Süddeutsche Zeitung

Champions-League-Sieger FC Bayern:Endlich Gewinner

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Lange wurden sie als goldene Generation bezeichnet - nun haben sie nach mehreren Niederlagen einen großen Titel gewonnen. Der FC Bayern um Schweinsteiger und Lahm befreit sich selbst von der Bürde, ein Team hochbegabter, aber unvollendeter Fußballer zu sein. Und die meisten sind jung genug, um noch weitere Erfolge zu feiern.

Ein Kommentar von Jürgen Schmieder

Es bleibt meist genau ein Bild im kollektiven Gedächtnis hängen, an das sich die Menschen auch Jahre später noch erinnern, ob nun in wohliger Glückseligkeit oder trister Traurigkeit. So ist das im Sport, weshalb an dieser Stelle auf das Jahr 1999 verwiesen werden muss. Der FC Bayern verlor gegen Manchester United - und in Erinnerung bleibt jener Moment, in dem Ole Gunnar Solksjaer den Ball ins Tor bugsiert. Die erschreckten Augen von Oliver Kahn. Der weit aufgerissene Mund von Samy Kuffour. Das Entsetzen im Blick von Stefan Effenberg im Hintergrund.

Erinnert sich noch jemand an das 1:0 für den FC Bayern damals? An diesen Treffer, der bis kurz vor Schluss der einzige war in diesem Spiel? Mario Basler hatte Manchesters Torwart Peter Schmeichel mit einem raffinierten Freistoß überrascht. Doch Basler wurde nicht zum Helden dieses Spiels. Einige Monate später wurde er entlassen, er durfte in seiner Karriere die Champions League nicht gewinnen. Das Bild von seinem Freistoß, von dieser wunderbaren Schusstechnik, vom Jubel direkt danach? Fast vergessen.

Die Macht solcher Bilder ist gewaltig, weil sie letztlich prägend sind für die Karriere eines Sportlers. Michael Ballack etwa war ein herausragender und erfolgreicher Fußballer, er hat in seiner Laufbahn elf nationale Titel gewonnen - doch es gibt derart viele Bilder, wie er nach bedeutenden Spielen mit Tränen in den Augen auf dem Platz steht, dass seine Karriere mit dem Attribut "unvollendet" versehen ist. Stefan Effenberg dagegen gewann nur fünf nationale Titel, aber er siegte eben im Champions-League-Finale 2001 - und in Erinnerung bleibt diese Szene, wie er nach seinem verwandelten Elfmeter mit erhobenem Zeigefinger und grimmigster Mimik über den Platz läuft. Effenberg gilt als Vollendeter.

Zurück zum Champions-League-Finale 2013. Der FC Bayern hat eine Mannschaft zusammengestellt, die Trainer Jupp Heynckes als "perfekt" bezeichnet. Eine wunderbare Ansammlung hochbegabter Fußballer, oftmals gar als goldene Generation bezeichnet, obwohl sie bislang weder eine bedeutende goldene (Weltmeisterschaft) noch eine bedeutende silberne (Champions League, Europameisterschaft) Trophäe gewonnen hat.

Beim FC Bayern geht es da zuerst einmal um den Kapitän Philipp Lahm und seinen Stellvertreter Bastian Schweinsteiger, die sowohl mit dem Verein (2010, 2012) als auch mit der Nationalelf (2008) Endspiele verloren hatten und bei denen Damokles-Bilder von verschossenen Elfmetern und feuchten Augen über den Köpfen hingen.

Es geht aber auch um Arjen Robben, der sowohl mit dem Verein (2010, 2012) als auch mit der Nationalelf (2010) Endspiele verloren hatte und bei dem Damokles-Bilder von verschossenen Elfmetern, vergebenen Chancen und feuchten Augen über dem Kopf hingen. Oder um Franck Ribéry, der sowohl mit dem Verein (2010, 2012) als auch mit der Nationalelf (2006) Endspiele verloren hatte und bei dem Damokles-Bilder von unnötigen Gelbsperren und Trainingslager-Revolten über dem Kopf hingen.

Die Fallhöhe war derart gewaltig, dass selbst Weltraumspringer Felix Baumgartner Schwindelgefühle bekommen hätte - und man kann sich nur vorstellen, wie Lahm, Schweinsteiger, Robben und Ribéry in der Nacht vor dem Finale verbracht haben. Oder was Schweinsteiger gedacht haben muss, als ihm Mario Mandzukic beim Aufwärmen gegen den Knöchel getreten hatte und es kurzzeitig so aussah, als könne er tatsächlich ausfallen. Oder als Robben seine erste Chance vergab. Oder als Robben seine zweite Chance vergab.

Sie begannen das Finale in Wembley allesamt nervös, fahrig, hektisch - wie sie danach auch zugaben. Arjen Robben sagte: "Als ich die beiden Chancen vergeben habe, da habe ich mir gedacht: Das kann doch nicht sein, dass das wieder so läuft." Philipp Lahm ergänzte: "Die Erleichterung ist groß. Der Druck war heute enorm, auf jedem Einzelnen. Ich habe immer gesagt: Wenn man eine goldene Generation werden will, muss man Titel gewinnen. Bastian Schweinsteiger und ich haben 16 Jahre lang zusammengespielt, schon in der Jugend."

Sie haben sich selbst befreit mit diesem Sieg gegen Borussia Dortmund und dem Gewinn der Champions-League-Trophäe. Noch ist unklar, welches Bild von diesem Finale den Menschen im Gedächtnis bleiben wird. Vielleicht ist es der Moment, in dem Arjen Robben den Ball vorbeischubst an Roman Weidenfeller. Vielleicht ist es der Augenblick, in dem Philipp Lahm den Pokal in die Höhe reckt. Vielleicht aber auch die Szene, als sich Jupp Heynckes und Bastian Schweinsteiger auf dem Platz innig umarmen.

Philipp Lahm und Bastian Schweinsteiger sind nun befreit, und es gibt da ja auch noch die jüngeren Vertreter dieser Generation: Thomas Müller, Manuel Neuer, Jérome Boateng, Mario Gomez. Den Silberpokal mit den Henkeln haben sie nun gewonnen. Im kommenden Jahr wird in Brasilien wieder eine goldene Trophäe ausgespielt - aber an dieses Bild mag derzeit noch keiner denken.

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