Süddeutsche Zeitung

EU und Ungarn:Orbán droht mit Austritt der Fidesz-Gruppe aus EVP-Fraktion

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Damit übernimmt der ungarische Ministerpräsident einmal mehr das Heft des Handelns - und zwingt die EVP zu einer Entscheidung, die sonst womöglich weiter hinausgeschoben worden wäre.

Kommentar von Cathrin Kahlweit

Seit Langem diskutieren die Christdemokraten im EU-Parlament über den Ausschluss der rechtskonservativen ungarischen Fidesz-Partei; nie gab es eine klare Entscheidung. Es gibt Debatten, Aufschübe, Plädoyers, Wut und Interventionen. Die längste Zeit wurde taktiert, nun kommt Bewegung in die Sache.

Fidesz in Brüssel ist der verlängerte Arm der Regierung in Budapest, die seit zehn Jahren in der Kritik steht wegen Viktor Orbáns illiberaler Demokratie und der Verachtung für die europäische Idee, wegen nationaler Alleingänge und endemischer Korruption. Die Stimmung zwischen Brüssel und Budapest war schon lange schlecht, und sie wird immer schlechter. Orbáns Diktion wird schärfer, die Absetzungsbewegungen von der EU werden deutlicher. Ob es um die Pandemiebekämpfung und Impfstoffe geht, um Migration oder Werte, um Medien oder Kultur: Glaubt man dem Ungarn, ist die EU langsam, unfähig, falsch gepolt, interventionistisch, kulturimperialistisch. EU-Kommissare sind "ungeeignet für ihr Amt". Kritik an Entscheidungen in Budapest ist eine Beleidigung für Volk und Land.

Man wolle Orbán und seiner Partei noch eine Chance geben, Besserung statt Konfrontation sei gefragt, heißt es gleichwohl seit Langem von Christdemokraten in einigen Hauptstädten, nicht zuletzt bei der CDU in Berlin und der CSU in München. Als sei Ungarns Ministerpräsident, als seien seine Europaabgeordneten Kinder, die man erziehen und zur besseren Einsicht bringen könne. In der Europäischen Volkspartei (EVP) ist Fidesz immerhin schon suspendiert, ob und wann die Partei dort ausgeschlossen wird, ist unklar; im Sommer steht mal wieder eine Abstimmung an.

Nun hat sich offenbar die Fraktion der Europäischen Volkspartei - also, wenn man so will, der parlamentarische Arm der EVP-Familie -, auf eine neue Geschäftsordnung geeinigt. Mit dieser könnten Ländergruppen suspendiert oder ausgeschlossen werden. Ob oder wann diese Regel gegen Fidesz angewandt worden wäre, ist unklar. Die einen hofften darauf, dass die Ungarn von sich aus gehen, die anderen auf einen Kurswechsel. Der Machtpoker im vergangenen Herbst, als Ungarn und Polen den EU-Haushalt und das Pandemie-Paket blockierten, um einen in ihren Augen bedrohlichen Rechtsstaatsmechanismus zu verhindern, bewies, dass Viktor Orbán nicht kompromissbereit ist. Zudem wird in einem Jahr in Ungarn gewählt. Es steht zu befürchten, dass Fidesz daheim wie in Brüssel dann noch mehr in die Konfrontation gehen wird.

Nun dürfte die Sache aber doch schneller gehen als erwartet. Orbán hat selbst reagiert und erhöht damit den Einsatz: Er droht mit dem Austritt seiner Abgeordneten aus der EVP-Fraktion, wenn die neuen Regeln kommen. Wenn die Ungarn nicht willkommen seien, fühlten sie sich auch nicht genötigt, in der Fraktion zu bleiben. Damit übernimmt Orbán einmal mehr das Heft des Handelns und zwingt die EVP zu einer Entscheidung, die sonst womöglich weiter hinausgeschoben worden wäre. Das ist eine Form der Erpressung, die man von ihm kennt, die aber in diesem Fall sogar nachvollziehbar ist. Theoretisch könnte jede Gruppe mit der geänderten Geschäftsordnung ausgeschlossen werden, und dennoch ist sie natürlich erst einmal eine Lex Fidesz. Jetzt muss die EVP endlich Farbe bekennen.

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