Süddeutsche Zeitung

Vorwürfe gegen bayerischen AfD-Landesvorstand:"Die Gier war größer als die Vernunft"

Lesezeit: 4 Min.

"Rattenpack", "Gauner", "Kriminelle": Mitglieder der Alternative für Deutschland beschuldigen den bayerischen Landesvorstand, die Parteibasis zu terrorisieren. Die Teilnahme an der Bundestagswahl ist in Gefahr.

Von Andreas Glas

Martina Geiger ist sauer. Sie versteht nicht, was da schief gelaufen ist. "Ich fühle mich an Stasi-Zeiten erinnert", sagt sie. Dabei sollte es doch um Demokratie gehen und darum, dass alle mitreden dürfen. Sie sagt das nicht nur so, sie hätte sich das wirklich gewünscht. Geiger sieht sich als Idealistin. Und das ist ihr Problem.

Als Kreisvorsitzende der Alternative für Deutschland (AfD) sollte Geiger jetzt eigentlich auf der Straße stehen und Unterschriften sammeln. Wenn bis 15. Juli keine 2000 Unterstützer-Unterschriften gesammelt wurden, wird das AfD-Kästchen auf den bayerischen Bundestags-Wahlzetteln fehlen - und die Anti-Euro-Partei hätte neun Millionen potenzielle Wähler weniger. Der Einzug in den Bundestag wäre für die AfD dann wohl gegessen. "Ohne Bayern", sagt der Düsseldorfer Parteienrechtsexperte Martin Morlok, "dürfte es sehr, sehr schwer werden, über fünf Prozent zu kommen."

"Gauner", "Kriminelle", "Diktatoren"

Die Zeit drängt, aber Martina Geiger hat keine Lust, Unterschriften zu sammeln: "Unser Kreisverband sammelt nicht, weil wir diese Partei einfach nicht mehr unterstützen können." Wenn Geiger "diese Partei" sagt, meint sie nicht die AfD als solche, sondern diejenigen, die das Sagen haben. Für Geiger sind diese Leute ein "Rattenpack", andere bezeichnen den Führungszirkel um den bayerischen AfD-Landeschef André Wächter als "Gauner", "Kriminelle" oder "Diktatoren".

Neben Geigers Kreisverband (Ostallgäu) wollen sich mindestens vier weitere der 36 AfD-Kreisverbände am Unterschriften-Boykott beteiligen. Und damit nicht genug: Geiger hat Strafanzeige erstattet gegen den AfD-Landesverband. Ihr Vorwurf: "Ich werde unterdrückt, gemobbt, von Verteilern ausgeschlossen und habe Drohanrufe bekommen. Ich habe inzwischen Angst um meine Kinder." Das sei kein Einzelfall, sagt Geiger, der Terror habe in der AfD System. Sie unterstellt dem Landesvorstand, die Partei diktatorisch zu führen, die kritische Basis und Konkurrenten mundtot zu machen - notfalls mit Drohungen oder Parteiausschlussverfahren.

"Auf üble Art und Weise bedroht worden"

Von einem Drohanruf erzählt auch Frank Neubauer. Er war in Erlangen Kreisvorsitzender der AfD, die im Parteiprogramm eine "Stärkung der demokratischen Bürgerrechte" fordert und "mehr direkte Demokratie auch in den Parteien". Vor vier Wochen hat Neubauer hingeschmissen, ist aus der AfD ausgetreten. Weil ihm klar geworden sei, dass es "nur um Einzelinteressen" gehe, wenn Posten und Mandate zu vergeben seien, und nicht um innerparteiliche Demokratie. Neubauer sagt, er habe gedacht, die AfD sei anders als andere Parteien. Doch als der Anruf kam, habe er kapituliert. Er sei "auf üble Art und Weise" bedroht worden, "der Anruf war unheimlich". Danach sei klar gewesen: "Ich steige aus."

Ärger gibt es nicht nur in Bayern. In Hessen warfen sich Kreisverbände und Landeschefs der AfD gegenseitig Machtgier und Profilsucht vor, in Berlin gab es einen schmutzigen Kleinkrieg innerhalb des Parteivorstands, auch in Baden-Württemberg und Sachsen klagen Mitglieder darüber, von den Landeschefs systematisch unterdrückt zu werden. Nach außen fordert die AfD mehr Demokratie, nach innen droht sie an diesem Anspruch zu scheitern. Es wirkt, als zerlege sich die Partei gerade selbst.

