Süddeutsche Zeitung

US-Republikaner im Wahlkampf:Gingrich greift nach dem Mond

Lesezeit: 4 min

"Ich bin grandios": Newt Gingrich strotzt vor Selbstvertrauen und gibt sich vor den Vorwahlen der Republikaner in Florida als Visionär: Der Held der Konservativen verspricht den Amerikanern bis 2020 eine Station auf dem Mond - sofern sie ihn zum Präsidenten wählten. Seine Gegner mühen sich, den republikanischen Space-Cowboy einzubremsen.

Sebastian Gierke

In China sehen sie einen Hasen, wenn sie den Mond anschauen. In Gambia ein Krokodil. In Europa, aber auch den USA entdecken viele beim Blick in den Nachthimmel den Mann im Mond. Newt Gingrich jedoch scheint in dem Erdtrabanten vor allem ganz viele Dollars zu sehen - und einen Wahlsieg.

Der republikanische US-Präsidentschaftsbewerber hat jedenfalls gerade versprochen: Wäre er Präsident, würden die USA bis 2020 eine Mondstation errichten. "Am Ende meiner zweiten Amtszeit werden wir die erste permanente Basis auf dem Mond haben - und es wird eine amerikanische sein", sagte er nur wenige Kilometer entfernt vom amerikanischen Weltraumzentrum Cape Canaveral auf einer Wahlkampfveranstaltung in Florida, wo in knapp einer Woche die vierte Vorwahl der US-Republikaner stattfinden wird. Er wolle eine stabile kommerzielle Raumfahrtindustrie nach dem Vorbild des Luftfahrtbooms der 1930er Jahre entwickeln, sowie die Erforschung des Mars ausbauen, sagte Gingrich. Seine Fans jubelten ihm frenetisch zu.

Newt Gingrich ist ein Großmaul. Wiederholt hat er sich selbst als "grandios" bezeichnet. Er ist ein großer Redner, der es rhetorisch wohl auch mit Barack Obama aufnehmen könnte. Bei einer Debatte in South Carolina kanzelte er den Moderator in bemerkenswerter Weise ab, nachdem es dieser gewagt hatte, eine Frage zu seiner Exfrau zu stellen. Viele amerikanische Wahlkampf-Beobachter sehen darin den Moment, in dem sich Gingrich den Sieg bei der dritten Vorwahl der Republikaner gesichert hat - und zum ernsthaften Konkurrenten von Mitt Romney im Rennen um die Präsidentschaftskandidatur aufstieg.

Und auch die Sache mit dem Mond ist keineswegs so abwegig, wie es im ersten Moment klingen mag. Zumindest, wenn man sie als wahltaktisches Manöver ansieht. Natürlich fragen sich viele seiner Landsleute: Wie will er das finanzieren? In wirtschaftlich schwierigen Zeiten! Sollte sich ein zukünftiger Präsident nicht lieber um die Probleme auf der Erde kümmern, statt das All als Abenteuerspielplatz zu nutzen? Romney hat schon versucht, seinen Rivalen an diesem Punkt zu treffen: "Ich glaube, wir haben ein paar andere Prioritäten, für die wir Geld ausgeben sollten, bevor wir auf den Mond fliegen."

Doch Gingrich, der ehemalige Sprecher des Repräsentantenhauses, lässt sich dadurch nicht verunsichern. Der - nach seinem fulminanten Comeback von South Carolina - Star der Konservativen gibt vor Selbstbewusstsein strotzend den Space-Cowboy und setzt mit seinen Mond-Plänen auf die Wiederbelebung des amerikanischen Frontier Spirit, den Pioniergeist. Immer weiter! Der Historiker Frederick Jackson Turner schrieb Ende des 19. Jahrhunderts, die Verfügbarkeit von freiem Land habe während des Großteils der amerikanischen Geschichte die Amerikaner entscheidend geprägt. Für ihn war die Ausdehnung nach Westen eine "immerwährende Wiedergeburt". Auch Gingrich muss sich nach South Carolina vorkommen, wie wiedergeboren. In Umfragen für Florida liegt er aktuell nur noch zwei Prozentpunkte hinter dem vermeintlichen Favoriten Romney. Immer weiter! Und wenn die Ausdehnung himmelwärts gerichtet ist.

