Süddeutsche Zeitung

US-Politik:Warum Trump nicht die Finger von Obamacare lässt

Lesezeit: 4 min

Demokraten und Republikaner suchen Kompromisse. Der US-Präsident dagegen sabotiert Obamas Reform des US-Gesundheitssystems. Keiner weiß, was Trump stattdessen will. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Von Thorsten Denkler, New York

Es hat keine 24 Stunden gedauert, bis US-Präsident Donald Trump alles wieder ganz anders sah. Am Dienstag schien es, als würde er einen Vorschlag aus dem Senat stützen, mit dem Demokraten und Republikaner gemeinsam das als Obamacare bekannte Krankenversicherungssystem vorerst verlängern könnten. Dann twitterte Trump am Mittwoch, er werde natürlich auf gar keinen Fall irgendetwas gutheißen, was Obamacare helfen könnte.

Um die Verwirrung perfekt zu machen, hat Trump danach offenbar mit einem der Senatoren telefoniert, die den Vorschlag formuliert haben. Und ihm grundsätzlich Rückendeckung gegeben für eine Lösung, die von Republikanern wie Demokraten getragen werden kann.

Im Grunde aber weiß im Kongress niemand so richtig, was konkret Trump will. Der demokratische Minderheitsführer im Senat, Chuck Schumer, sagte dazu, mit Trumps ständigem Hin und Her lasse sich das Land nicht regieren.

Sicher ist nur: Trump will die Gesundheitsreform seines Vorgängers Barack Obama loswerden. Das wollten die meisten Republikaner auch in den vergangenen acht Jahren, seit Obama die Reform eingesetzt hat. Inzwischen aber haben dank Obamacare mehr als 20 Millionen Menschen in den USA eine Krankenversicherung bekommen. Darunter auch viele Wähler der Republikaner. Und denen wird jetzt langsam klar, was sie daran haben. Manche von ihnen sind zum ersten Mal überhaupt in ihrem Leben krankenversichert.

Trump ist das egal. Er scheint auf einem Rachefeldzug zu sein gegen alles, was mit dem Namen seines Vorgängers zu tun hat. Dennoch sind bisher mehrere Versuche, Obamacare abzuschaffen, letztlich im Senat gescheitert. Die Republikaner haben in den eigenen Reihen nicht genug Stimmen für ihre zum Teil schlampig entworfenen Alternativvorschläge zusammenbekommen. Doch der Kampf um die Gesundheitsreform ist noch lange nicht beendet. Die wichtigsten Fragen und Antworten:

Welche Möglichkeiten bleiben Trump noch, Obamacare loszuwerden?

Trump kann die Obamacare-Reformen nicht auf eigene Faust rückgängig machen. Aber er kann per Dekret einiges dafür tun, das System zu destabilisieren. In den vergangenen Wochen und Monaten hat er dafür an verschiedenen Stellschrauben gedreht, um die Obamacare-Reform zu sabotieren. Drei Beispiele:

  • Er hat die staatliche Unterstützung für Menschen mit geringem Einkommen gestrichen, die sich erst damit eine Obamacare-Krankenversicherung leisten können. Sechseinhalb Millionen Amerikaner sind davon betroffen.
  • Er hat das Budget für Obamacare-Werbung um 90 Prozent gekürzt.
  • Er will es kleineren Unternehmen leichter machen, billige Krankenversicherungen für Mitarbeiter zu kaufen.

Das Grundproblem: Günstige Krankenversicherungen verlangen meist hohe Zuzahlungen und decken nicht alles ab. Wer genug Geld auf dem Konto hat, jung und gesund ist, der greift gerne zu solchen Versicherungen. Je mehr solcher Versicherungen es gibt, desto teurer werden aber Policen, die alles abdecken, was medizinisch notwendig ist. Trump befördert so einen Markt, der billige Versicherungen für die Reichen und Gesunden anbietet. Und teure für die Armen und Kranken.

Gleichzeitig fordert Trump Republikaner und Demokraten im Kongress auf, die Probleme mit Obamacare gemeinsam zu beheben. Wie passt das zusammen?

Das fragen sich viele im Kongress. Demokraten und Republikaner sollen gemeinsam daran arbeiten, das Gesundheitssystem besser zu machen, fordert er. Er will sogar ein Krankenversicherungssystem, das deutlich günstiger ist und eine noch bessere Gesundheitsversorgung bietet. Sagt er zumindest.

