Süddeutsche Zeitung

Naturschutz:"Natur ist oft nur gut für schöne Bilder"

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Die Politik tut zu wenig, um die biologische Vielfalt zu erhalten, beklagt Beate Jessel, Präsidentin des Bundesamtes für Naturschutz. Sie fordert ein Vetorecht nicht nur für den Klimaschutz.

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Pflanzen, Tiere, Biotope - sie verschwinden schleichend, klagt Beate Jessel, die scheidende Präsidentin des Bundesamts für Naturschutz. Eine politische Strategie dagegen fehle, "weil wir den Schutz der Natur zu wenig als Aufgabe betrachten, die alle Ministerien etwas angeht". Doch Jessel schöpft Hoffnung - aus einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts.

SZ: Frau Jessel, wie geht es der Natur im Land?

Beate Jessel: Nicht gut, das zeigt ein Blick in die Roten Listen. Nicht nur Insekten, sondern viele Artengruppen sind in ihrem Bestand gefährdet. Aber wir fokussieren uns im Naturschutz sehr stark auf einzelne Arten. Das Problem ist viel größer.

Inwiefern?

Wir müssen stärker in landschaftlichen Zusammenhängen denken. Bei den Lebensräumen sieht es noch viel dramatischer aus. Von 863 in Deutschland vorkommenden Biotoptypen sind fast zwei Drittel im Bestand gefährdet oder vom Verschwinden bedroht. Und das kommt alles nicht plötzlich, das sind schleichende Entwicklungen. Auch das Insektensterben hat nicht erst von heute auf morgen eingesetzt.

Das alles ist gut dokumentiert, alle sechs Jahre erscheint ein Bericht zur Lage der Natur, jedes Mal mit Hiobsbotschaften. Warum reagiert die Politik so wenig?

Weil wir den Schutz der Natur zu wenig als Aufgabe betrachten, die alle Ministerien etwas angeht. Wir haben Erfolge im Naturschutz immer dann, wenn wir uns auf einzelne Arten fokussieren und selber Geld in die Hand nehmen. Bei Wildkatzen, Weißstörchen oder Seeadlern sehen wir punktuell Verbesserungen. Oder bei bestimmten Ackerwildkräutern, für die es gezielt Programme gab. Aber auf breiter Front hat sich die Lage nicht gebessert, im Gegenteil. Naturschutz ist auch eine Frage von Landwirtschaft, Verkehr, Bauen, Energie. Ein Umweltministerium allein kann das nicht richten, zumindest nicht im derzeitigen Zuschnitt seiner Kompetenzen.

Was müsste sich ändern?

Die Grünen haben gerade vorgeschlagen, künftig ein Veto für den Klimaschutz einzuführen. Das zuständige Ministerium könnte alle Vorhaben abwehren, die dem Klimaabkommen von Paris zuwiderlaufen. Im Grunde bräuchte es so etwas auch für die biologische Vielfalt. Denn auch hier gibt es ja international verpflichtende Ziele.

Und wo hätten Sie sich so ein Veto in jüngerer Zeit gewünscht?

An verschiedenen Stellen. Im Baurecht zum Beispiel: Da wurde zur Mobilisierung von Bauland kürzlich eine Bestimmung verlängert, die die Ausweisung von Bauland ohne Umweltprüfung ermöglicht. Da hatten wir vorab schon dargelegt, dass dadurch weiter Fläche an Ortsrändern beansprucht wird, statt dort Wohnraum zu schaffen, wo er benötigt wird: in den Verdichtungsräumen. Das schädigt eindeutig die Biodiversität. Aber das wurde nicht gehört.

Auch eine gemeinsame Moorschutzstrategie der Bundesregierung könnte dann nicht einfach am Widerstand des Landwirtschaftsministeriums scheitern. Obwohl sie im Koalitionsvertrag vorgesehen ist. Und obwohl gerade die landwirtschaftlich genutzten Niedermoore wesentlich zum CO₂-Ausstoß der Landwirtschaft beitragen. Insgesamt bewegt sich in der Agrarpolitik viel zu wenig. Dabei ist jedem klar, dass sich intensive Bewirtschaftung und Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen nicht gut vertragen.

Landwirte verweisen auf den globalen Wettbewerb, mit dem sich Naturschutz-Auflagen nicht vertrügen. Gibt es eine Art Globalisierung der Naturzerstörung?

Teilweise ja. Wir importieren Tierfutter aus Ländern, in denen dafür Regenwälder abgeholzt werden, und exportieren dafür in großen Mengen Hühner- und Schweinefleisch. Das ist kein guter Weg. Vor allem aber steht dahinter ein großer Trugschluss: dass nämlich hohe Umweltstandards der Wirtschaft schaden. Das Gegenteil ist der Fall, oft werden so Innovationen befördert.

Warum gelingt es nicht, Natur und Artenvielfalt so ins Rampenlicht zu rücken, wie das beim Klimaschutz gelungen ist?

Naturschutz erfreut sich schon einer gewissen Aufmerksamkeit. Aber Natur ist oft nur gut für schöne Bilder, es folgt daraus nichts. Die Zusammenhänge bei der biologischen Vielfalt sind viel komplexer, viel stärker verflochten als beim Klimaschutz. Wir können nicht sagen, wir haben ein 1,5-Grad-Ziel, und alles richten wir daran aus. Und gleichzeitig spüren wir Hitzewellen und Überflutungen viel unmittelbarer am eigenen Leib als den Verlust von ein paar Mücken oder blütenbestäubenden Insekten. Dabei vergessen wir leider nur, dass zwischen Natur- und Klimaschutz ein enger Zusammenhang besteht.

Wie sieht dieser Zusammenhang aus?

Die Flutwellen hätten uns weniger stark getroffen, wenn die Flächen in den Einzugsgebieten weniger stark versiegelt wären. Wenn es mehr intakte Flussauen gäbe, die Flüsse mehr Raum hätten. Wenn wir Moore wiederbeleben und so das Wasser in der Landschaft halten. Waldbrände wie vor Kurzem im Mittelmeerraum werden begünstigt durch naturferne Monokulturen. Darüber wird zu wenig gesprochen.

Sollte das Bundesverfassungsgericht zugunsten des Naturschutzes ähnlich einschreiten wie bei der Klimapolitik?

Genau das hat es mit seinem Urteil ja getan. Es bezieht sich auf Artikel 20a, den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen. Dieser erstreckt sich nicht nur auf den Klimaschutz und sollte darauf auch nicht verengt werden. Auch die Biodiversitätskrise bedroht durch den Verlust von Lebensräumen und Artenvielfalt natürliche Lebensgrundlagen. Und auch das beschränkt die Freiheitsrechte künftiger Generationen.

Müssten die Rechte der Natur, wie in anderen Staaten, sich auch in Deutschland vor Gericht erstreiten lassen?

Jedenfalls ist Natur nicht nur eine Ressource. Sie ist, wenn man so will, unser eigenwilliges Gegenüber. Aber die Frage ist, was genau wir mit juristischen Mitteln für die Natur erstreiten wollen. Mittel, um den Vollzug von Gesetzen zu erzwingen, haben wir schon. Wenn es aber darum geht, das Handeln des Gesetzgebers einzufordern, haben wir gerade die Grundlage an die Hand bekommen: nämlich genau durch dieses Urteil des Bundesverfassungsgerichtes.

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