Süddeutsche Zeitung

TV-Debatte der US-Demokraten:Bloomberg fehlen die Argumente

Lesezeit: 7 min

Von Thorsten Denkler, New York

Wäre dies ein Boxkampf Elizabeth Warren gegen Michael Bloomberg, dann hätte die Senatorin aus Massachusetts den Multimilliardär aus New York in den ersten Sekunden der ersten Runde mit einer äußerst gelungen Rechts-Links-Kombination, einem saftigen Leberhaken und abschließendem Uppercut sauber auf die Bretter geschickt.

Aber dies ist kein Boxkampf. Dies ist die neunte große TV-Debatte der Demokraten. Diesmal aus Las Vegas im Bundesstaat Nevada, wo am Samstag die dritte Vorwahl stattfindet. Alle fünf Kandidaten, die rechts neben Bloomberg stehen, scheinen es darauf abgesehen zu haben, Bloomberg so schnell es geht wieder aus dem Rennen zu nehmen. Es ist aber vor allem Warrens Frontalangriff kurz nach Beginn, von dem er sich nicht mehr erholen wird in den kommenden zwei Stunden.

Die erste Frage geht an Bernie Sanders. Der linke Senator aus Vermont hat gerade in den ersten beiden Vorwahlen die meisten Stimmen bekommen und führt auch neuerdings in den landesweiten Umfragen der Demokraten. Warum ein Revolutionär wie er eher die Wahl gewinnt als ein moderater Zentrist wie Bloomberg? Sanders sagt, es brauche die größte Wahlbeteiligung in der Geschichte der USA, um Trump zu schlagen. Bloomberg aber habe als Bürgermeister von New York Politik gegen Minderheiten gemacht. Mit dem Hintergrund ließen sich keine Wähler mobilisieren.

Netter Versuch. Bloomberg kontert, Sanders werde das auch nicht schaffen, wenn er 160 Millionen Amerikanern ihre geliebte Krankenversicherung wegnehmen will.

Elizabeth Warren greift ein. Sie holt aus. "Ich möchte darüber reden, gegen wen wir hier kämpfen. Gegen einen Milliardär, der Frauen als fette Schabracken und pferdegesichtige Lesben bezeichnet." Dann schlägt sie zu. Nein, sie spreche nicht über Donald Trump. "Ich spreche über Bürgermeister Bloomberg."

Huhhhh, raunt es da im Publikum. Das sitzt. Bloomberg steht da, als wüsste er nicht, was ihm gerade passiert. Er hat 400 Millionen Dollar in TV- und Internetwerbung investiert. Das hat ihn auf diese Bühne gebracht. Aber schon der erste schwere Angriff haut ihn um. Mit dieser Attacke hat er nicht gerechnet. Dabei hat er vor knapp 30 Jahren sogar ein Buch gefüllt mit teils mehr als unangebrachten Aussagen von sich selbst geschenkt bekommen.

Und so geht es munter weiter: Wenige Minuten später. Wieder Warren gegen Bloomberg. Es geht um Verschwiegenheits-Übereinkommen, die Bloomberg mit "einigen wenigen" Frauen geschlossen hat. Einigen wenigen, das ist, was Bloomberg sagt. Er will nicht sagen wie viele. Und es sei ja nur um, nun ja, "Scherze" gegangen. Wahrscheinlich Scherze von der Art, die manche alte und weiße Männer lustig finden.

Zu seiner Verteidigung sagt Bloomberg, 78, dass er jenes Verhalten verurteile, dass in der #metoo-Debatte offenbar geworden sei. Und zählt dann auf, was er alles Gutes in seinen Unternehmen und in seiner Stiftung für Frauen tue.

Bloomberg wirkt in der Debatte wie ein Kätzchen, das sich in einen Käfig mit Bulldoggen verirrt hat

Auftritt Warren: "Ich hoffe alle haben gehört, was seine Verteidigung ist." Pause. "Ich war nett zu einigen Frauen." Mit Betonung auf "einigen". Johlender Applaus. Warren fordert Bloomberg auf, die Verschwiegenheitsklauseln aufzuheben, damit die Frauen reden können, wenn sie wollen.

Bloomberg wirkt fahrig. Die Übereinkommen seien im Konsens getroffen worden, erklärt er. Er werde sie nicht aufheben. "Ich habe gehört, dass sie das vielleicht auch gar nicht wollen." Und dass sie diese Übereinkommen ja auch freiwillig gezeichnet hätten. Sie nicht aufzuheben, geschehe auch zu deren Schutz. Gelächter im Saal. Buh-Rufe. Ihm glaubt hier kein Mensch.

