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EU-Kommissionspräsidentschaft:AKK: SPD-Ablehnung von der Leyens wäre Belastung für große Koalition

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Die Nominierung von Ursula von der Leyen als nächste Kommissionspräsidentin sorgt in der europäischen und der deutschen Politik für große Aufregung. Viele Politiker lehnen die deutsche Verteidigungsministerin ab, weil sie bei der Europawahl nicht als Spitzenkandidatin angetreten, sondern Teil eines Hinterzimmerdeals der Staats- und Regierungschefs sei.

SPD-Vize Ralf Stegner rechnet damit, dass seine Parteikollegen im EU-Parlament geschlossen gegen Ursula von der Leyen (CDU) als neue EU-Kommissionspräsidentin stimmen werden. "Die sozialdemokratischen Abgeordneten haben keinerlei Grund, für Frau von der Leyen zu stimmen", sagte der Fraktionsvorsitzende in Schleswig-Holstein am Donnerstag im Deutschlandfunk. "Am Ende ist das ja eine geheime Wahl, aber ich gehe davon aus, dass jedenfalls die deutschen Sozialdemokraten sich so verhalten." Stegner kritisierte von der Leyens Nominierung deutlich. Jetzt solle jemand ins Amt gehoben werden, der nicht auf den Wahlplakaten stand, sagte er. Hinzu komme: "Frau von der Leyen gehört jetzt nicht gerade zu den Leistungsträgern in der großen Koalition, sie hat einen Untersuchungsausschuss an der Backe und sie hat keine besonders gute Arbeit abgeliefert." Die Aktion trage zur Politikverdrossenheit bei. Die 16 deutschen Sozialdemokraten haben im EU-Parlament mit seinen 751 Abgeordneten allerdings kaum Gewicht.

CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer warnt die SPD davor, Stegners Ankündigung zu folgen. "Wenn die deutschen Sozialdemokaten wirklich an ihrer destruktiven Haltung gegenüber der Kandidatur von Ursula von der Leyen festhalten, dann wäre dies eine Belastung auch für die Koalition", sagte Kramp-Karrenbauer am Donnerstag in Berlin. "Und vor allem würden sie damit möglicherweise eine Verfassungskrise in Europa riskieren", fügte sie mit Hinweis darauf zu, dass das Europaparlament sich dann gegen die 28 EU-Staats- und Regierungschefs stellen würde. "Das würde gegen alles stehen, wofür eigentlich die Sozialdemokraten als Europapartei in der Vergangenheit in Deutschland gestanden haben. Deswegen hoffe ich sehr, dass sich die vernünftigen Kräfte in der SPD in den nächsten Tagen durchsetzen werden", sagte sie. Kramp-Karrenbauer räumte ein, man könne das Verfahren auf dem EU-Sondergipfel kritisieren. Auch sie sei für das Prinzip des Spitzenkandidaten. Sie wolle, dass bei der kommenden Europawahl sichergestellt werde, dass dieses Prinzip wieder gelte. Aber man habe keine andere Mehrheiten im Rat finden können. "Fakt ist, dass wir mit Ursula von der Leyen eine hervorragende Repräsentantin an die Spitze der europäischen Kommission wählen würden", sagte sie. Die Verteidigungsministerin sei international und auch in den USA hervorragend vernetzt. "Sie wäre eine starke Kommissionspräsidentin."

Im Plenum des EU-Parlaments hat am Donnerstag der noch amtierende Ratspräsident Donald Tusk versucht, die Abgeordneten davon zu überzeugen, von der Leyen in zwei Wochen trotz aller Kritik in das höchste europäische Amt zu wählen. In seiner Rede sagte Tusk, der Rat der Staats- und Regierungschefs sei genauso demokratisch legitimiert wie das Europaparlament. "Letztlich müssen wir uns gegenseitig respektieren und miteinander arbeiten, denn nur dann können wir Vertrauen aufbauen und Europa zum Besseren verändern", sagte Tusk. Vor der Entscheidung über die EU-Spitzenjobs habe er sich viele Male mit Vertretern des Parlaments getroffen, "um sicherzustellen, dass die Entscheidungen wirklich gemeinsam sind".

