier aber nicht konkret.
Freshfields nimmt zu dem Thema auf Nachfrage keine Stellung. Das hatte die Kanzlei auch nicht in Bezug auf andere Auslassungen getan, die mit Niersbachs Wirken zusammenhingen. So verzichtete sie etwa darauf, eine E-Mail zu zitieren, in der sich Niersbach schon kurz nach Beginn der Affäre als "Mitwisser" outete. Erneut stellt sich die Frage, welchen Zweck der teure Report erfüllen sollte.
Angesichts der Abläufe stellt sich auch die Frage, ob es einen Zusammenhang gibt zwischen den Löschungen auf Niersbachs privatem Account und der Löschaktion in der Verbandszentrale am Tag seiner Pressekonferenz. Die Steuerfahnder selbst sollen in ihrem Vermerk darauf verweisen. In der Zentrale waren sieben Dokumente beseitigt worden, darunter ein Fax des DFB an die Fifa aus dem April 2006, in dem es um Ticket-Knatsch mit dem Skandalfunktionär Jack Warner ging, oder ein Dankesschreiben von Schmidt an den früheren Adidas-Chef Robert Louis-Dreyfus. Also den Mann, der den Deutschen anno 2002 zehn Millionen Franken geborgt hatte.
Zu Beginn der Affäre und noch bis in die Befragungen der Ermittler hinein taten alle Beteiligten so, als hätte es erst im Frühjahr 2005 einen Besuch beim Franzosen wegen der Rückzahlung gegeben; in Wahrheit war er bereits im Herbst 2003, wie sich auch aus dem Dankesschreiben ergibt. Der zeitliche Unterschied ist wichtig, weil er den Blick auf die Geschehnisse in den eineinhalb Jahren dazwischen lenkt. Aber irgendjemand löschte Schmidts Brief - und so kam der wahre Ablauf erst deutlich später ans Licht. Wer hinter der Löschaktion in der DFB-Zentrale steckte, ist unklar. Niersbachs Anwältin hatte der SZ dazu mitgeteilt, ihr Mandant wisse nichts davon und habe die Löschung erst recht nicht in Auftrag gegeben. Beim DFB hieß es, es sei mit seinen Mitteln technisch nicht mehr rekonstruierbar, wer gelöscht habe.