Auf mehreren Bundesparteitagen hat AfD-Bundesvorstand Bernd Lucke ein Machtwort gesprochen und versucht, zu schlichten. Dieses Machtwort klang überall gleich: Um bei der Bundestagswahl erfolgreich zu sein, müsse jedes Mitglied die eigenen Karrierepläne hinter den Interessen der Partei anstellen. Martina Geiger dagegen glaubt, dass auch der Bundesvorstand die Sache mit der Demokratie nicht so genau nimmt: "Bernd Lucke halte ich inzwischen nicht mehr für einen Verfechter der Basisdemokratie. Er ist einer, der sagt: Wir müssen das von oben herab moderieren, um die Bundestagswahl nicht zu gefährden."

Querelen beim Parteitag

Die Querelen in der Bayern-AfD begannen Ende März, als der damalige Landesbeauftragte Wolf-Joachim Schünemann mit nur fünf Tagen Vorlauf zur Vorstandswahl lud, die noch dazu im kleinen Ebersberg stattfand - und am heiligen Ostersonntag. Am Ende kamen nicht einmal 150 von 2000 bayerischen AfD-Mitgliedern - und wählten Schünemann zum Vorsitzenden. Die Parteibasis unterstellte ihm daraufhin, Ort und Termin der Wahl bewusst ausgesucht zu haben, um Konkurrenten fern zu halten und sich selbst den Chefposten zu sichern.

Mitte Mai, auf dem Parteitag in Ingolstadt, stürzte die Parteibasis zunächst Landeschef Schünemann und wählte dessen bisherigen Stellvertreter Martin Sichert zum neuen Vorsitzenden. Eine Stunde später wurde das Ergebnis für ungültig erklärt Schünemann war wieder an der Macht. Der Grund: Die Wahlkommission bemängelte, dass einige Mitglieder zum Zeitpunkt der Abstimmung schon nach Hause gegangen waren. Ihre Wahlzettel seien aber noch da gewesen - und womöglich von anderen mitbenutzt worden.

"Es gibt immer Leute, die unzufrieden sind"

Inzwischen hat Schünemann zwar Platz gemacht für André Wächter, doch auch der neue Landeschef steht unter dem Verdacht, dass ihm die eigene Karriere wichtiger sei als die Demokratie innerhalb der Partei. Die neuen Vorstände um Wächter hatten als Delegierte über die Listenplätze für die Bundestagswahl abgestimmt, ohne vorher von einer Mitgliederversammlung zu Delegierten gewählt worden zu sein. Am Ende landete André Wächter auf Listenplatz eins, Landes-Vizechefin Brigitte Stöhr auf Platz drei. Der Vorwurf der parteiinternen Kritiker: Der Vorstand habe die Basis übergangen und sich praktisch selbst gewählt. Der Landeswahlleiter sah das genauso und erklärte die Wahl für ungültig.

"Die Gier der Landesvorstände war größer als ihre Vernunft", heißt es im "Alternativen AfD Newsletter", dessen Autoren sich als "demokratische Parteibasis" bezeichnen. Am Ergebnis änderte die zweite Abstimmung Ende Juni zwar kaum etwas, doch muss der Landesvorstand jetzt eben 2000 Unterschriften neu sammeln, die laut Wahlgesetz für die Zulassung zur Bundestagswahl nötig sind. Zehn Tage bleiben noch, die Uhr tickt.

"Ich bin zuversichtlich, dass wir das schaffen", sagt Brigitte Stöhr, Vize-Landeschefin der Bayern-AfD. Sie gibt sich optimistisch, trotz des Unterschriftenboykotts einiger Kreisverbände. Auch von Terror und fehlender Basisdemokratie will sie nichts wissen. "Es gibt immer Leute, die unzufrieden sind", sagt Stöhr, "diese Leute auf eine einheitliche Linie zu bringen, ist eben nicht so einfach."

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