Michael Bloomberg, der Medienmogul, der Superreiche, 60 Milliarden Dollar ist er schwer. Jetzt ist er in Not. Er hat seine noch junge Kampagne in große Gefahr gebracht. Er verkauft sich in seinen TV-Spots als Raubtier, das Trump in der Luft zerfetzen wird. In dieser Debatte wirkt er eher wie ein Kätzchen, das sich in einen Käfig mit Bulldoggen verirrt hat.

Erst am 24. November hat Bloomberg erklärt, er werde jetzt doch kandidieren. Da hatten die fünf Kandidaten links von ihm schon einen langen und harten Weg hinter sich. Seit über einem Jahr bauen sie ihre Kampagnen auf, versuchen sie, Spenden einzusammeln und Wählerstimmen. Sie kämpfen. Stehen auf Plätzen, in Hallen, sitzen in Fernsehstudios und reden und argumentieren.

Und Bloomberg? Der gab bisher vor allem Geld aus, um sich in den Umfragen zu puschen und den Super Tuesday möglichst überzeugend hinter sich zu bringen. Am 3. März wird in 14 Staaten gleichzeitig gewählt, darunter in Kalifornien und Texas, den beiden bevölkerungsreichsten Bundesstaaten der USA. Es sind die ersten Vorwahlen, an denen er teilnimmt. Und dies ist die erste TV-Debatte, in der er mitreden darf.

Die Demokraten haben extra für ihn die Spielregeln geändert. Um sich für die begleitenden TV-Debatten der Demokraten zu qualifizieren, müssen die Kandidaten unter anderem zehntausende Einzelspender nachweisen. So soll der Einfluss des ganz großen Geldes auf die US-Politik in Grenzen gehalten werden. Qualifiziert ist seit neuestem aber auch, wer in Umfragen über zehn Prozent kommt. Was Bloomberg schafft.

Sein Aufstieg in den Umfragen ist so erstaunlich wie die Liste der Kritikpunkte: Michael Bloomberg hat bis vor ein paar Monaten noch rassendiskriminierende Polizeiarbeit verteidigt, war für Kürzungen in der öffentlichen Krankenversicherung. Seine sexistischen Äußerungen gegenüber weiblichen Untergebenen füllen Akten. Auf dem republikanischen Parteitag 2004 hielt er eine Rede für George W. Bush, er machte Wahlkampf für Rudy Giuliani im Jahr 2009. Und noch vor vier Jahren gab er 11,7 Millionen Dollar aus, um einem republikanischen Senator zu helfen, eine demokratische Herausforderin in Pennsylvania zu schlagen. Erst vor zwei Jahren hat sich Bloomberg wieder als Demokrat registrieren lassen. Ist er überhaupt ein Demokrat?

All das kommt hier auf den Tisch. Bloomberg hätte es wissen müssen. Aber jeder Schlag trifft ihn unvorbereitet. Wie jemanden, der Widerspruch nicht gewohnt ist. Was er von Obamas Gesundheitsreformen hält? "Ich bin ein Fan von Obamacare", sagt er. Steilvorlage für Joe Biden. Ein Fan? Bloomberg habe die Reform als "Schande für das Land" bezeichnet kurz nachdem sie in Kraft war. "Schaut es nach!", fordert Biden. "Als Schande!" Stimmt. Hat Bloomberg gesagt. Er hat keine Antwort.

Gemessen an dieser Debatte hat Bloomberg in zwei Stunden ein 400-Millionen-Dollar-Investment vor die Wand gefahren. Ob er aber damit gestoppt ist? Eher nicht. Es wird halt nur etwas teurer für ihn, diese Scharte auszuwetzen. Das Geld dafür hat Bloomberg.

Warren nimmt Sanders' Pläne für die Gesundheitsreform auseinander

Aber auch Bernie Sanders steht plötzlich unter Rechtfertigungsdruck. Nach seinem leichten Herzinfarkt Anfang Oktober hatte er versprochen, einen umfassenden Gesundheitscheck vorzulegen. Was er allerdings bis heute nicht getan hat. Fast alle sagen, er solle transparent sein. Sanders sagt, er habe schon deutlich mehr Unterlagen zu seinem Gesundheitszustand veröffentlicht, als alle seine anderen Mitbewerber.

