Süddeutsche Zeitung

Gipfeltreffen in Vilnius:G-7-Staaten sichern Kiew langfristige Hilfen zu

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Die Gruppe der mächtigen Industriestaaten stellt der Ukraine moderne Ausrüstung für ihre Luft- und Seestreitkräfte in Aussicht. Der Kreml bezeichnet dies als eine Gefahr für Russlands Sicherheit.

Von Matthias Kolb

Die G-7-Gruppe der westlichen Industriestaaten hat der Ukraine langfristige militärische und finanzielle Hilfe für den Abwehrkampf gegen Russland zugesichert. Dies geht aus einem dreiseitigen Dokument hervor, das am Mittwochnachmittag am Rande des Nato-Gipfels in Litauen veröffentlicht wurde. Darin stellen die USA, Japan, Kanada, Frankreich, Italien, Deutschland und Großbritannien der Ukraine unter anderem die Lieferung moderner Ausrüstung für ihre Luft- und Seestreitkräfte in Aussicht.

Allerdings enthält die "Gemeinsame Erklärung zur Unterstützung der Ukraine" keine weitreichenden Sicherheitsgarantien für die Zeit nach einem möglichen Ende des Kriegs. Eine solche wäre etwa die Zusicherung, im Fall eines Angriffs auch militärischen Beistand durch eigene Truppen zu leisten. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sprach von einer "Sicherheitspartnerschaft, die dringend notwendig" sei. Die Partnerländer würden ihre Beiträge für die Ukraine jetzt präzisieren, "aber das auch einbetten in eine längerfristige Strategie, auf die sich die Ukraine dann auch verlassen kann". US-Präsident Joe Biden bezeichnete den Pakt als "starkes Signal" der internationalen Unterstützung für Kiew. Bereits am Vormittag hatte der britische Premierminister Rishi Sunak erklärt, dass man nie zulassen dürfe, "dass sich das, was in der Ukraine passiert ist, wiederholen wird". Biden betonte später in Vilnius in einer Rede die Bedeutung der Sicherheit Europas für die USA. "Die Vorstellung, dass die Vereinigten Staaten ohne ein sicheres Europa gedeihen könnten, ist nicht vernünftig", sagte er. Die beiderseitige Beziehung sei ein "Anker für die globale Stabilität".

Der Kreml bezeichnete die langfristigen Sicherheitszusagen der G-7-Gruppe als Gefahr für Russlands Sicherheit. "Wir halten dies für einen extremen Fehler und potenziell für sehr gefährlich", sagte der Sprecher von Präsident Wladimir Putin, Dmitrij Peskow, nach Angaben russischer Nachrichtenagenturen in Moskau.

Selenskij: Wichtiges Signal für die Ukraine

Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij sprach in seinen öffentlichen Auftritten in Vilnius stets von "Sicherheitsgarantien", die ein "wichtiges Signal" für sein Land darstellten. In Vilnius dankte er den Staats- und Regierungschefs der G-7-Staaten, die er zuvor alle persönlich getroffen hatte. Wörtlich sagte er: "Die ukrainische Delegation bringt einen wichtigen Sieg der Sicherheit für die Ukraine nach Hause, für unser Land, für unsere Menschen, für unsere Kinder." In einer Pressekonferenz mit Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg betonte er jedoch, dass diese Zusagen kein "Ersatz für die Nato-Mitgliedschaft" sein dürften.

Nachdem er am Vortag die 31 Nato-Mitglieder auf Twitter scharf dafür kritisiert hatte, dass der Ukraine weder ein konkreter Zeitplan für eine Beitrittseinladung noch für eine spätere Aufnahme in die Allianz gegeben wurde, zeigte sich Selenskij am Mittwoch mit den Ergebnissen des Gipfels zufrieden. Den neuen Nato-Ukraine-Rat sieht Selenskij als Teil der Integration seines Landes in das Bündnis. Anders als bisher kann die Regierung in Kiew Sitzungen des neuen Gremiums selbst beantragen und muss nicht fürchten, dass etwa Ungarn ein Veto einlegt.

Zu Beginn der ersten Sitzung des Nato-Ukraine-Rats sagte Generalsekretär Stoltenberg in Richtung Selenskijs: "Wir treffen uns heute als gleichwertige Partner, und ich freue mich auf den Tag, wenn wir uns als Verbündete sehen." Die Beschlüsse von Vilnius führten dazu, dass die Ukraine der Nato "heute näher als je zuvor" stehe. Als dringlichste Aufgabe zur Unterstützung der Ukraine nannte Stoltenberg die Lieferung weiterer Waffen. Nachdem zum Auftakt des Gipfels bereits Frankreich und Deutschland der Ukraine umfangreiche Militärhilfe zugesichert hatten, kündigte die britische Regierung am Mittwoch die Lieferung von mehr Panzermunition und Dutzenden gepanzerten Fahrzeugen an. Von Australien erhält die Ukraine 30 Truppentransportpanzer vom Typ Bushmaster.

Annäherung zwischen Griechenland und der Türkei

Dänemark und die Niederlande gaben zudem bekannt, dass ukrainische Piloten von August an trainieren sollen, F-16-Kampfjets aus US-Produktion zu fliegen. Beide leiten ein entsprechendes Bündnis aus elf Nato-Staaten zur Ausbildung ukrainischer Kampfjet-Piloten. Anders als Großbritannien, Polen und Kanada beteiligt sich Deutschland nicht, weil sich die Bundeswehr bereits an der Ausbildung für andere Waffensysteme wie Kampfpanzer, Artillerie und Flugabwehr sehr stark engagiere. Die Ukraine hofft, dass die Ausbildung ihrer Piloten nicht länger als sechs Monate dauert. Sie soll zunächst in Dänemark und später in Rumänien erfolgen.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan und der griechische Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis nutzten den Nato-Gipfel dafür, eine Annäherung zwischen ihren zerstrittenen Staaten zu vereinbaren. Es war das erste persönliche Treffen der beiden, seit Erdoğan im Juni 2022 Mitsotakis zur Persona non grata erklärt hatte. Seit Griechenland nach den schweren Erdbeben in der Türkei sofort zur Hilfe geeilt war, haben sich die Beziehungen wieder verbessert; zudem wurden beide Politiker kürzlich wiedergewählt. Von griechischer Seite hieß es, man wolle "zeitnah zahlreiche Kommunikationskanäle zwischen den beiden Ländern reaktivieren". Auch ein Treffen von Erdoğan und Mitsotakis im Herbst in Thessaloniki gilt als möglich.

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