Tusk richtete sich insbesondere an die Fraktion der europäischen Grünen und erwähnte unter anderem die Geschlechterparität in dem vom Rat vorgeschlagenen Personalpaket. Erstmals sollen zwei Frauen und zwei Männer die wichtigen Ämter übernehmen. Die Grünen sind aus der Wahl als viertgrößte Fraktion hervorgegangen. Die Abgeordneten spielen eine wichtige Rolle bei der Frage, ob von der Leyen ins Amt gewählt wird. Tusk appellierte an "alle Partner", die Grünen in den Ernennungsprozess der neuen Kommission miteinzubeziehen, auch wenn es aus deren Reihen bislang keinen Staats- oder Regierungschef im Europäischen Rat gebe. Das werde er auch von der Leyen noch persönlich sagen. Grün sei die Farbe der Hoffnung.

Der Co-Vorsitzende der Grünen-Fraktion, Philippe Lamberts, bedankte sich bei Tusk für die freundlichen Worte. Der Wille, die Grünen einzubinden, sei allerdings offenbar nicht überall so homogen verteilt. Die großen Parteien im Parlament hätten in der Lage sein sollen, sich mit breiter Mehrheit auf einen Kandidaten als Kommissionspräsidenten zu einigen. Der Rat hätte dann nur die Möglichkeit gehabt, diesen zu akzeptieren und offiziell vorzuschlagen. Im Parlament habe allerdings der politische Wille gefehlt. Sollte das Parlament geschwächt aus den vergangenen Tagen hervorgehen, so sei es dafür selbst mitverantwortlich.

Für die Europäische Volkspartei kündigte der Spanier Esteban González Pons an, die EVP werde die Kandidatur von der Leyens aus Verantwortung unterstützen. Er kritisierte den Ernennungsprozess aber scharf. Der Rat habe zwar das Recht, dem Parlament einen Kandidaten vorzuschlagen, aber er habe nicht das Recht, alle Kandidaten zu ignorieren, über die die Bürger abgestimmt haben. Laut dem aktuellen Vorschlag des Rats soll keiner der Spitzenkandidaten der Europawahl einen der Top-Posten bekommen.

Die sozialdemokratische Fraktionschefin Iratxe García Pérez kritisierte den Umgang mit ihrem Parteifreund und Spitzenkandidat Frans Timmermans. Dieser sei deshalb nicht zum Kommissionspräsidenten vorgeschlagen worden, weil er für Rechtsstaat und Demokratie eintrete. Timmermans ist für die umstrittenen Rechtsstaatsverfahren gegen Ungarn und Polen verantwortlich, weshalb sich diese beiden Länder ebenso wie Tschechien und Slowenien gegen ihn aussprachen. Auch Italien stellte sich gegen Timmermans. Ob ihre Fraktion von der Leyen unterstütze, sagte García Pérez aber nicht.

Nach der Debatte wählten die Abgeordneten noch fünf Quästoren. Diese gelten als Bindeglied zwischen der Parlamentsverwaltung und den Abgeordneten. Gewählt wurden die Christdemokraten Anne Sander aus Frankreich und David Casa aus Malta sowie der liberale Franzose Gilles Boyer, die slowakische Sozialdemokratin Monika Beňová und der Rechtskonservative Karol Karski aus Polen.

Während die Abgeordneten in Straßburg diskutierten, ist von der Leyen in Brüssel mit dem amtierenden Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker zusammengekommen. Bei einem gemeinsamen Fototermin begrüßten sie sich mit einer Umarmung. Fragen von Journalisten beantworteten die beiden nicht. Im Anschluss an das Gespräch, sagte ein Sprecher Junckers, dieser wolle von der Leyen beim Start in den neuen Job helfen, falls das EU-Parlament sie bestätige. Juncker und von der Leyen würden sich seit Jahren kennen und das Gespräch sei freundlich gewesen. Es sei vereinbart worden, in engem Kontakt zu bleiben.

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