Süddeutsche Zeitung

Türkei:Erdoğan will Wahlen schon am 14. Mai

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Die Türken entscheiden über Parlament und Präsident. Das seit 20 Jahren herrschende Staatsoberhaupt kann angesichts der Wirtschaftskrise seines Sieges nicht sicher sein.

Von Christiane Schlötzer, München

Die Präsidentschafts- und Parlamentswahl in der Türkei soll vorgezogen werden. Präsident Recep Tayyip Erdoğan beendete am Mittwoch das Rätselraten um den Wahltermin und nannte vor seiner Regierungsfraktion den 14. Mai als Datum für beide Wahlen.

Vorgezogene Wahlen können in der Türkei mit 60 Prozent der Abgeordnetenstimmen oder per Dekret durch den Präsidenten angeordnet werden. Im Parlament verfügen Erdoğans AKP und die mitregierende ultranationalistische MHP nur über eine einfache Mehrheit. Aber aus der Opposition gibt es bereits Signale der Zustimmung. Regulär müsste die Wahl erst am 18. Juni stattfinden.

Yüksel Taşkın, Vize-Chef der CHP, der größten Oppositionspartei, sagte, "der 14. Mai ist das Datum, an dem denen die rote Karte gezeigt wird, die gewählte Bürgermeister absetzen wollen". Damit bezog sich Taşkın auf das Gerichtsverfahren gegen den Istanbuler Oberbürgermeister Ekrem Imamoğlu, der bis zu einem fragwürdigen Gerichtsverfahren im Dezember als aussichtsreicher Gegenkandidat zu Erdoğan galt. Imamoğlu wurde wegen angeblicher Beamtenbeleidigung zu einer Haftstrafe verurteilt. Ihm droht ein Politikverbot, wenn das Urteil in zweiter Instanz bestätigt wird.

Nicht nur die CHP, auch zwei kleinere Oppositionsparteien zeigten sich bereits mit dem früheren Termin einverstanden, darunter die von Erdoğans ehemaligem Wirtschaftsminister Ali Babacan gegründete Deva-Partei. Deren Sprecher sagte: "Die Ehre der Demokratie ist die Wahlurne. Der 14. Mai ist ein glücklicher Tag."

Die Wahlen gelten als wichtige Weichenstellung für das Land. Nach Umfragen ist ein erneuter glatter Wahlsieg Erdoğans nicht gewiss. Die Türkei steckt in einer Wirtschaftskrise, die Inflation erreicht Rekordwerte. Erdoğan, der Ende Februar 69 wird, regiert seit 20 Jahren, erst als Premier, seit 2014 als Präsident. Eine Verfassungsänderung gab ihm vor fünf Jahren fast unumschränkte Macht. Rechtsstaatsdefizite sind seitdem unübersehbar, sie werden auch von der EU immer wieder beklagt.

Das Problem der Opposition: Ihr fehlt noch der gemeinsame Kandidat

Erdoğan begründete seine Terminwahl historisch, mit dem 14. Mai 1950. Er verwies auf den "überwältigenden Wahlsieg" von Adnan Menderes vor 73 Jahren. Menderes, konservativ und religiös wie Erdoğan, gilt als dessen Vorbild. Mit Menderes ist eine tragische Geschichte verbunden. Er war der erste Ministerpräsident nach Einführung des Mehrparteiensystems in der Türkei. 1960 wurde er durch einen Militärputsch entmachtet und 1961 gehängt.

Nicht nur Erdoğan wiederholte nun Menderes' berühmte Wahlparole: "Genug, das Wort hat die Nation." Dies taten auch Oppositionspolitiker, wie der Vize-Chef der kleinen Saadet-Partei, Bülent Kaya: "Ja, es ist an der Zeit, der jetzigen Regierung zu sagen, dass es im Jahr 2023 genug ist."

Der Opposition fehlt noch ein Präsidentschaftskandidat. Als möglicher gemeinsamer Herausforderer eines Sechs-Parteien-Bündnisses gilt nach dem Ausscheiden von Imamoğlu CHP-Chef Kemal Kılıçdaroğlu. Falls die Opposition den vorgezogenen Termin doch nicht akzeptiert, kann Erdoğan am 8. März das Parlament auflösen, nach den gesetzlichen Fristen wäre dann auch der 14. Mai der Wahltermin.

Regierungskritische Beobachter hatten bereits mit einem vorgezogenen Urnengang gerechnet, da angesichts knapper Mehrheiten für die Präsidentenwahl womöglich zwei Runden im Abstand von 14 Tagen nötig werden. Mitte Juni beginnen aber bereits die großen Schulferien.

Die Regierung hat jüngst bereits, mit klarem Blick auf die Wahlen, eine teure Rentenreform beschlossen und den Mindestlohn erhöht. Erdoğans spektakulärster außenpolitischer Schritt ist eine Wiederannäherung an den syrischen Diktator Baschar al-Assad, nach zwölf Jahren Erzfeindschaft. Die Anwesenheit von 3,5 Millionen syrischen Flüchtlingen stößt in der Türkei auf immer mehr Ressentiments. Mit einer Annäherung an Assad verbinden viele Türken - parteiübergreifend - die Hoffnung auf eine baldige Heimkehr der Flüchtlinge.

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