Süddeutsche Zeitung

Kolumne "Ende der Reise":Licht aus dem Norden

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Während es in Deutschland immer dunkler wird, strahlt ausgerechnet Schweden derzeit mit niedrigster Inzidenz und vielen tröstlichen Attraktionen.

Glosse von Hans Gasser

Ach, Europa! Ganz hässlich rot leuchtet es uns von allen Corona-Inzidenz-Landkarten entgegen. Besonders dunkelrot ist es derzeit im eigenen Land. Ein neuer Lockdown hängt damoklesschwertartig unter dem grauen Himmel. Wem wäre es da zu verdenken, wenn er sich Gedanken über eine kleine Flucht machte, in freundlichere, wärmere, hellere Gefilde? Bloß wohin?

Nach Schweden! Ausgerechnet das hierzulande wegen seiner angeblich laxen Anti-Corona-Maßnahmen viel gescholtene Land weist derzeit die geringste Wocheninzidenz (circa 100) ganz Europas auf - wenn man mal von Kosovo absieht, dessen 3,7er-Inzidenz schon fast ein bisschen märchenhaft anmutet.

Aber wir wollen nicht urteilen. Auch nicht darüber, ob die Schweden bessere Pandemiebekämpfer sind oder einfach noch vor der vierten Welle stehen. Fakt ist, dass die schwedische Tourismuswerbung uns derzeit mit hellen, warmen, freundlichen Vorschlägen umgarnt, die etwas sehr Verlockendes haben.

So werden etwa in Stockholm im Rahmen des Nobelpreis-Lichtkunstfestivals 18 Gebäude mit großflächigen Projektionen beleuchtet. Astronauten, die die coronagebeutelte Erde aus dem Weltraum betrachten, werden auf dem Rathaus zu sehen sein; leuchtende Schaukeln werden durch den Kungsträdgården schwingen, und die 600 Meter lange Brücke Västerbron wird von einer Lichtdesignerin zu Ehren Marie Curies in ein strahlendes Kunstwerk verwandelt. Mehr als 200 000 Menschen werden erwartet, die sich die Installationen im Freien ansehen wollen.

Aber auch wer es lieber wärmer hat und sich dem unbeschwerten Müßiggang hingeben möchte, kommt derzeit in Schweden auf seine Kosten: Im Küstenstädtchen Västervik hat gerade ein Warmbadehaus (Warmbadhuset) eröffnet, das an die "150 Jahre alte schwedische Tradition der öffentlichen Saunalandschaften" anknüpfe, mit Pool, Saunen, Salzgrotte, Hamam und auf Wunsch einem Gläschen Champagner. Das für sich wäre ja schon entspannend genug. Hinzu kommt, dass das Warmbadehaus Teil eines Hotels ist, das keinem Geringeren als Abba-Musiker Björn Ulvaeus gehört. Er habe seinen Geburtsort Västervik wiederentdeckt und wolle ihm mit dem öffentlich zugänglichen Warmbadhuset "etwas zurückgeben". Natürlich wird er auch ganz gute Einnahmen haben, wo die Schweden doch verständlicherweise derzeit lieber im eigenen Land Urlaub machen. Es sei ihm gegönnt. Ob in der Sauna nun die ganze Zeit hochaktuelle Abba-Hits wie "Don't shut me down" oder "The winner takes it all" laufen, wurde nicht kommuniziert. Es wäre aber der insgesamt gelösten Stimmung wohl nicht abträglich.

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