Süddeutsche Zeitung

Mögliche Sanktionen gegen China:Russland mal zehn

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Was, wenn China wirklich Taiwan angreift? Eine neue Studie rechnet mögliche Sanktionsszenarien des Westens durch. Ergebnis: Es wird richtig wehtun. Und: Auf Wirtschaftssanktionen allein sollte man sich nicht verlassen.

Von Kai Strittmatter

Auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine hat der Westen mit massiven Sanktionen reagiert. Und was passiert im Falle einer chinesischen Aggression gegen Taiwan? Seit Monaten diskutieren Politiker weltweit die Wahrscheinlichkeit eines Angriffs Chinas auf Taiwan und darüber, wie man einen solchen verhindern oder ihm im Ernstfall begegnen sollte. Und wieder ist viel von möglichen Sanktionen die Rede.

"Seit den Russlandsanktionen ist ein Spielplan auf dem Tisch", sagt Charlie Vest von der US-Denkfabrik Rhodium Group. Gleichzeitig kursierten "viele konfuse Vorstellungen" darüber, welche dieser Sanktionen sich wie und mit welchem Effekt einsetzen ließen, um China vor einem Angriff auf Taiwan abzuschrecken. Gemeinsam mit dem Atlantic Council stellt Rhodium nun heute die erste größere Studie vor, die versucht, verschiedene Sanktionsszenarien durchzurechnen.

China ist ein Riese, die Verwerfungen für die Weltwirtschaft könnten gewaltig sein

Eines ist klar: China ist ein völlig anderes Kaliber als Russland. Das Land ist größte Handelsnation und zweitgrößte Wirtschaftsmacht der Welt. Chinas Wirtschaft ist zehn Mal so groß wie die russische und weit wichtiger für die globalen Lieferketten. Die Verwerfungen für die Weltwirtschaft im Falle harter Sanktionen wären gewaltig. Allein wenn der Westen die vier größten Banken Chinas ins Visier nähme, so die Studie, könnten Handels- und Investitionsströme in Höhe von etwa drei Billionen Dollar gefährdet sein.

Weil Taiwan sich im Falle eines chinesischen Angriffs ohne ein direktes militärisches Eingreifen der Vereinigten Staaten wohl nicht lange halten könnte, jedenfalls nicht lange genug, damit Sanktionen eine nennenswerte Wirkung auf China entfalten könnten, empfiehlt die Studie deren möglichen Einsatz zum Zwecke der Abschreckung schon vorher: nämlich dann, wenn China zu Zwangsmaßnahmen unterhalb der Ebene einer Invasion greift. Wenn Chinas Armee die Insel einkreist etwa, wenn sie den Schiffs- oder Flugverkehr behindert oder wenn es zu massiven Cyberattacken auf Taiwan kommt.

Ähnlich wie im Falle Russlands hält der Besteckkasten drei Typen von Sanktionen bereit: gegen den Finanzsektor, gegen Individuen im Dunstkreis von Partei- und Armeeführung und gegen Industrieunternehmen, die im weitesten Sinne zu Verteidigung und Rüstung beitragen. Das Problem ist, dass sich die Wirkung mancher dieser Sanktionen im vorwiegend Symbolischen erschöpft (wie im Falle von Reichen und Mächtigen, die auf schwarzen Listen landen) - und dass andere, wo sie China empfindlich treffen, zur gleichen Zeit gewaltige Kosten für den Westen und die Weltwirtschaft verursachen.

Erst einmal müsste sich der Westen einig sein

Ein Embargo der G-7-Länder gegen die chinesische Chemie-, Metall-, Elektronik- oder Logistikindustrie etwa brächte China zwar in große Schwierigkeiten und 15 Millionen chinesische Jobs in Gefahr - gleichzeitig käme es aber auch zu Verwerfungen weltweit. Möglicherweise stünden globale Handelsströme in Höhe von 378 Milliarden US-Dollar auf dem Spiel. "Es ist unwahrscheinlich, dass sich die G-7-Führer auf Sanktionen dieser Größenordnung einigen könnten", heißt es in der Studie. Deutschlands chemische Industrie etwa sei tief mit China verflochten.

Am praktikabelsten wären wohl gezielte Sanktionen in Feldern, in denen eine asymmetrische Abhängigkeit Chinas von der Außenwelt besteht. Da ist der Kollateralschaden dann nicht ganz so groß. Die Studie spielt das am Beispiel von Chinas Luftfahrtunternehmen durch, aber auch da würden westliche Unternehmen in Mitleidenschaft gezogen.

Abschreckung ist möglich - wenn alle die gleiche Botschaft senden

Die Autoren sehen den Ball nun im Feld der Regierungen der G-7-Länder. Diese müssten erstens die roten Linien definieren, deren Überschreiten durch China Sanktionen zur Folge hätte. Sodann sei eine baldige Koordination untereinander und mit Taiwan notwendig - auch was die Botschaften ausgeht, die die Länder des Westens an China senden. Teilweise werden diese Signale der Abschreckung schon gesendet. Gleichzeitig gibt es immer noch politische Führer wie etwa zuletzt Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, die eben diese Botschaften wieder konterkarieren. Macron hatte im April gesagt, eine Taiwan-Krise sei "nicht die unsere".

"Diese Diskussionen haben begonnen", sagt Charlie Vest, der einer der Autoren der Studie ist, "aber wir sind noch im ganz frühen Stadium." Die Studie warnt zudem davor, sich auf Wirtschaftssanktionen allein zu verlassen: "Abschreckung allein durch Wirtschaftspolitik funktioniert nicht", schreiben die Autoren. Sie müsse begleitet werden durch diplomatische und militärische Instrumente.

Allzu viel Zeit solle sich die Politik nicht lassen, mahnt Vest. Im Moment kursierende Prophezeiungen für mögliche Daten zur Invasion Taiwans halte er für unseriös und übertrieben, sagt er, aber die nächste Krise sei möglicherweise nicht mehr weit weg. Taiwans Präsidentschaftswahl im Januar 2024 etwa könnte je nach Wahlausgang zu einem erneuten Brennpunkt werden: "Ich denke deshalb, dass es dringend notwendig ist, zumindest einmal die Abschreckungsinstrumente zu schärfen."

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