Frontier Spirit ist eine in Amerika fest verwurzelte Geisteshaltung, auch weil die Ressourcen des Westens in der Pionierzeit grenzenlos erschienen. Sie sind es nicht, hat man festgestellt. Und weil es im Westen nichts mehr zu besiedeln gibt und auch im Rest der Welt die Amerikaner gerade eher den Rückzug antreten, ist der Mond für viele Wähler gar nicht mehr so weit weg. Vor allem nicht für die Wähler in Florida, wo viele Nasa-Angestellte leben, die um ihre Arbeitsplätze fürchten, nachdem im vergangenen Jahr das Spaceshuttle-Programm eingestellt worden war. Der amtierende US-Präsident Barack Obama hatte außerdem schon im Jahr 2010 das Mondlandeprogramm gestrichen - um nicht noch mehr Schulden machen zu müssen.

Gingrich zuckt beim Thema Schulden nur mit den Schultern. Er will seine Vorschläge mit privaten Investoren realisieren und denkt sowieso weniger an die Machbarkeit denn an die Wähler, denen er seine Utopie als Vision verkauft: "Ich wurde gerade dafür angegriffen, dass ich grandios bin", sagte er. "Doch ich hätte gern, dass ihr wisst: Lincoln war grandios in Council Bluffs. Die Gebrüder Wright waren grandios in Kitty Hawk. John F. Kennedy war grandios. Ich akzeptiere die Anklage, dass ich grandios sei - und dass die Amerikaner instinktiv grandios sind." Kunstpause. Dann: "Bedeutet das, dass ich ein Visionär bin? Darauf könnt ihr wetten."

Gingrich ist so visionär, dass er sich sogar einen US-Bundesstaat auf dem Mond vorstellen kann: "Wenn erst einmal 13.000 Amerikaner auf dem Mond leben, könnten die einen eigenen Staat beantragen." Und: "Ich will, dass jeder junge Amerikaner zu sich selbst sagt: Ich könnte einer dieser 13.000 sein, ich könnte ein Pionier sein. (...) Ich könnte tatsächlich die Zukunft leben, ich könnte auf das Sonnensystem schauen und Teil einer Generation von mutigen Menschen sein, die etwas Großes, etwas Gewagtes, etwas Heroisches tun." Jubel in Florida. Doch nicht einmal der Mond ist Gingrich genug. Er will auch auf den Mars. Schon im Jahr 2020.

Gingrich zum Ikarus machen

Seine Gegner haben bislang noch keine gute Antwort auf den Visionär Gingrich gefunden. Sie versuchen, seine Ideen lächerlich zu machen - und ihn auf die Erde zurückzuholen, mit allzu irdischen Problemen. Vor allem Mitt Romney intensiviert seine Attacken: Er zweifelt Gingrichs Integrität an, nagelt ihn immer wieder auf seine Vergangenheit als Berater von Freddie Mac fest, einer Hypothekenbank, die mit Steuergeld gerettet werden musste. "Er hat 1,6 Millionen Dollar von Freddie Mac bekommen, als Freddie Mac die Leute hier in Florida Millionen über Millionen kostete", rief Romney auf einer Wahlkampfveranstaltung.

Doch mit dieser Taktik wird er Gingrich kaum zum Ikarus machen können. Wenn einer mit extrem hochfliegenden Visionen den Blick von den irdischen Problemen ablenkt, ist es schwierig, ihm mit rationalen Argumenten den Wind aus den Segeln oder besser, den Treibstoff aus den Raketentanks zu nehmen. Darauf jedenfalls setzt Newt Gingrich - der im Mond den Wahlsieg sieht.

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