Zugleich fordert er, dass Hunderte Milliarden Dollar im Gesundheitswesen eingespart werden. Das Geld braucht er, um seine Steuerreform zu finanzieren oder seine Mauer zu Mexiko zu bauen. Wie beides zusammen funktionieren soll? Trump hat dazu keinen Vorschlag gemacht.

Gibt es im Kongress Ideen, wie die Probleme im Gesundheitssystem gelöst werden können?

Durchaus. Auch Demokraten wissen, dass Obamacare in manchen Fällen zu teuer geworden ist. Sowohl für die Versicherten. Als auch für die Versicherungen und den Staat, der Hunderte Milliarden Dollar in das System pumpt.

Aber die Republikaner haben Obamacare in den vergangenen Jahren kompromisslos bekämpft. Eine gedeihliche Zusammenarbeit auf Grundlage der bestehenden Regeln scheint kaum noch möglich. Außerdem sind die Republikaner selbst in der Frage zerstritten. Die einen sehen die Zuneigung ihrer Wählerbasis gefährdet, wenn sie Obamacare abwickeln. Die anderen sehen die Zuneigung ihrer Wählerbasis gefährdet, wenn sie Obamacare nicht abwickeln.

Ein neuer Kompromissvorschlag liegt auf dem Tisch. Wird der Obamacare retten?

Nein. Weil er die Grundprobleme von Obamacare nicht löst. Aber er verschafft Zeit. In den vergangenen Monaten haben sich dafür die beiden Senatoren Patty Murray, Demokratin aus dem Bundesstaat Washington, und Lamar Alexander, Republikaner aus Tennessee, zusammengesetzt. Mit ihrem Vorschlag würde Obamacare zumindest für die kommenden zwei Jahre stabilisiert werden können, um ein weiteres Chaos auf dem Markt zu verhindern. Die Ungewissheit, wie es weitergeht, hat zu großen Preissprüngen geführt. Es finden sich immer weniger Versicherungsunternehmen, die unter den unsicheren Umständen eine Obamacare-Police anbieten wollen.

Käme das Gesetz durch, würde es Trumps Entscheidungen an einer wichtigen Stelle rückgängig machen. Es würde die Ko-Finanzierung für Obamacare-Prämien für Einkommensschwache und Arme wiedereinsetzen. Trump hatte sie gestrichen mit Verweis auf ein Gerichtsurteil, das die Unterstützungsleistungen für verfassungswidrig erklärt hatte. Und zwar, weil die Ausgaben dafür nie vom Kongress abgesegnet worden seien.

Es geht um gut sieben Milliarden Dollar jährlich. Das Geld könnte der Kongress jetzt mit dem Gesetz selbst und damit verfassungskonform bereitstellen. Es sieht darüber hinaus vor, dass die Bundesstaaten die Obamacare-Regeln flexibler als bisher handhaben können. Was den Republikanern entgegenkommt. Und auch die Ausgaben für Öffentlichkeitsarbeit sollen doppelt so hoch sein wie von Trump vorgesehen.

Welche Chance hat das Gesetz?

Lamar Alexander prophezeit, dass der Vorschlag noch vor Ablauf des Jahres Gesetz werden wird. Dafür aber müssten sich vor allem seine republikanischen Parteifreunde bewegen.

Im Senat mag sich noch eine Mehrheit für das Gesetz finden. Das Repräsentantenhaus aber wird klar von den Republikanern dominiert. Der dortige republikanische Speaker Paul Ryan hat klarstellen lassen, dass er in dem Gesetz "nichts erkennen kann, was seine Haltung ändern würde, dass der Senat sich erst auf eine Abschaffung und dann auf einen Ersatz von Obamacare konzentrieren sollte". Alexander hofft dennoch auf eine Einigung. Er sagt: " Ich kenne keinen Demokraten oder Republikaner, der von Chaos profitieren würde."

Und wenn das Gesetz nicht zustande kommt?

Der republikanische Gouverneur von Nevada, Brian Sandoval, hat sehr deutlich gemacht, was passiert, wenn Trumps Kürzung bestehen bleibt: "Es wird Kindern schaden. Es wird Familien schaden. Es wird Menschen mit geistigen Behinderungen schaden. Es wird Kriegsveteranen schaden. Es wird einfach jedem schaden."

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