Süddeutsche Zeitung

Ostukraine:Immerhin, sie reden

Lesezeit: 3 min

Von Daniel Brössler, Berlin, und Nadia Pantel, Paris

In erster Linie wollen sie natürlich etwas für den Frieden in der Ostukraine tun. Aber das Treffen im sogenannten Normandie-Format, also mit Russland und der Ukraine, an diesem Montag in Paris hat für Angela Merkel und Emmanuel Macron einen willkommenen Nebeneffekt. Nachdem es zwischen Paris und Berlin zuletzt vernehmlich geknirscht hatte, bietet der Gipfel der Bundeskanzlerin und dem französischen Präsidenten die Gelegenheit, mal wieder Einigkeit zu demonstrieren.

Begonnen hat das schon im Vorfeld. Mit vereinten Kräften bemühten sich Mitarbeiter Merkels wie Macrons, allzu große Erwartungen zu dämpfen. "Wir erwarten und erhoffen uns von diesem Gipfel einen Impuls für den weiteren Prozess der Umsetzung der Minsker Vereinbarung", hieß es aus dem Kanzleramt. Wie viel aber erreichbar sei, das lasse sich "naturgemäß im Vorhinein nicht präzise prognostizieren".

Tatsächlich weiß nicht zuletzt Merkel, wie kompliziert die Umsetzung dessen ist, was vor fast fünf Jahren in der weißrussischen Hauptstadt Minsk beschlossen worden ist, um die Voraussetzung für Frieden im Donbass zu schaffen. Im Unterschied zu Macron und dem ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskij waren sie und Kremlchef Wladimir Putin dabei, als ein Waffenstillstand, eine Amnestie für die Separatisten, die Wiederherstellung der ukrainischen Kontrolle über die eigene Staatsgrenze, Wahlen sowie eine Selbstverwaltung in den bisherigen Separatistengebieten ausgehandelt wurden.

Hoffnung dank Selenskij

Ein zentraler Punkt war damals überdies der Rückzug "aller bewaffneten ausländischen Einheiten", wie die irregulären russischen Truppen umschrieben wurden, die im Auftrag des Kreml Krieg im Osten der Ukraine führen. Die Vereinbarung enthielt somit zentrale Elemente für eine Friedenslösung, ließ aber offen, in welcher Abfolge sie genau umzusetzen sind. Daran krankt "Minsk" bis heute.

Seit dem Wahlsieg Selenskijs allerdings keimt zumindest Hoffnung. Selenskij hatte Frieden für den Osten der Ukraine versprochen und steht unter enormem Erfolgsdruck. Bisher kann er zumindest kleinere Erfolge vermelden. So gelangen Truppenentflechtungen, ein Gefangenenaustausch und der Wiederaufbau einer Brücke an der "Kontaktlinie" zu dem von Russland kontrollierten Separatistengebiet. Angesichts dieser Fortschritte hält man es im Kanzleramt für "gerechtfertigt und sinnvoll", erstmals seit drei Jahren einen Normandie-Gipfel abzuhalten auf Ebene der Staats- und Regierungschefs.

Möglich wurde das vor allem, weil Selenskij sich eingelassen hat auf die "Steinmeier-Formel", benannt nach dem Bundespräsidenten und früheren Außenminister. Sie sieht einen vorübergehenden Sonderstatus für die selbst ernannten "Volksrepubliken" Lugansk und Donezk vor. Dieser soll dann dauerhaft werden, nachdem Wahlen stattgefunden haben, die von der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) als frei und fair eingestuft werden. Selenskij, der in der Ukraine wegen dieses Entgegenkommens in der Kritik steht, beharrt aber darauf, dass zunächst alle bewaffneten russischen Kräfte abziehen müssen - worauf sich wiederum Putin nicht einlassen dürfte.

Frankreich sieht das Treffen als Erfolg von Macrons Russland-Politik

Ein Durchbruch bei dem ersten Treffen Selenskijs und Putins gilt daher als extrem unwahrscheinlich. Also würde schon als Erfolg gelten, wenn sich Russen und Ukrainer auf weitere vertrauensbildende Maßnahmen verständigten, etwa auf die Fortsetzung von Truppenentflechtung und Gefangenenaustausch. Denkbar wäre überdies ein Arbeitsauftrag an Außenminister oder Beamte, um sich endlich auf Abfolge und Modalitäten der Umsetzung des Minsker Abkommens zu verständigen. Dabei muss sich Selenskij allerdings vor dem Eindruck hüten, er habe in seiner Verzweiflung und vielleicht auch unter dem Druck Macrons, der unbedingt eine Annäherung an Putin will, zu große Zugeständnisse gemacht.

In Paris wird jedenfalls schon das Zustandekommen des Treffens als Erfolg der Russlandpolitik Macrons gewertet. Der Präsident sieht sich in der Lage, die Beziehungen zwischen der EU und Russland in Bewegung zu bringen. Frankreich kommt in dieser Logik die Rolle des Vermittlers zu, der mit Russland eine vergleichsweise unbeschwerte und erfolgreiche Geschichte teilt. Bei einem Auftritt mit Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hatte Macron betont, dass Moskau "kein Feind" der Nato sein könne. In seinem viel zitierten Interview mit dem Economist hatte er zuvor dargelegt, dass es für Russland doch "langfristig kein anderes Projekt als eine Partnerschaft mit Europa" geben könne.

Dass Putin diese Partnerschaft nicht allzu entschieden anzustreben scheint, zeigen freilich Recherchen der Cybersicherheitsfirma Fire Eye, die Le Monde am Samstag veröffentlichte. Sie belegen, dass die Hacker, die im Frühjahr 2017 Macrons Präsidentschaftskampagne angriffen, Verbindungen zu Moskaus militärischem Spionagedienst GRU unterhielten. Kurz vor der Wahl veröffentlichten sie private E-Mails aus Macrons Mitarbeiterstab.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4714728
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 09.12.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.