Süddeutsche Zeitung

Nahost und die USA:Wiederholt sich die Geschichte?

Lesezeit: 3 min

Von Alan Cassidy, Washington

Ist Iran der neue Irak? Wiederholt sich in diesen Tagen die Geschichte? Nach der Tötung des iranischen Generals Qassim Soleimani befürchten viele in den Vereinigten Staaten, das Land könnte in einen neuen Krieg in Nahost schlittern, oder eher: getrieben werden. Dass US-Verteidigungsminister Mark Esper am Dienstag in CNN sagte: "Wir wollen keinen Krieg mit Iran anfangen, aber wir sind darauf vorbereitet, einen zu Ende zu bringen", wird da zur Beruhigung nicht reichen. "Es sieht aus und hört sich an wie 2003", schreibt die Washington Post. "Es ist schon wieder 2003", titelt das Magazin The Atlantic. Man brauche gar nicht besonders scharf zu schauen, um zu erkennen, wie sehr die Krise jetzt an das Vorspiel zum Einmarsch in den Irak erinnere. "Warum nur fühlt sich das alles genauso an wie 2003?", fragt auch der britische Guardian.

Zumindest in den Studios der großen Sender gab es einiges, das diesen Eindruck unterstrich. Besonders bei Fox News. Dort trat Ari Fleischer auf, der frühere Pressesprecher von US-Präsident George W. Bush. Fleischer war prominenter Befürworter der Irak-Invasion, nun klang er ähnlich optimistisch, was die Aussichten der USA in Iran betrifft. Soleimanis Tötung, prophezeite er, werde sich als Segen erweisen für alle Kräfte in Iran, die das Ableben des Revolutionsgarden-Generals bejubelten. "Das wird Druck auf Irans Regierung schaffe, mit ihrem Terrorismus aufzuhören." Neben Fleischer saß Karl Rove, unter Bush Chefstratege, er nannte Soleimanis Tod einen "großen Sieg", der zu "Stabilität und Mäßigung in Nahost" führen werde.

Wie damals dreht sich heute vieles um die Frage, was die US-Bürger ihrer Regierung glauben sollen, wenn diese von Bedrohungen spricht, denen man entgegentreten müsse. 2003 waren das vor allem die angeblichen Massenvernichtungswaffen, die der irakische Diktator Saddam Hussein hergestellt habe, sowie seine Verbindungen zur Terrorgruppe al-Qaida, die für die Anschläge vom 11. September 2001 verantwortlich war. Die Vorwürfe erwiesen sich später als falsch.

Heute begründet die US-Regierung Soleimanis Ausschaltung mit der "unmittelbar" bevorstehenden Bedrohung, die von ihm für die USA ausgegangen sei. Worin diese Bedrohung bestand, vermochte Außenminister Mike Pompeo zum Ärger der Demokraten im Kongress bisher jedoch nicht zu sagen. Dafür stellte Vizepräsident Mike Pence eine Verbindung zwischen Soleimani und den Terroranschlägen vom 11. September 2001 her, die zumindest fragwürdig war.

Und dann ist da noch der Umstand, dass sich der aktuelle Präsident in einem wichtigen Punkt nicht unterscheidet von seinem Vorvorgänger: Bush wie Donald Trump hatten in ihrem Wahlkampf versprochen, keine neuen Kriege zu beginnen. Die Zeit des "Nation Building" sei vorbei, sagte Bush - und verfolgte dann doch genau dies. Er wolle keine "endlosen Kriege" mehr, sagte Trump - und schickt nun Tausende zusätzliche Soldaten in die Region. Für den Atlantic gibt es noch mehr Parallelen, eine militärische Führung etwa, die auf einen Konflikt gar nicht vorbereitet sei, und eine Regierung, die ihre Fähigkeiten überschätze.

Eher größer sind jedoch die Unterschiede. Die Irak-Politik der Bush-Regierung war, auch wenn sie brutal scheiterte, ideologisch unterfüttert von einer Fraktion um Vizepräsident Dick Cheney und Vizeverteidigungsminister Paul Wolfowitz, die überzeugt war, Saddams Sturz werde zu einer Demokratisierung des Nahen Ostens führen. Bei Trumps Iran-Politik fällt es dagegen schwer, eine theoretische Fundierung zu erkennen, geschweige denn eine Strategie. Wollen die USA einen Regimewechsel in Teheran herbeiführen, die Neuverhandlung des Nuklearabkommens erzwingen, die Machtbalance in der Region verändern? Das ist den wenigsten klar.

Ganz anders nimmt sich zudem das politische Umfeld aus. 2003 stützte die Führung der oppositionellen Demokraten den Kurs der Bush-Regierung. Heute haben alle wichtigen Vertreter der Partei die Tötung Soleimanis und die verbundene Eskalation des Konflikts verurteilt. Und während damals auch linksliberale Leitmedien wie die Washington Post den Einmarsch im Irak befürworteten, überwiegt nun in vielen Redaktionen Kritik an der Nahost-Politik der Trump-Regierung. Diese Skepsis entspricht der einer kriegsmüden Öffentlichkeit.

Zeitweise waren im Irak mehr als 160 000 US-Soldaten stationiert. Nach ihrem Abzug 2011 blieb ein kleines Truppenkontingent zurück. Eine Mehrheit der Amerikaner betrachtet den Irakkrieg, der zu 4400 getöteten und 32 000 verwundeten US-Soldaten führte, inzwischen als Fehler - als großes Trauma. Ein Trauma, das sich nicht wiederholen soll.

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SZ vom 08.01.2020
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