Süddeutsche Zeitung

U-Haft für Menschenrechtler in der Türkei:Merkel zur Türkei: "Ein Grund zu allergrößter Sorge"

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Nachdem mehrere Menschenrechtler in der Türkei wegen Terrorverdachts in Untersuchungshaft genommen worden sind, fordert die SPD - allen voran ihr Spitzenkandidat für den Bundestagswahlkampf Martin Schulz - von Kanzlerin Angela Merkel (CDU), ihr Schweigen zur Abschaffung der Demokratie sowie der Menschenrechte in der Türkei zu brechen. Prompt äußert sich erst ihr Sprecher und wenig später Kanzlerin Merkel selbst - äußerst diplomatisch.

Das hatte die SPD befürchtet. Merkels frühere Versuche, demonstrativ gelassen auf die Provokationen des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan zu reagieren, seien in der Vergangenheit allerdings fehlgeschlagen. "Sie muss Erdoğan unmissverständlich deutlich machen, dass es so nicht weitergehen kann. Diplomatische Pflichtübungen reichen nicht", erklärte SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann. "Angela Merkel muss sich endlich energisch für die Freilassung aller wegen politischer Vorwürfe inhaftierten Deutschen einsetzen", forderte er.

SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz forderte Merkel auf, nicht länger zu schweigen, wenn Journalisten und Menschenrechtsaktivisten ins Gefängnis geworfen würden. Die Regierungsstrategie im Umgang mit Erdoğan sei gescheitert. "Was in der Türkei abläuft, ist unerträglich und überschreitet alle Grenzen". Der türkische Präsident sei dabei, den Rechtsstaat abzubauen.

"Wir sind der festen Überzeugung, dass diese Verhaftung ungerechtfertigt ist", sagte Merkel daraufhin während einer Sportveranstaltung im Bundesleistungszentrum Kienbaum bei Berlin. Die Bundesregierung erkläre sich mit Steudtner und den anderen Verhafteten solidarisch. "Es ist leider ein weiterer Fall, wo aus unserer Sicht unbescholtene Menschen in die Mühlen der Justiz und damit auch in Haft kommen".

Yücel, Çorlu, Steudtner

Ein Richter in Istanbul hatte am Dienstagmorgen Untersuchungshaft gegen die Landesdirektorin von Amnesty International, İdil Eser, und fünf weitere Menschenrechtler verhängt. Darunter sind auch der Deutsche Peter Steudtner aus Berlin und ein Schwede. Vier weitere Menschenrechtler hatte der Haftrichter bis zu einem Prozess unter Auflagen auf freien Fuß gesetzt. Nach Amnesty-Angaben wird den zehn Beschuldigten Unterstützung einer Terrororganisation vorgeworfen.

Es gebe keine Indizien dafür, dass die Vorwürfe gegen Steudtner zutreffend seien, so Regierungssprecher Steffen Seibert. Deshalb betrachte die Bundesregierung den Fall mit "großer Besorgnis". Der Inhaftierte werde aber vom Generalkonsulat Istanbul konsularisch betreut. Das Auswärtige Amt bezeichnete es ebenfalls als "abwegig" Steudtner in die Nähe der Unterstützer von Terroristen zu stellen.

Mit Steudtner sitzt nun ein weiterer Deutscher wegen Terrorverdachts in der Türkei im Gefängnis. Auch der deutsch-türkische Welt-Korrespondent Deniz Yücel und die deutsche Journalistin und Übersetzerin Meşale Tolu Çorlu wurden in dem Land in Untersuchungshaft genommen.

Insgesamt sind in Zusammenhang mit dem Putschversuch vor einem Jahr nach Erkenntnissen der Bundesregierung bislang 22 deutsche Staatsbürger in der Türkei festgenommen worden. Das geht aus einer Antwort des Auswärtigen Amtes auf eine Anfrage des Grünen-Abgeordneten Özcan Mutlu hervor, die der Nachrichtenagentur dpa vorliegt. 13 Betroffene wurden demnach wieder aus der Haft oder dem Polizeigewahrsam entlassen.

Nach der weiteren Zuspitzung fordert auch Bundestags-Vizepräsidentin Claudia Roth (Grüne) ein energisches Handeln Deutschlands und der EU. "Wir dürfen diese ausufernde staatliche Repression in der Türkei nicht länger hinnehmen oder sogar zur Normalität verklären", teilte Roth mit. In Schulen, Universitäten, Polizei, Justiz, Militär und Verwaltung tobe eine massive "Säuberung" - und mit ihr die rasend schnelle Entkernung der zentralen Institutionen des türkischen Rechtsstaats. Sie forderte eine radikale Kehrtwende in der deutschen und europäischen Türkeipolitik.

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