Süddeutsche Zeitung

Wahl in Berlin:Was hält die CDU zusammen?

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An der einen Seite zerrt die AfD, an der anderen die FDP. Ein Besuch in Steglitz-Zehlendorf, dem Herzland der Berliner CDU.

Von Hannah Beitzer, Berlin

28,4 Prozent. Wäre das Ergebnis der CDU Steglitz-Zehlendorf das Ergebnis der Landes-CDU - Spitzenkandidat Frank Henkel wäre jetzt noch nicht mit Feiern fertig. Doch Cerstin Richter-Kotowski sitzt in ihrem Büro im Rathaus Steglitz und seufzt. Sie war bisher Bildungsstadträtin im Bezirk und wird die kommenden Jahre hier als Bürgermeisterin regieren.

Eigentlich könnte das Grund zur Zufriedenheit sein. Doch auf der anderen Seite hat die CDU hier, in ihrem Herzland, so viele Stimmen verloren wie sonst nirgends in der Stadt. Nämlich ungefähr elf Prozentpunkte auf allen Ebenen. Da ist zum einen die AfD, die ihr Stimmen abnimmt. Sie kommt hier auf elf Prozent in der Abgeordnetenhauswahl und auf 10,5 Prozent in der BVV-Wahl. Aber eben auch noch die FDP. Sie erreicht 11,8 Prozent in der Wahl zum Abgeordnetenhaus und knapp zehn Prozent in der BVV.

Damit ist Steglitz-Zehlendorf ein gutes Beispiel für die Fliehkräfte, der die CDU in Berlin ausgesetzt ist. Ihr laufen die Wähler nach rechts davon, in Richtung AfD. Aber eben auch zur FDP, der in diesem Wahlkampf ein ziemlich eindrucksvolles Comeback gelungen ist. Es spricht für Richter-Kotowski, dass sie diesen Umstand nicht mit einem Hinweis auf die im Landesvergleich hohen Werte ihrer CDU wegschiebt - sondern gleich in die Analyse einsteigt.

AfD-Wähler in Steglitz-Zehlendorf: gut situiert und wütend

Mit dem Erfolg der AfD hat Richter-Kotowski gerechnet. "Wie wohl alle Parteien haben wir hier Erfahrungen mit AfD-Wählern an den Wahlkampfständen gemacht", sagt sie. Die seien meistens Männer mittleren Alters. "Sie werden durchaus aggressiv, sind sehr aufbrausend." Und im Wesentlichen gäbe es ein Thema: die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel.

Nun hat die AfD in Steglitz-Zehlendorf weit weniger Stimmen geholt als in vielen Bezirken im Osten der Stadt. Trotzdem gilt der Bezirk als Machtzentrum der Berliner AfD. Viele einflussreiche Funktionäre des Landesverbands kommen aus Steglitz-Zehlendorf. Besonders häufig fällt der Name Hans-Joachim Berg. Er ist stellvertretender Landesvorsitzender der AfD und sitzt von nun an im Abgeordnetenhaus. Er war mehr als 30 Jahre lang Mitglied der CDU.

"Ich kenne natürlich nicht jeden Funktionär der AfD persönlich", sagt Richter-Kotowski. "Aber über viele der AfDler hier lässt sich sagen: Das sind - anders als die Leute von der NPD - keine Radau-Brüder." Schrille Töne würden von ihnen eher vermieden. "Die wissen, wie Politik funktioniert. Man muss bei ihnen häufig zwischen den Zeilen lesen." Für Richter-Kotowski steht daher fest: "Mit ihnen muss man sich inhaltlich auseinandersetzen. Spektakuläre Blockade-Aktionen allein werden da nichts bringen."

Der Erfolg der FDP überrascht

Auch die AfD-Sympathisanten, die ihr an den Wahlkampfständen begegnet seien, seien übrigens eher gut situierte Menschen gewesen - eine reine Partei der Abgehängten und Arbeitslosen, wie die Zahlen auf den ersten Blick glauben machen, sei sie nicht. Nun bedeute allerdings ein höherer Bildungsstand noch nicht automatisch rationalere Diskussionen, erzählt Richter-Kotowski. "Wenn Sie zum Beispiel darüber reden wollen, dass Frauke Petry den Begriff 'völkisch' wieder positiv besetzen will - dann interessiert das die meisten Leute gar nicht." Es ginge um Emotionen, um Protest.

Von dem Erfolg der FDP, das gibt sie unumwunden zu, ist Richter-Kotowski hingegen wirklich überrascht. "Zwar war die FDP hier im Südwesten der Stadt schon immer stark - da war es eher die Ausnahme, dass sie 2011 so schlecht abgeschnitten hat." Doch dass sie gleich mit zehn Prozent zurückkommt, damit hätte niemand gerechnet.

"In den Gesprächen im Wahlkampf spielte die FDP keine besonders große Rolle", sagt Richter-Kotowski. Trotzdem glaubt sie: Auch ihr seien viele ehemalige CDU-Wähler zugelaufen. Warum? "Wir haben diesmal ganz stark die Erfahrung gemacht: Mit Themen aus dem Bezirk dringen Sie kaum durch. Gegen einen negativen Landestrend und eine indifferente Bundespolitik kommen Sie nicht an."

