Süddeutsche Zeitung

Ungarn und USA:Am Tiefpunkt

Lesezeit: 3 Min.

Das Verhältnis zwischen Ungarn und den USA ist schwer belastet. Während Budapest weiter auf russisches Gas setzt, setzt Washington eine Bank und mehrere unliebsame Politiker auf Sanktionslisten.

Von Cathrin Kahlweit, Wien

Die diplomatischen Beziehungen zwischen den mächtigen USA und dem kleinen Ungarn sind an einem Tiefpunkt angelangt. Zwischen den US-Demokraten und Fidesz steht es nicht zum Besten, seit Viktor Orbán 2010 an die Macht kam. Aber mittlerweile, heißt es aus diplomatischen Kreisen in Budapest, sei die Stimmung gegenüber den USA regelrecht feindselig. Das hat viel mit dem derzeitigen Botschafter zu tun, und noch viel mehr mit der Russlandpolitik von Viktor Orbán.

Die ungarische Regierungspresse titelt gern mal "Clown-Diplomatie" oder "Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde mehr". Sie rüpelt gegen den Botschafter, dessen Lebensweise den Rechtspopulisten der Fidesz-Partei nicht gefällt. Die Führung des EU-Staates und Nato-Partners stellt sich auch offen gegen den amtierenden Präsidenten der Großmacht: Erst jüngst hatte Ministerpräsident Viktor Orbán per Twitter dem Ex-Präsidenten der USA, Donald Trump, gegen den mehrere Ermittlungsverfahren laufen, viel Glück vor Gericht gewünscht: "Kämpfen Sie weiter, Herr Präsident! Wir sind mit Ihnen" - und damit auch Joe Biden brüskiert.

Umgekehrt hatte die US-Botschaft ein Quiz veröffentlicht, in dem die Politik des offiziell befreundeten Landes angeprangert wird. Die Amerikaner stellten ein Video mit antiamerikanischen und prorussischen Zitaten ins Netz - unter dem Titel "Wer hat es gesagt?". Fast alle kruden Aussagen stammten von ungarischen Politikern, und nicht etwa von Wladimir Putin.

Pressman ist eine Provokation für eine Regierung, die queer-feindliche Politik betreibt

An diesem Mittwochnachmittag nun hielt der US-Botschafter in Budapest, David Pressman, den das Online-Magazin Politico "public enemy No. 1" in Ungarn nennt, eine Pressekonferenz ab, über die im Vorfeld viel spekuliert worden war. Die USA würden, so hieß es, mutmaßlich mehrere hochrangige ungarische Politiker auf ihre Sanktionslisten setzen. Tatsächlich wurden dann nur die in Budapest ansässige Internationale Investitionsbank (IIB) und einige hochrangige Mitarbeiter, darunter der frühere ungarische Diplomat Imre Laszlóczki , auf die Sanktionsliste gesetzt. Pressman sagte, die "Präsenz dieser vom Kreml finanzierten Plattform in Ungarn" stelle eine Bedrohung für europäische Länder und Verbündete dar.

Der Menschenrechtsanwalt und langjähriger Diplomat war 2022 von Joe Biden an die Donau entsandt worden, nachdem sein Vorgänger, ein Schmuck-Unternehmer und Freund von Donald Trump, mit dessen Abwahl bereits 2020 den Posten verlassen hatte. Bereits während des Hearings für Pressman im US-Senat für dessen Akkreditierung trieb ein Gummiboot auf der Donau in Budapest nahe der US-Botschaft, das den Ton setzte für den Neuen: "Mr. Pressman, kolonialisieren Sie Ungarn nicht mit Ihrem Todeskult!", stand auf einem Schild, das am Boot befestigt war; Pressman soll bis heute ein Foto davon auf seinem Schreibtisch haben.

Der Kontext: Der Amerikaner lebt mit einem Mann zusammen und hat zwei Kinder. Und er äußert sich explizit und kritisch über die Politik von Fidesz und Viktor Orbán. Man könnte auch sagen: Pressman ist eine Provokation für eine Regierung, die eine aggressiv queer-feindliche Politik betreibt. Gegen das vom ungarischen Parlament erlassene LGBTQ-Gesetz, das "homosexuelle Propaganda" im Umfeld von Kindern und in Medien unter Strafe stellt, klagen derzeit fünfzehn europäische Staaten vor dem Europäischen Gerichtshof.

Orbán betreibt in den Augen seiner Partner in Washington und Brüssel das Geschäft Putins

Aber das ist nur ein Aspekt der grottenschlechten Beziehungen. Hinzu kommen, von US-Seite, gravierende politische Vorwürfe wie Antisemitismus, Antiamerikanismus und die Anbiederung an Russland und China. Orbán betreibt in den Augen seiner Partner in Washington und Brüssel das Geschäft Putins; russische Propaganda spiegelt sich seitenweise in der Regierungspresse, begleitet von massiven Angriffen auf die Russlandpolitik der EU.

Seit dem Angriffskrieg Moskaus gegen die Ukraine ist der Graben zwischen Budapest und der EU, aber auch den USA in der Frage des Verhältnisses zum Kreml noch tiefer geworden. Orbán war noch kurz vor Beginn des Krieges demonstrativ zu Wladimir Putin gereist, mit dem er seit Jahren eine rege Besuchsdiplomatie betreibt; in Kiew indes ist der Ungar seit Kriegsbeginn nie gewesen. Die Sanktionspolitik der EU kritisiert er massiv, das Verhältnis zu Moskau soll laut Orbán stabil und gut bleiben.

Vor allem die Energieabhängigkeit Ungarns von Russland wird von Fidesz als Begründung für die Nähe zu Moskau angeführt. Außenminister Péter Szijjártó war mehrmals - und zuletzt am Dienstag - nach Moskau gereist, um mit der russischen Regierung die Verlängerung von Gaslieferverträgen auszuhandeln; von Gazprom als Hauptlieferant will Budapest nicht abrücken. Szijjártó hatte sich in Moskau auch mit Rosatom-Chef Alexej Lichatschow getroffen, um den Weiterbau des Atomkraftwerks Paks, das mit russischer Technik und russischen Krediten geplant gewesen war, zu ermöglichen.

In Brüssel hat die Tatsache, dass der Rechtspopulist Schritt um Schritt Demokratie und Rechtsstaat abbaut, zu schweren Irritationen, dann zu einem Artikel-7-Verfahren über die Aussetzung der Stimmrechte und schließlich zu einem Rechtsstaatsverfahren und dem Einbehalten von Geldern geführt. Auch Washington hat sein Missfallen über die Entwicklung in den vergangenen Jahren regelmäßig zum Ausdruck gebracht, verfügt aber nicht über dieselben Druckmittel wie EU-Kommission und Parlament. Pressmans Pressekonferenz könnte ein Versuch gewesen sein, politischen Druck auf Budapest auszuüben.

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