Süddeutsche Zeitung

Abstiegskampf in der Bundesliga:Die Kehrseite der Tradition

Lesezeit: 2 min

Auf Traditionsvereine wirken im Abstiegskampf 1000 Kräfte, die manchmal nur noch das Schlechteste hervorholen. Eine Bändigung des Milieus ist möglich - doch die Klubs stecken in einem Dilemma.

Kommentar von Christof Kneer

Der VfB Stuttgart ist allein schon deshalb ein großartiger Klub, weil da mal Hansi Müller, Karlheinz Förster, Jürgen Klinsmann und Guido Buchwald gespielt haben. Auch gibt es exzellente Episoden aus der Klubgeschichte zu erzählen, vom Spieler Buffy Ettmayer etwa, der 90 Minuten einen sehr runden Ball unterm Trikot mit sich führte, was bei näherem Hinsehen aber gar kein Ball war, sondern nur sein Spielmacherbäuchle. Lustig war's auch unter dem Präsidenten Gerhard Mayer-Vorstopper, der dem Spieler Balakov angeblich mal einen Supervertrag aushändigte, der sich von selbst verlängerte, sobald Balakov vom Arzt seines Vertrauens ein Gutachten anschleppte. Einmal wurde auch ein Brasilianer ohne Kreuzbänder geliefert.

Wer in die Archive steigt, wird (mindestens!) ähnlich vergnügliche Geschichten wie die aus Stuttgart im Legendenschatz von Schalke 04, vom 1. FC Nürnberg oder von Hannover 96 finden, etwa von Männern, die Günter Eichberg, Michael A. Roth oder Martin Kind hießen oder heißen. Mindestens zwei dieser vier Klubs steigen übrigens bald ab.

In dieser Saison zeigt sich in exemplarischer Verdichtung, wie schwer das Leben als Traditionsmarke sein kann. Schon vorige Saison haben zwei von ihnen die erste Liga verlassen müssen, weder Hamburg noch Köln haben sich auf ihre Bedeutung für Liga und Region rausreden können. Und in diesem Jahr findet sich kein niedliches Greuther Fürth im Abstiegskampf, kein nettes Paderborn und auch kein Ingol- oder Darmstadt. Stattdessen: Schalke. Stuttgart. Nürnberg. Hannover.

Ehemalige Vereinsikonen wenden sich gegen ihre Klubs

Im Grunde darf sich ein Verein etwas darauf einbilden, wenn er über ein Milieu verfügt, wenn er Geschichte und alte Helden hat. Ein Blick auf den Abstiegskampf zeigt aber, wie schwer trainierbar und moderierbar die alten Milieus im neuen Fußball geworden sind, und wie sie sich mitunter gegen sich selbst wenden. Ehemalige Spieler wie Buchwald kritisieren die Funktionäre ihres einstigen Lieblingsklubs, ehemalige Spieler wie Förster machen als Berater mal bessere und mal schlechtere Geschäfte mit ihren Ex-Klubs, ehemalige Spieler wie Klinsmann werden öffentlichkeitswirksam für höhere Klubämter ins Gespräch gebracht. Und manchmal schreibt der Ex-VfB-Spieler Thomas Berthold auch noch Kolumnen, in denen er die Mentalität kritisiert. Das möchte man übrigens nicht: von Berthold für die Mentalität kritisiert werden.

Anders als in Freiburg, Augsburg oder Mainz wirken 1000 Kräfte in diese Milieus hinein, weshalb manche dieser Milieus nur noch das Schlechteste aus ihren Spielern, Trainern und Sportchefs hervorholen. Dennoch lassen sich auch Milieus mit straffer Führung und guten Trainern bändigen - allerdings kriegt man diese guten Trainer selten, wenn man, wie Stuttgart oder Hannover, die Trainer immer wieder im Herbst suchen muss. Ein Teufelskreis, der neuerdings immer häufiger mit dem Abstieg bestraft wird.

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Quelle:
SZ vom 23.04.2019
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