Neben dem Thema Flüchtlinge sei es auch ein Problem gewesen, dass die große Koalition in Berlin bei den Wählern nicht besonders beliebt gewesen sei. "Der CDU ist es zum Beispiel nicht gelungen, ihre Erfolge in der Wirtschaftspolitik herauszustellen", sagt sie. Stattdessen seien aus dem Roten Rathaus oft Streit und Respektlosigkeiten an die Öffentlichkeit gedrungen. Zum Beispiel in Bezug auf die chaotischen Zustände am Lageso, die die SPD allein Sozialsenator Mario Czaja zugeschoben habe. "Die Leute wollten diese große Koalition nicht mehr", sagt sie.

Nun ist der FDP auf Landesebene außerdem etwas gelungen, das viele Kritiker seit langem von der Berliner CDU verlangen. Sie hat sich erfolgreich als moderne Großstadtpartei positioniert. Mit einem ironischen Wahlkampf, jungem Personal, das bürgerlich wirkte, ohne piefig zu sein. Mit einer Nähe zur Wirtschaft, die vor allem auf die wachsende Gründerszene in Berlin setzte. Und vor allem: ohne halbherzige Schlenker nach rechts, wie sie Frank Henkel kurz vor der Wahl mit einem Vorstoß zum Burka-Verbot versuchte, um im Endspurt noch ein paar AfD-Wähler einzufangen.

Richter-Kotowski sieht die Verjüngung der FDP ebenfalls als einen Grund für ihren Erfolg. Auch ihre CDU in Steglitz-Zehlendorf habe immerhin einen Generationenwechsel vollzogen. Sie selbst hatte sich gegen den amtierenden Bezirksbürgermeister Norbert Kopp als Spitzenkandidatin der Partei durchgesetzt. "Doch wir dürfen als Volkspartei eben auch die älteren Wähler nicht vergessen", sagt sie. Denn immerhin sei ihr Ziel ja nach wie vor nicht zehn Prozent, wie bei der FDP - sondern mehr als 30 Prozent der Stimmen.

Der Tod der Volksparteien

Aber kann das funktionieren, potenzielle FDP-Wähler ebenso zu integrieren wie Wähler, die möglicherweise in Richtung AfD abwandern? Die alte, bundesrepublikanische CDU mit jungen Großstadt-Konservativen zusammenzubringen? Warum sollten die sich mit einer Volkspartei wie der CDU abmühen, wenn eine andere Partei ihre Interessen und ihr Lebensgefühl besser vertritt? Schnell ist man an diesem Punkt bei der These vom Tod der Volksparteien.

Richter-Kotowski treibt diese These um. "Ich merke durchaus im Bezirk, dass es den Leuten heute mehr auf ihre persönlichen Interessen ankommt als früher." Mit dem Hinweis, dass diese und jene Schule saniert worden sei, locke man keine Wähler an, deren Kinder eine andere Schule besuchten. "Was mir nichts bringt, ist nichts wert", so ließe sich diese Haltung zusammenfassen.

"Ich kenne zum Beispiel einen Mann, der neben einer Schule wohnt. Solange seine Kinder auf die Schule gingen, gab es mit ihm keine Probleme. Jetzt sind die Kinder groß, er ist pensioniert - und klagt auf einmal vor Gericht gegen den Lärm, weil er die Minderung seines Grundstückswertes fürchtet." Es gebe in solchen Fällen auch eine neue Kompromisslosigkeit, die sie daran erschreckt: "Bevor ich einfach mal das Gespräch suche, ziehe ich lieber gleich vor Gericht, um meine Interessen durchzusetzen."

Wege für den Austausch finden

Die ehemalige Bildungsstadträtin und designierte Bürgermeisterin hält das für den falschen Weg. "Echter Zusammenhalt entsteht nur, wenn die Leute bereit sind, Kompromisse zu schließen", sagt sie. Und hier sieht sie die große Aufgabe der Volksparteien, die den Anspruch haben, verschiedene gesellschaftliche Gruppen in sich zu vereinen. "Sonst sind wir irgendwann an einem Punkt, wo sich nur noch die Alten über die Jungen beschweren und umgekehrt."

Dafür, das ist ihr die wichtigste Aufgabe als Politikerin einer dieser Volksparteien, müssen diese Wege finden, Plattformen und Räume schaffen, in der der Austausch zwischen den unterschiedlichen Gruppen überhaupt stattfinden kann. "Wir müssen den Bürgern zuhören, ihnen Möglichkeiten zur Beteiligung bieten." Das sei gar nicht so einfach: In Bürgerinitiativen und auf Versammlungen zum Beispiel engagierten sich hauptsächlich die, die gerade mit der Politik unzufrieden seien. Die anderen beteiligten sich kaum. "Denn in ihrem Interesse wird ja bereits gehandelt."

Wie also kann eine solche Beteiligung aussehen? Dafür haben sie hier, im Herzland der einst stolzen Volkspartei CDU, auch kein Patentrezept. Sicher ist aber nach dieser Wahl: Mit ein paar Jahren Verzögerung muss sich die CDU eine Frage stellen, wie sie die SPD schon lange quält: Was ist es, das die Volkspartei im Inneren zusammenhält? Es muss etwas verdammt Starkes sein, wenn die CDU den Fliehkräften widerstehen will, die an ihr zerren.

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