Das lässt viel Raum für Spekulationen. Entweder er ist kerngesund, warum sollte er dann seine Daten nicht stolz der Öffentlichkeit präsentieren? Oder es gibt da etwas, dass seine potentiellen Wähler verunsichern könnte. Die wichtigste Frage: Ist der 78-Jährige den Strapazen des Amtes gewachsen? Viele US-Wähler würden das gerne wissen, bevor sie ihr Kreuz an jemanden vergeben, der womöglich keine vier Jahre im Amt bleiben kann.

Dass aber ausgerechnet Pete Buttigieg in die Kritik einsteigt, ist schon überraschend. Er werde seine medizinischen Berichte veröffentlichen, verspricht er. Und tut, als wäre er da besonders mutig. Buttigieg ist 38 Jahre alt und Ex-Soldat. Er erntet Lacher statt Applaus. Ernster ist der Angriff den - wieder Elizabeth Warren - gegen Sanders fährt. Damit kontert sie seine Attacke aus der letzten Debatte im Januar, als Sanders den bisherigen Nichtangriffspakt zwischen den beiden brach.

Das Thema Gesundheitsreform ist aufgerufen. Sanders und Warren wollen eine Krankenkasse für alle. Alle anderen wollen im Grunde nur das bestehende System verbessern. Warren geht die Kandidaten durch. Pete Buttigieg: Der hat nur ein paar dünne Seiten Papier beschrieben. Das sei "kein Plan, das ist PowerPoint." Amy Klobuchar, die moderate Senatorin aus Minnesota: Alles was sie zum Thema zu sagen habe, passe auf einen Post-It-Zettel.

Und jetzt zu Sanders. Der habe einen guten Start hingelegt. Aber statt die Leute zusammenzuführen und den Plan zu überarbeiten und anzupassen, attackierten seine Kampagne jeden, der mal eine kritische Frage stelle. Und dann sagen seine Berater, dass Sanders Pläne ja "wohl ohnehin nicht umgesetzt werden." Warrens Botschaft: Nur sie kann dafür sorgen, dass die USA ihr Gesundheitswesen umkrempeln.

Ob das Sanders Rolle als neuem Frontrunner der Demokraten in Frage stellt? Eher nicht. Sanders hat viel einstecken müssen an diesem Abend. Hat aber auch viel ausgeteilt, war schlagfertig und ließ sich die Butter nicht vom Brot nehmen.

Biden hätte von solchen Momenten viele gebraucht. Seine Kampagne ist dabei abzusaufen. Spenden fließen kaum noch. In den Umfragen ist er regelrecht abgestürzt. Selbst in Staaten wie South Carolina mit hohem schwarzen Bevölkerungsanteil. Da muss er sich am 29. Februar in der Vorwahl stellen. Biden hat South Carolina immer für eine sichere Bank gehalten. Noch im Mai 2019 führte er hier die Umfragen mit 46,6 Prozent an. Sanders war da auf Platz zwei mit zwölf Prozent. Seit Anfang Februar ist Biden von nur noch 36,3 Prozent auf jetzt 24,4 Prozent abgestürzt. Tendenz fallend. Sanders kommt inzwischen auf 20,2 Prozent. Tendenz steigend.

Auch Buttigieg kommt unter Warrens Räder

Was Biden fehlt, ist eine Idee für die Zukunft. Was er hat: Erinnerungen. Wie er damals dieses und jenes Gesetz mitbeschlossen hat. Wie er als Vizepräsident unter Barack Obama die Gesundheitsreform praktisch im Alleingang durchgesetzt hat. Wie er die wichtigsten Staatsführer getroffen und mit ihnen verhandelt hat. Seine Botschaft ist: Ich weiß, wie es geht. Aber er bleibt der Mann aus der Vergangenheit.

Pete Buttigieg, der Ex-Bürgermeister der 100 000-Einwohner-Stadt South Bend in Indiana, geht etwas unter an diesem Abend. Er wirkt wie ein netter Schuljunge unter grimmigen Gladiatoren. Einmal versucht er die erfahrene Senatorin Amy Klobuchar zu stellen, weil der in einem Fernsehinterview der Name des mexikanischen Präsidenten nicht eingefallen ist. Das müsse sie doch wohl wissen, sagt Buttigieg.

Klobuchar nimmt es persönlich: "Willst Du sagen, ich sei dumm?" Warren kommt zur Hilfe: Einen Namen zu vergessen, das könne jedem mal passieren. Aber davon abzuleiten, dass jemand unfähig sei, das sei "einfach unfair". Viel Applaus dafür. Buttigiegs Schuss, er geht nach hinten los. Und Warren sammelt einen weiteren Punkt. Es war ihr Abend.

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